Sorry, Europa, aber wir Ukrainer geben nicht auf!

Warum es der russischen Propaganda so leicht fällt, die Welt zu täuschen.

Als die Ukraine im vergangenen Februar von Russland angegriffen wurde, fragte man im Westen immer wieder: Wieso verteidigt ihr euch nicht? Jetzt, beinahe ein Jahr später, fragt man das Gegenteil: Wieso verteidigt ihr euch noch, wo es doch so klar ist, dass Russland euch weit überlegen ist? Die sture Ukraine, die sich weigert, ihre Freiheit aufzugeben, ist zu einem Problem der freien Welt geworden. Hätte sie nur klein beigegeben – wie schon so viele in der freien Welt!

Es hängt spürbar in der Luft: Man will wieder Ruhe und – die Illusion der – Sicherheit in Europa haben. Man will wieder „Russland als Partner“ haben. Der Preis ist heiß – die Ukraine.

Von überall hört man: Ein Kompromiss muss her. Und mit „Kompromiss“ meint man – wie viel ukrainischen Boden soll man dem Kreml zugestehen: die Krim und den halben Donbass oder die Krim und den ganzen Donbass? Oder gleich die halbe Ukraine? So groß ist nämlich „Neurussland“.

Das „alte Europa“ ist kompromissbereiter als das „neue Europa“. Warum bloß? Vielleicht hat das damit zu tun, dass der niedliche russische Bär nicht so niedlich ist. All die Post-Gorbatschow-Jahre hat dem Bären etwas gefehlt. Jetzt hat er es. Seine Pfoten sind blutverschmiert, die ganze Welt zittert vor ihm – und er genießt jede Sekunde davon. Er sieht darin ein Zeichen seiner Rückkehr zur Großmacht.

Des Bären „legitime Interessen“

Was den Europäern als größte Krise der Gegenwart erscheint, wird in Russland als Errungenschaft gesehen – endlich haben wir es denen gezeigt! Und die Europäer scheinen zu hoffen: Man gesteht dem Bären ein Stück seiner „legitimen Interessen“ zu und er gibt sich zufrieden. Ja, vielleicht. Vielleicht zieht sich der Bär sogar in seine Höhle zurück. Wie er es bereits in Georgien 2008 tat. Aber er wird zurückkommen. Und seine „legitimen Interessen“ werden dann noch größer sein. Genau deshalb ist den baltischen Staaten so unbehaglich.

Man hat in Europa immer noch nicht begriffen: Nach 2014 gibt es kein Zurück zu business as usual. Nachdem man bereits einen Teil Georgiens de facto geopfert hat, ist dort der Glaube an das „europäische Haus“ geschwächt. Wenn das Gleiche der Ukraine widerfährt, wird der Mythos von europäischer Solidarität völlig dahin sein.

Die bittere Wahrheit

Und da sich Georgien und die Ukraine für Demokratie entschieden haben und dafür brutal bestraft wurden, sieht man jetzt klar, dass Europa einige Dinge wichtiger sind als Demokratie. Nämlich: Ruhe und die Möglichkeit, mit dem Diktator frei zu handeln.

Was wird der Kreml dem Westen als Nächstes wegnehmen? Die Selbstachtung? Die transatlantische Einigkeit? Können die Europäer nicht erkennen, wie geschickt ihre Welt auseinandergenommen wird? Klar können sie das. Nur die Wahrheit ist zu bitter, um sie anzuerkennen. Es ist aber viel leichter zu vergessen, dass die Ukraine für die Demokratie blutet. Es ist viel leichter, an die russische Lüge vom „Bürgerkrieg in der Ukraine“ zu glauben. Man fragt sich, warum es der russischen Propaganda so leicht fällt, die Welt zu täuschen. Weil die Welt eben getäuscht werden will. Weil die Wahrheit für Europa zu schmerzhaft ist.

Liest man in den Medien vom „Bürgerkrieg“ und Wladimir Putins „neuen Friedensinitiativen“, hat man öfters das Gefühl, der Kreml habe schon gewonnen. Nur, die Ukraine kämpft weiter. Der ukrainische Staat ist mit Nuklearwaffen zerstörbar, die Ukrainer mit ihrem unerschütterlichen Glauben an Europa aber nicht. Vielleicht ist die Ukraine der letzte Ort, wo man noch fest an Europa glaubt.

Dr. Olexander Scherba steht seit 1995 im diplomatischen Dienst der Ukraine und ist seit November 2014 Botschafter seines Landes in Österreich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2015)

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