Tanz auf goldener Kugel

Peter Roseis sehr österreichisches Satyrspiel „Die Globalisten“ ist als heimische Weltkomödie angelegt. Die Welt ist hier alles, was zwischen Café Imperial und dem Grundlsee liegt. Besser: dem Abgrundlsee.

Wir versuchen doch alle nur, auf der goldenen Kugel zu tanzen, ganz egal, wie undwohin sie rollt“, sagt Adolphe Weill, eine der Figuren in Peter Roseis Roman „Die Globalisten“, einmal im Café Imperial. Weill ist Geschäftsmann, und auch wenn man nicht genau weiß, was seine „Geschäfte“ sind, ist klar, dass sie recht krumm sein müssen. Rückgrat hat Weill keines – so wie auch die anderen Globalisten in Roseis Roman –, käuflich sind sie alle, Globalisten geht es ja vor allem um das Geld; das Einzige, was für sie zählt, ist Wirtschaftlichkeit – immer und überall.

Während der reiche Schweizer Weill das große Geld schon hat, träumt Alfred Wallauschek, ein Wiener Filmproduzent, noch vom ganz großen Wurf, der ihn reich machen soll. Eine TV-Serie will er aufziehen, eine, die das Leben, wie es eben ist, darstellt – eine „Weltkomödie“ in ganz großem Stil. Leider aber fehlt ihm das Geld dazu, er ist pleite. Da kommt ihm der Zufall zu Hilfe: Nach einem Unfall (er stürzt beim Aussteigen besoffen aus dem Zug) teilt er sich das Krankenzimmer mit Weill und überzeugt ihn zu investieren. Also kann die Sache beginnen, für das Drehbuch reaktiviert Wallauschek seinen Jugendfreund Josef Maria Wassertheurer, der als erfolgloser Autor am Yppenplatz residiert und ebenso viel trinkt wie alle anderen Romanfiguren aus der kreativen Szene. Die Hauptrolle im Monsterprojekt soll Wallauscheks On/Off-Gespielin und alternde Filmdiva Olga Tessier übernehmen, die zudem stolze Besitzerin einer Luxusvilla am Grundlsee ist. Dorthin zieht sich die ganze Partie auch zurück, um zu „arbeiten“ – das heißt: Wassertheurer sitzt am Schreibtisch, während sich der Rest auf Weills Kosten amüsiert.

Man ahnt, dass das nicht gut gehen kann. Wassertheurer säuft viel und bringt nichts zustande, Wallauschek spannt ihm – wie schon früher einmal – inzwischen die blonde polnische Freundin Evi aus, die zuletzt immerhin schon als Kellnerin in einem Wiener Beisl gearbeitet hat und nicht mehr im horizontalen Gewerbe. Als Weill endlich Ergebnisse sehen will und den Geldhahn zudreht, ist das Chaos perfekt. Die Pseudofilmcrew vom Grundlsee zerstreut sich in alle Himmelsrichtungen: Die naive Evi folgt Wallauschek in ihr Verderben – er bringt sie in einem Anfall von Jähzorn um –, Olga Tessier sucht sich als neuen Kompagnon den reichen Weill, der aber andere Sorgen hat und von einem mysteriösen Herrn Tschernomyrdin quer durch Europa verfolgt wird. – Am Ende des Romans sehen sich alle nach Jahren wieder: Wassertheurer ist, dank ausreichender Trivialität, inzwischen endlich zum Bestsellerautor avanciert und „rettet“ diesmal Wallauschek, der, nachdem er seine Haftstrafe wegen Mordes abgesessen hat, ausgerechnet bei ihm einzubrechen versucht, was ihm Wassertheurer aber nichtweiter übel nimmt und ihn kurzerhand zu seinem Chauffeur macht. Und Weill hat sich mit Tschernomyrdin offensichtlich arrangiertund spinnt seine krummen Geschäfte jetzt als Minister munter weiter.

Untergegangen ist am Ende also keiner, im Gegenteil, es sind erstaunliche Karrieren möglich bei diesem „Tanz auf der goldenen Kugel“ – sofern man eben Globalist genug ist. Dass das mehr oder weniger auch impliziert, kriminell zu sein, stört niemanden. Alles ist erlaubt, wenn es nur dem eigenen Vorteil dient, Begriffe wie Moral, Gewissen, Anstand kennen Roseis Figuren nicht, wer da nicht mitspielt, der kommt unter die Räder.

Rosei setzt hier sein Langzeitprojekt, ein literarisches Sittenbild der österreichischen Verhältnisse innerhalb einer globalisierten Welt zu erschaffen, fort. Österreichisch sind an der Geschichte nicht nur die meisten Schauplätze, sondern auch der Hang dazu, Unerfreuliches allzu rasch unter den Teppich zu kehren und vieles nicht so genau wissen zu wollen, sowie eine gewisse Kleinheit oder Provinzialität, die bei aller Unerhörtheit den geschilderten Ereignissen doch unbestreitbar innewohnt. Denn auch wenn im Roman viel Geld vernichtet wird und die Geschäfte eindeutig krumm sind, keiner der Protagonisten ist ein ganz großer Fisch, ein echter Global Player.

Die große, geniale Weltkomödie, von der Wallauschek im Roman träumt, ist auch der Roman selbst nicht, sondern eben die heimische Ausgabe davon. Und diese ist wohl witzig, wenn auch insgesamt harmlos. Das liegt daran, dass den Episoden, in denen die Handlung erzählt wird, ein wenig Tiefe fehlt, vieles bleibt – dieser Form, dem Episodischengeschuldet – recht vage. Das ist insofernschade, als „Die Globalisten“ als „Satyrspiel“ angelegt ist. Eine Satire wird umso schärfer und interessanter, je präziser gemacht wird, was verspottet wird. Insofern hätte die Geschichte stärkere Konkretisierungen durchaus vertragen, auch, um früheren, ähnlich angelegten Rosei-Romanen tatsächlich eine neue Facette hinzuzufügen.

Auch der Erzähler, der spricht, könnte bissiger sein. Er lässt zwar keinen Zweifel daran, dass er verurteilt, was da geschieht, und spottet kräftig – aber in gutbürgerlich-altmodischem Tonfall, völlig ohne Verve. Im Grund ist diese zynisch-abgeklärte Erzählhaltung das Allerösterreichischste im Roman: Hier spricht einer, der schon längst aufgegeben hat und es – in bester österreichischer Manier – doch nicht lassen kann zu jammern. Veränderung schreibt man so nicht herbei. Aber vielleicht geht es darum ja auch nicht? Sonst hätte man eines Tages womöglich nichts mehr zu bejammern. ■

Peter Rosei

Die Globalisten

160S., geb., €19,90 (Residenz Verlag,
St.Pölten)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2015)

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