Glimpflich gelöst: Im Zweifel für die Wissenschaft

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Entnazifizierung. Zwei Drittel der Professoren an der Uni Wien galten 1945 als „belastet“. Nun liegt die erste Gesamtbetrachtung als Buch vor.

Der Pathologe Hans Eppinger war 1938 bis 1945 Vorstand der I. Medizinischen Klinik der Universität Wien, Anwärter der NSDAP und in medizinische Experimente an Häftlingen des KZ Dachau involviert. Im Juni 1945 wurde er entlassen. Vor seiner Einvernahme beim ersten Ärzteprozess in Nürnberg nahm er sich das Leben. So viel über Fälle wie diesen bekannt war, so wenig wusste man bisher über den Entnazifizierungsprozess an der Universität Wien insgesamt. Rechtzeitig zum 650-jährigen Jubiläum liegen die Fakten über dieses Kapitel der Universitätsgeschichte nun auf dem Tisch.

Der Politologe Roman Pfefferle vom Institut für Staatswissenschaft der Uni Wien und sein Vater, der Historiker Hans Pfefferle, gingen den Dingen im Forschungsprojekt „Entnazifizierung des Lehrkörpers der Universität Wien nach 1945“ auf den Grund. Die Finanzierung kam vom Zukunftsfonds der Republik Österreich, vom Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank und vom Rektorat der Uni Wien.

Hoher Anteil an Belasteten

„Bisher lag keine Gesamtbetrachtung vor. Das Herausfordernde waren die diffusen Prozesse, die verschiedenen Organe sowie die unterschiedlichen Zeitpunkte“, resümiert Roman Pfefferle. Die Projektergebnisse sind nicht nur als Buch nachzulesen („Glimpflich entnazifiziert. Die Professorenschaft der Universität Wien von 1944 in den Nachkriegsjahren“), sondern fließen auch in die Lehre ein.

Die Studie trage „zum Selbstbild der Universität bei und zeigt auf, an welche Forschungstraditionen unreflektiert angeknüpft wurde.“ Eppinger ist einer von 92 „belasteten“ Professoren der Universität Wien, die den Entnazifizierungsmaßnahmen unterworfen waren. „Im Jahr 1944 waren 74 Prozent der Professoren Anwärter oder Mitglieder der NSDAP“, sagt Pfefferle, der die Karriereverläufe von 124 Professoren studiert hat. Die akribische Archivarbeit zeigt auch auf, wie es einzelnen Gruppen, etwa den 21„Reichsdeutschen“, ergangen ist. Diese wurden nach dem Zweiten Weltkrieg „außer Dienst“ gestellt.

Die meisten Anwärter oder Mitglieder der NSDAP gab es an der Medizinischen Fakultät mit 83Prozent, gefolgt von der Philosophischen (77 Prozent), der Evangelisch-Theologischen (75 Prozent) und der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät (71 Prozent).

Um einen Schilling gekürzt

Nur die Katholisch-Theologische Fakultät blieb unbelastet. Dass die Dichte an SS- und SA-Funktionären an der Medizinischen Fakultät besonders hoch war, erklärt sich der Politologe unter anderem damit, dass Professoren auch Leitungsfunktionen an Universitätskliniken innehatten.

Der Entnazifizierungsprozess kam zwar rasch in Gang – parallel dazu gab es noch einen zweiten Prozess, nämlich Amnestien und Rehabilitierungen. Zu den schärfsten Maßnahmen der Entnazifizierung zählte wie bei Eppinger die Entlassung. Weitaus gängiger war es, belastete Professoren – mit oder ohne Abzüge – in den vorzeitigen Ruhestand zu schicken: Das traf 38Prozent der Entnazifizierten. „Oft kam es zu einer Pensionskürzung um ein Drittel oder um die Hälfte. Symbolische Kürzungen um einen Schilling kamen auch vor“, erklärt Pfefferle.

Bei 29 der 92 belasteten Professoren wurde die Sonderkommission I. Instanz eingesetzt, um zu prüfen, ob sie sich für eine weitere Verwendung eignen. Die Universitätsleitung hatte speziell kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs das Ziel, den Universitätsbetrieb aufrechtzuerhalten und war gewillt, manche belastete Professoren wieder zu integrieren – für die Forscher ein Indiz, warum die Sonderkommission auffällig oft für deren Wiederaufnahme entschied. Einen weiteren Grund sehen sie in der Zusammensetzung der Sonderkommission und der Rolle, die Sektionschef Otto Skrbensky vom Unterrichtsministerium gespielt hat, der laut Pfefferle „insbesondere für die Rehabilitierung der ,eigenen Leute‘, also jene seiner Gesinnungsgemeinschaft, Sorge trug“. Letztlich gelang es rund zwei Drittel der Entnazifizierten, ihre Universitätslaufbahn an einer in- oder ausländischen Universität fortzusetzen.

Vorlesungen anonym gehalten

Die Ansichten darüber, wie mit belasteten Professoren verfahren werden sollte, gingen damals massiv auseinander. Autor Pfefferle identifizierte mehrere Tendenzen: Sie reichen vom Ruf nach einem rigorosen Austausch der Lehrkräfte über eine möglichst bruchlose Kontinuität bis hin zur raschen Fortsetzung des Lehrbetriebs.

Dafür griff die Universitätsleitung zu verschiedenen Strategien: „Manche Professoren wurden semesterweise zugelassen, andere hielten ihre bisherigen Vorlesungen anonym als NN, was für Nomen Nominandum steht, und bedeutet, dass ,der Name noch zu nennen‘ ist.“

Schwierige Schuldfrage

Was haben sich die Professoren aus den unterschiedlichsten Disziplinen nun konkret zu Schulden kommen lassen? Für den Gesetzgeber waren formale Kriterien wie eine Anwärter- oder NSDAP-Mitgliedschaft zentral, weniger jedoch die Frage, ob sich die Gesinnung auf Verhalten, Forschung und Lehre auswirkte. Nur vereinzelt wurde dem nachgegangen, hatte aber keine Konsequenzen.

Die Verschränkung von NS-Ideologie und Wissenschaft ist jedoch Fakt, und die Forscher zeigen dies anhand von Biografien, etwa in Physik, Literaturwissenschaft, Sozialgeschichte, Archäologie und Medizin auf. So klar wie im Fall Hans Eppingers ist die Frage nach der Schuld von Wissenschaftlern nicht immer zu beantworten. Denn was an Gedankengut in Forschung und Lehre eingeflossen ist und welchen Schaden dies angerichtet hat, ist teilweise noch immer ungeklärt.

LEXIKON

Die kollektivbiografische Studie analysiert den Entnazifizierungsprozess der gesamten Professorenschaft und rekonstruiert Einzelbiografien. Etwa die Biografie von Otto Skrbensky, einer „Schlüsselfigur der Entnazifizierung“: Der Sektionschef des Unterrichtsministeriums und Vorsitzende der Sonderkommission I. Instanz war konservativer Katholik, Adeliger und Mitglied im Cartellverband. Die Studie ist kürzlich als Buch erschienen: „Glimpflich entnazifiziert“, Vienna University Press.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2015)

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