Die Fürstin der Wiener Ringstraße

Anna Maria Sacher 1908
Anna Maria Sacher 1908(c) Wikipedia
  • Drucken

Anna Sacher. In ihrem Hotel gaben Adel und Zweite Gesellschaft einander Rendezvous. Der Stadtpark ist eine Schöpfung des „Presse“-Eigentümers und Gemeinderats August Zang.

Dass „Die Presse“ vor sechs Jahren ihren 160. Geburtstag im Kursalon des Wiener Stadtparks feierte und dass sie direkt gegenüber an der noblen Adresse „Theodor-Herzl-Platz“ residierte – das alles war natürlich kein Zufall. Den Stadtpark verdanken Wiens Bürger nämlich (auch) dem „Presse“-Besitzer August Zang, zugleich Gemeinderat. Und Theodor Herzl, der Visionär des „Judenstaats“? Er war Feuilletonredakteur dieses Weltblatts der Monarchie.

Zang, der in Paris als Kipferlbäcker zu sagenhaftem Reichtum gelangt war, gründete 1848 die „Presse“ und war nicht verlegen, wenn es um Inserate für sein Blatt ging. Am liebsten hätte er jede Druckzeile zum Tarif verkauft: „Es muss noch dahin kommen, dass die Königin von England ihre Thronrede als Inserat in die ,Presse‘ gibt!“ Der liberale Bürgermeister, Cajetan Felder, nannte ihn wegen seiner Habgier „Träger einer der widerlichsten Visagen unter der Sonne, in welcher sich fratzenhaft Grobheit, Arroganz, Unverschämtheit, Bosheit und Geldgier malen.“

Hanslick wollte schon kündigen

Zang focht dies nicht an. Musikkritiker Eduard Hanslick wurde zum Chef gerufen: Er finde es notwendig, eröffnete ihm Zang, dass alle Künstler, die in der „Presse“ besprochen sein wollten, ihre Auftritte in Zukunft zu inserieren hätten. „Wer das nicht tut, über den wird nicht geschrieben!“ Hanslick reichte empört seine Kündigung ein – Zang gab nur sehr widerwillig nach.

Für das Bürgertum der Jahrhundertwende bedeutete die „Neue Freie Presse“ ein Fenster nach Europa (Emil Brix). „In Wien gab es eigentlich nur ein einziges publizistisches Organ hohen Ranges, die NFP,“ urteilte Stefan Zweig, der 1901 erstmals ein Feuilleton in der Zeitung veröffentlichen konnte. Über ganz Europa war es verbreitet, dieses „Blatt der täglich zweimal verfälschten öffentlichen Meinung“, wie ihr schärfster Kritiker, Karl Kraus, spottete.

Die Leser der „Neuen Freien Presse“

Untrennbar ist die Geschichte der Wiener Ringstraße also mit der „Presse“ verbunden. Dieses großartige städteplanerische Gesamtkunstwerk war eine Schöpfung des immens reichen liberalen – oft jüdischen – Großbürgertums. Und dessen Leibblatt hieß nun einmal „Die Presse“. Eduard Todesco, bereits in Wien geborener Nachfahre tüchtiger Handelsleute aus Rumänien, er war einer von ihnen. Ein Multimillionär.

Im Erdgeschoss seines Palastes, den Emil Förster und Theophil Hansen planten, mietete sich ein 27-jähriger gelernter Koch mit einer Wein- und Delikatessenhandlung ein. Sein Name sollte weltberühmt werden: Eduard Sacher, schon ab 1871 k.u.k. Hoflieferant, dann Betreiber des beliebten Sacher-Caférestaurants im Prater. Schließlich krönte der Selfmademan seinen untrüglichen Geschäftssinn mit dem „Hotel de l'Opéra“.

Todesco hatte den Mietpreis hinaufgesetzt. Worauf der 33-jährige Sacher alles auf eine Karte setzte. Er hatte einiges gespart und schloss sich einer Investorengruppe um Adolph Graf Dubsky, Gustav Leon, Phillipp Mauthner und Arthur von Layer an. Auf den Gründen des abgerissenen Kärntnertortheaters entstand ein vier Stockwerke hohes „Maison meublée“ mit prächtiger Neorenaissance-Fassade.

Es gelang ihm einfach alles. Und sein Meisterstück war wohl, die um zwanzig Jahre jüngere Anna Fuchs aus der Leopoldstadt zu ehelichen, die ihn bis 1930 überleben sollte und als Prinzipalin, als die „Frau Sacher“, in die Wiener Ringstraßengeschichte einging.

Wien um 1865, vor 150 Jahren. Eine fiebrige Goldgräberstimmung hatte die Geschäftswelt erfasst, sie zog Juden und Christen, Gläubige und weniger Gläubige, Liberale wie Konservative gleichermaßen an. In dieser Aufbruchstimmung konnte man das große Los ziehen und es dem alten Adel gleichtun, der blasiert, spöttisch, aber einigermaßen ratlos diesem Neureichtum zusehen musste. Windisch-Graetz, Schwarzenberg, Auersperg und Lobkowicz logierten in nobleren Hotels als im Sacher. Aber das Restaurant mit seiner hervorragenden Küche verschmähten sie nicht. Und die von Vater Franz Sacher erfundene und nach ihm benannte Torte sollte zum Exportschlager werden, obwohl sie manchen zu trocken und nicht sonderlich inspiriert erscheint.

Wie kein Zweiter in der Stadt habe Eduard Sacher gute österreichische Wirtshausküche mit französischer Haute Cuisine gemischt, berichtet Monika Czernin in ihrer soeben erschienenen romanhaften Biografie über Anna, die Sacher-Wirtin. Und so wurde sein Hotelrestaurant zu einem der wenigen Orte in Wien, an dem sich der alte Adel mit den neureichen Vertretern der Zweiten Gesellschaft mischte. Bei Tafelspitz mit Spinat, bei Beinfleisch mit Semmelkren wurden sie alle gleich. Und satt. Und friedfertig.

Was sich in den Vorstädten abspielte, wie elend die Arbeiterschaft lebte, das interessierte an der Ringstraße keinen. Was einst als Erholungsgebiet für die Kleinbürger diente, das weite Glacis mit endlosen Wiesen, es wurde nun verbaut und auf die Bedürfnisse der Ringsstraßen-Society zugeschnitten. „Laufstege der Mode, Flaniermeilen für Millionäre, Theaterbühnen des High Life, eingebettet in das Auf und Ab der Bäume, Sträucher und Blumenrabatten“, schreibt Monika Czernin, die erste journalistische Schritte in der „Presse“-Redaktion unternommen hat.

Herr Zang auf dem Zentralfriedhof

Der Stadtpark ist so ein Kind dieser Zeit, die einzige unverbaute Parzelle in einer endlosen Reihe von Prachtbauten, die sich wie an einer Perlenkette aufgereiht präsentieren. Erst der Burg- und der Volksgarten durchbrechen diese auf dem Reißbrett erdachte strenge Symmetrie.

August Zang, der eigenwillige Gründer und Alleinbesitzer der „Presse“, Bergwerksbesitzer in Böhmen, Fürsorge- und liberale Gemeinderat der Stadt Wien, hatte diesen Stadtpark mit der ihm eigenen Energie im Rathaus durchgeboxt. Obwohl heute zahlreiche Denkmäler die Grünanlage schmücken, blieb ihm der Dank der Nachwelt dort versagt. Also musste er sich auf dem Zentralfriedhof in bester Nobellage sein eigenes Grabdenkmal errichten lassen. Wer heute zu den Ehrengräbern oder zur Präsidentengruft will, muss unweigerlich Herrn Zang die Ehre erweisen.

Die „gnädige Frau“

Mit ihrer Romanbiografie ist es Monika Czernin gelungen, die Glitzerwelt des Fin de siècle nachzuzeichnen, liebevoll, nicht zu kitschig. Dass die Lebensumstände der weitaus größeren Mehrheit in dieser Millionenstadt nicht beleuchtet werden, ist ihr nicht anzulasten. Damit hatte Anna Sacher wahrlich nichts zu tun. Sie verkehrte mit Ministern, Präsidenten, Künstlern auf gleicher Ebene, war eine Institution, eine Managerin, und ihrer bescheidenen Herkunft längst entwachsen. „Die gnädige Frau“ eben.

Unbeschwertes Glück war ihr dennoch nicht beschieden. Die Tochter starb in jungen Jahren, dem an Syphilis erkrankten Sohn Eduard konnte sie die Nachfolge nicht anvertrauen. Sie erlebte noch den Beginn des Bürgerkriegs im Jahr 1927 und damit – zu ihrem Schrecken – den ersten und einzigen Streik ihrer Hausangestellten. Am 28.Februar 1930 folgte ihrem Sarg ein langer Trauerkondukt – zunächst rund um ihr Haus – dann auf den Dornbacher Friedhof. Wiens legendäre Wirtin bekam ein Leichenbegängnis, einer Fürstin würdig.

AUSSTELLUNGEN

Nächsten Samstag:
2000 Jahre Garnisonsstadt WienMakart & Klimt: Mit der Ausstellung „Klimt und die Ringstraße“ widmet sich das Belvedere im Sommer jenen charismatischen Ringstraßen-Malern, die ihre Zeit maßgeblich geprägt haben. Vom Œeuvre des Künstlerfürsten Hans Makart spannt sich der Bogen bis zum Triumph des jungen Malerkollektivs der Künstler-Compagnie rund um Gustav Klimt.

(3.7.– 11.10. 2015, Unteres Belvedere)

Jüdische Barone: Die Ausstellung im Jüdischen Museum thematisiert die Glanz- und Schattenseiten der Ringstraßen-Ära, den gesellschaftlichen Aufstieg einer kleinen jüdischen Elite und den alltäglichen Überlebenskampf der breiten jüdischen Massen sowie die politische Instrumentalisierung des Antisemitismus und ihre Folgen.

(25.3.–4.10. 2015, Jüdisches Museum Wien)

Weltstadt: Durch das Schleifen der Stadtmauern und die Errichtung der Ringstraße wurde die Stadt innerhalb weniger Jahrzehnte zum mondänen Zentrum einer europäischen Großmacht. Die hervorragendsten Künstler der Monarchie ebenso wie begabte Dilettanten waren Zeitzeugen dieses Umbruchs und dokumentierten diesen Wandel.

(„Die Ringstraße und ihre Zeit“, 22.5.–1.11. 2015,

Prunksaal der Nationalbibliothek)


Goldenes Krauthappel:
Ursprünglich hätte die Secession Joseph Maria Olbrichs ganz woanders stehen sollen: an der Ecke Ringstraße/Wollzeile. Aber wegen „Verunstaltung der Straße“ bewilligte der Gemeinderat nur einen Platz an der Wienzeile.

(„Zu modern für die erste Reihe“, 19.3.– 11.10.2015,

Secession)

Im Internet: Einen virtuellen Ring-Spaziergang kann man jetzt unternehmen. Per Mausklick betritt man die schönsten 15 Bauwerke des Prachtboulevards. Dabei erkennt man allerdings auch die erschreckende Hässlichkeit mancher Nachkriegsgebäude (Heinrichhof, heute Opernringhof).

Ringview.vienna.info

Planen für Hitler: Das Architekturzentrum bietet heuer zwei Touren in deutscher Sprache an: „Symbole der Macht“ ergänzt die Ausstellung, „Schöne Aussichten!“ führt auf das Dach dreier Bauten und bietet außergewöhnliche Blicke auf die Ringstraße (Anmeldung und Information: office@azw.at) „,Wien, die Perle des Reiches‘. Planen für Hitler“, 19.3.– 17.8. 2015,

Architekturzentrum Wien, Museumsquartier

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.