Der vergessene Geburtstag

Kein Geburtstagsanruf in der Früh, kein Packerl am Nachmittag, nicht einmal ein schnödes SMS zwischendurch!

Ha, vergessen! Zwei Verwandte, zwei sehr nahe Verwandte sogar, haben glatt den Geburtstag von Marlene vergessen, unserer Jüngeren. Kein Anruf in der Früh, kein Packerl am Nachmittag, nicht einmal ein schnödes SMS zwischendurch, wobei man natürlich differenzieren muss: Der eine hat sich im Datum vertan, der andere einfach nicht daran gedacht, und nein, ich nenne keine Namen. Ich bin doch keine Petze.

Aber schadenfroh bin ich. Genau: schadenfroh. Sonst bin nämlich immer ich diejenige, die alles vergisst: Geburtstage, Muttertage, auch unseren Hochzeitstag. Dabei kenne ich alle Daten. Auswendig! Und das aktuelle Datum weiß ich meistens auch. Es ist mir nur unmöglich, das eine mit dem anderen zu verknüpfen, irgendwo im Kettenschluss „Am 16. Juni hat X Geburtstag. Heute ist der 16. Juni. Also hat X heute Geburtstag“ ist bei mir der Wurm drin, und ich bin mir nicht sicher, ob dieser Wurm dafür verantwortlich ist, dass ich Jahrestage und Jubiläen für überschätzt halte, ob also das tiefe Gefühl meiner Unzulänglichkeit dazu geführt hat, dass ich auf Glückwünsche, ob aktiv oder passiv, gut verzichten kann. Oder ob umgekehrt hinter meiner Vergesslichkeit schiere Gleichgültigkeit steckt.

Mangelnde Zuverlässigkeit. Ich behaupte, ich bin einfach nicht gut darin, an etwas zu denken. Dafür bin ich super in Abläufen, also darin, jeden Mittwoch Bratkartoffeln zu machen, jeden Freitag eine Kolumne zu schreiben und jeden Samstag bei Eltern, Geschwistern und Co. anzurufen. Nur ist der 16. Juni heuer leider kein Samstag, sondern ein Dienstag, kein Wunder, dass ich ihn wieder vergessen werde, weshalb mich vorsorglich irgendeiner meiner Vorarlberger oder Tiroler Verwandten schon frühmorgens anrufen wird, sie kennen mich schließlich; vermutlich haben sie geknobelt, wer diesmal dran ist, um mich zu erinnern. Und ja: Ich weiß genau, was ihr euch denkt, wenn ihr das Telefon zur Hand nehmt, seufzend ob meiner mangelnden Zuverlässigkeit: „Wird sie sich denn niemals ändern?“

Nein. Aber das Schöne ist: Ihr könnt euch ändern, wie man sieht, ihr könnt Marlenes Geburtstag vergessen, was ihr übrigens völlig egal ist, zumindest – so viel Materialismus muss sein – solange sie irgendwann ein Geschenk bekommt. Sonst weiß sie, dass Omas und Opas, Tanten und Onkel, Cousins und Cousinen oft und mit Liebe an sie denken. Muss ja nicht gerade an diesem einen, bestimmten Tag im Frühling sein.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2015)

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