Stillleben mit Schankfrau

„Expedition Europa“: Endlich moldawischer Schriftsteller sein! Ein Antrag um Aufnahme.

Sehr geehrte Damen und Herren! Sie kennen mich nicht, und doch ersuche ich hiermit um Aufnahme in den moldawischen Schriftstellerverband. Auch wenn ein deutsch schreibender Österreicher mit slowakischem Wohnsitz Ihr Profil vielleicht sprengt, will ich nirgendwo anders Mitglied sein. Das Bessarabische hat mich mit schleichender Verführung erfasst.

Ich halte mich bereits in Ihrer Hauptstadt auf. Ich sitze in den billigen Kellerbistros am lebhaften Zentralmarkt, rundherum kleingewachsene Marktburschen, die unter lebhafter Bewegung des ganzen Oberkörpers schlürfen, schmatzen, schlecken. Derweil wohne ich noch in einer tageweise mietbaren Wohnung. Sie wissen schon, in einem der vielen Kischinauer Liebesnester: das Schlafzimmer austapeziert mit Rosen auf Anthrazit, die Bettwäsche getigert, eine Wand verspiegelt. Ich komme aber nicht mit sexuellen Absichten. Ich gehe fleißig ins Nationaltheater, auch wenn mir dieses sowohl in ungarischen Komödien als auch in moldawischen Tragödien dieselben Witze über Gestank und Geschnarche serviert. Ich bin mit meinen moldawischen Büchern gekommen. Die drei Buchreihen, transnistrische und gagausische Druckwerke eingeschlossen, machen sich im effektvollen Lichtdesign der Bumswohnung gut. Bei meiner Einreise nahm der Zöllner ein Buch vom Rücksitz, übrigens von einem Ihrer Mitglieder verfasst, und begann versonnen darin zu lesen. Er hatte keine weiteren Fragen. War das kein Zeichen?

Herrlicher Cognac, Frivolität

Ich kann meinen Genuss an Moldawien nur mit Mühe erklären. Weinberge von Süd bis Nord, herrlicher Cognac, die sanfthügelige Stille streicht mir wie Balsam über die Seele. Die weibliche Frivolität in einem Café, drei Fingernägel rot, zwei gülden lackiert; auf dem Dorf hingegen eine unbeheizte „Cafenea“ ohne Kaffee, ein Stillleben mit Schankfrau im Ledermantel, die Tür in die Winternacht hinaus offen. Die Beratungen mit Trafikantinnen darüber, was gerade als Tageszeitung, als Dreitageszeitung, als Wochenzeitung oder nie wieder erscheint. Freies Parken im Zentrum der Hauptstadt, überhaupt eine Lässigkeit des Südens. „Ihr in Europa lauft wie Automaten“, erklärte mir einmal ein Schaffner. „Ihr funktioniert perfekt. Aber wehe, es gibt einen Kurzschluss – dann steht ihr da!“

Am unwiderstehlichsten zieht mich schließlich die rumänisch-russische Zweisprachigkeit an, die sich durch Gespräche, Menschen und Sätze zieht. In meiner Eigenschaft als Mitglied würde ich sogar Schweizern und Belgiern erzählen, was sie sich von Ihnen abschauen können. Halten Sie sich fest: Zwischen den Schlaglöchern und Gebäudegerippen Moldawiens finde ich eine bezaubernde Mischzivilisation aus erstem und drittem Rom, mit heftig byzantinischen Bräuchen.

Gewiss hat es gute Gründe, dass die Einwohner aus dem ärmsten Land Europas fliehen. Es gibt wohl viel Böses hier, Naivität, Verrat, Verachtung, und mit Blickauf den Ukrainekrieg spüre ich bang eine geistige Aufrüstung zum Bürgerkrieg. Und doch ist es so ruhig. Die Unterlagen der Banktransaktion, welche das moldawische Finanzsystem erschüttert, wurden in ein Auto gepackt, das Auto am Stadtrand abgefackelt. Niemand regt sich auf.

Sehr geehrte Damen und Herren vom moldawischen Schriftstellerverband! Eine Freundin mit Mitgliedskarte sagt zu mir: „Du machst es dir unnötig schwer. 20 Portionen Gegrilltes, und sie nehmen dich auf.“ Ich will aber den ehrlichen Weg beschreiten. Ich arbeite an meinem Rumänisch, ein paar Gedichte kann ich schon aufsagen. Ich räume ein, mein Beitrag zur moldawischen Literatur beschränkt sich vorläufig auf diesen Antrag. Dennoch bitte ich um wohlwollende Prüfung. Mehr als meine Liebe habe ich nicht zu bieten. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2015)

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