Affäre Reder: Minister-Handschlag mit dem "Schlächter"

Walter Reder, 1947
Walter Reder, 1947(c) imago/ZUMA/Keystone
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Vor 30 Jahren begrüßte FPÖ-Verteidigungsminister Frischenschlager einen früheren SS-Major "wie einen verlorenen Sohn".

Der 24. Jänner 1985 werde als Tag in Erinnerung bleiben, an dem Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager (FPÖ) einen „Affront gegen alle demokratisch Empfindenden“ auslöste, schrieb die „Arbeiter Zeitung“ vor 30 Jahren. Grund war ein Handschlag des Freiheitlichen mit dem Kriegsverbrecher und einstigen SS-Major Walter Reder – mitverantwortlich des schlimmsten Kriegsverbrechens deutscher Soldaten auf italienischem Boden während des Zweiten Weltkrieges.

Es ist der Morgen des 22. Jänner 1985, als Verteidigungsminister Frischenschlager einen Anruf erhält. Vor den Augen von Brigadier Josef Bernecker, Chef der Luftwaffe, nimmt er den Hörer ab. „Der Walter Reder kommt aus der Haft in Italien“, schallt es heraus. Gemeint ist ein fast 70-jähriger, in Italien inhaftierter, früherer SS-Major. Am anderen Ende der Leitung spricht Außenminister Leopold Gratz (SPÖ), wie Frischenschlager später in Interviews erklären wird. „Wir sollten Reder möglichst inkognito ins Land bringen, dafür wäre das Verteidigungsministerium kompetent“, so Gratz. Stille. Dann Zustimmung.

Die Möglichkeit eines Ministerfluges

Damals habe er an eine unauffällige Aktion geglaubt, betont Frischenschlager 2007 im Gespräch mit dem „Gedächtnisdienst“. Immerhin habe das italienische Außenamt auf Stillschweigen bestanden, erst nach zehn Tagen sollten Wien und Rom eine gleich klingende Erklärung abgeben. Er sei davon ausgegangen, „dass das funktioniert“, habe daher keinen eingeweiht, so Frischenschlager. Nur „Ohrenzeuge“ Bernecker habe ihn beraten: „Mit dem Auto geht das schlecht“, soll er gesagt haben. „Wenn der von der Grenze abgeholt wird, das bekommen zu viele Leute mit. Aber es gibt die Möglichkeit eines Ministerfluges, bei dem die Insassen nicht bekannt gegeben werden müssen.“

Schließlich ist die „Fracht“ äußert „heikel“: Schon als 19-Jähriger war Reder der NS-Schutzstaffel beigetreten, bald zum Kommandeur aufgestiegen. Im Russland-Feldzug verlor er seine linke Hand. Dann kam Italien. Im Mai 1944 wurde er an die „Gotenlinie“ zwischen La Spezia und Ravenna beordert. Dort zermürbten Angriffe der Partisanenbrigade „Stella Rossa“ die deutschen Truppen. Für den 29. September wurde ein Vernichtungsschlag befohlen – unter Reders Kommando, der aber wegen einer Beinverletzung 40 Kilometer vom „Zuschlagsort“ Marzabotto entfernt war. Der Angriff forderte bis zu 1836 Tote. „Voller Panik stellten wir fest, dass die Nazis keineswegs Frauen und Kinder verschonten. (…) Ich konnte sehen, wie sie mit Maschinenpistolen und Gewehren mitten in die Unschuldigen schossen“, wird der Überlebende Adelmo Benini später aussagen.

Walter Reder im Gefängnis von Gaeta
Walter Reder im Gefängnis von Gaeta(c) imago/ZUMA/Keystone

Ein Jahr später wurde der „Schlächter von Marzabotto“ in einem Lazarett gefasst, 1951 in Bologna von einem Militärgericht zu lebenslanger Haft in der Festung Gaeta verurteilt. Zwar wird er später vom Vorwurf der vorsätzlichen Tötung freigesprochen, dafür aber der angeordneten Erschießung von sechs Partisanen für schuldig befunden, sein Strafmaß bleibt bestehen. In den 1960ern lässt das Außenministerium Reder den Status eines Kriegsgefangenen zukommen. Damit nimmt auch die Zahl an Gnadengesuchen österreichischer Vertreter zu. So ersuchen im Laufe der Jahre etwa Bundeskanzler Bruno Kreisky, Bundespräsident Rudolf Kirchschläger und Kardinal Franz König Italien um eine Entlassung des „alten Mannes“ aus Gründen der Humanität – nach 33 Jahren sind sie schließlich erfolgreich.

"Begrüßt, wie einen verlorenen Sohn"

Am 24. Jänner 1985 fährt ein Wagen Frischenschlager von Wien zum Flughafen Graz-Thalerhof. Der Plan: Mit einer Heeresmaschine soll Reder weiter nach Baden geflogen, dann im Militärkrankenhaus untergebracht werden. Plötzlich ein Anruf. Am Apparat ein Journalist: Aus Rom verlaute, dass Walter Reder im Anflug sei. Frischenschlager dementiert. Nächster Anruf: das Außenministerium. Die Italiener hätten geplaudert, wird Frischenschlager erklärt.

„Um 9:41 Uhr war es dann soweit: Eine italienische Militärmaschine vom Typ 'Falcon 10' setzte bei dichtem Schneetreiben auf der Rollbahn des Flughafens Thalerhof auf und wurde sofort zum benachbarten Fliegerhorst des Bundesheeres geleitet“, wird die „Presse“ tags darauf berichten. Reder verlässt die Maschine als erster, gefolgt von seinem Anwalt, einem Arzt und drei italienischen Bewachern. Der Minister schüttelt den Ankommenden die Hand – allen.

Ein Übergabeprotokoll wird aufgesetzt, dann fliegt man weiter nach Baden. Dort wartet eine Traube von Journalisten. Frischenschlager gibt eine Pressekonferenz, Film- und Fotoaufnahmen werden untersagt. „Der Minister aus dem Lager der Freiheitlichen Partei begrüßte den ehemaligen SS-Sturmbannführer wie einen verlorenen Sohn („ganz Österreich ist froh“) und eskortierte ihn zwecks medizinischem Check-up in die Sanitätsstation der Bundesheerkaserne Baden bei Wien“, beschrieb der „Spiegel“ das Geschehen.

Friedhelm Frischenschlager
Friedhelm FrischenschlagerAPA/HERBERT PFARRHOFER

„Wir können im guten Fall hoffen, dass die Welt auch so freundlich ist, uns die operettenhafte Ungeschicklichkeit zu glauben“, konstatierte der Chefredakteur der „Arbeiter Zeitung“, Manfred Scheuch. Ob sie es tat, bleibt fraglich. Zwar waren Vizekanzler und Parteichef Norbert Steger – spätestens seit der Wahl 1983 als die FPÖ knappe fünf Prozent erhalten hatte und Kraft der SPÖ in die Regierung eingestiegen war –, um eine ideologische Neuausrichtung bemüht („Braun war unsereins nur in den Windeln“) und auch Frischenschlager sah sich als liberaler Vorreiter. Doch galten die „Spuren“ des einstigen Waffen-SS-Mannes Friedrich Peter, der die Partei 20 Jahre geführt hatte, als „deutlich“.

Und die „Affäre Reder“ schien nun ihr Übriges zu tun. „Die Tragödie war, dass damit alle Ressentiments gegen die FPÖ schlagartig wieder auflebten“, wird Frischenschlager 2010 in der „Presse“ bedauern.

Rot-blaue Koalition an der Kippe

„Ich stelle fest, dass die persönliche Anwesenheit des Verteidigungsministers in Graz ein schwerer politischer Fehler war“, kritisiert Kanzler Fred Sinowatz. Wiens ÖVP-Obmann Erhard Busek ortet ein „demokratiefeindliches“ Verhalten. Eine Welle an Rücktrittsforderungen rollt an – die meisten davon aus dem Lager der Sozialdemokraten. Die rot-blaue Koalition droht zu zerbrechen. Einzig Kärntens FPÖ-Chef Jörg Haider sieht in Frischenschlagers Vorgehen keinen Fehler, sondern ein vorbildliches Verhalten. Der Minister habe immerhin keinen Kriminellen empfangen: „Reder war ein Soldat wie jeder andere. Er hat nur seine Pflicht getan“, so Haider.

Die ÖVP beruft eine Sondersitzung des Nationalrates ein, formuliert einen Misstrauensantrag. Frischenschlager gibt sich reuig. Er habe „einen politischen Fehler“ begangen, an einen Rücktritt „denke ich aber nicht“. Der eingebrachte Misstrauensantrag gegen ihn wird von SPÖ und FPÖ – nach langer Debatte – abgelehnt. Die rot-blaue Koalition überlebt. Frischenschlager aber hält sich nur noch bis Mai 1986 im Amt, bevor ihn Helmut Krünes ablöst. Reder verbringt die nächste Zeit in Kärnten, wo er Gastrecht beim dortigen ÖVP-Politiker und Großgrundbesitzer Wilhelm Gorton erhält. Sechs Jahre später, am 26. April 1991, stirbt „Österreichs letzter Kriegsgefangener“ in einem Wiener Krankenhaus.

(hell)

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