Zusehen ist das neue Spiel

Jemandem beim Spielen zuzusehen ist oft unterhaltsamer, als selbst zu spielen. Die „Let's Plays“ sind immens erfolgreich und führen zu einer besonders kommunikativen Form der digitalen Spielkultur.

Es ist kein Geheimnis, dass Menschen unter 30 immer seltener in klassischer Weise fernsehen. Stattdessen werden via Webstream die Sendungen dann angesehen, wenn es zeitlich passt. Oft sind die Angebote der TV-Stationen für junge Zuseher uninteressant – vielfach werden ausschließlich die Inhalte der neuen Fernsehstars, der sogenannten YouTuber, konsumiert. Diese bieten eine breite Palette an Themen: locker aufbereitete News mit Kommentar, Erlebnisse aus dem Alltag, Koch-, Schmink- oder Basteltipps, Videoreportagen und vieles mehr.

Auch Videospiele sind in der digitalen Fernsehwelt wichtig, mehr noch: Sie sind ein Themenfeld, das besonders aktiv und vielseitig behandelt wird. Das wohl zugänglichste und gleichzeitig erfolgreichste Format ist „Let's Play“. Das Prinzip ist denkbar einfach: Jemand spielt ein Spiel und filmt alles mit. Man sieht in erster Linie das Spielgeschehen, den Let's-Player selbst klein dargestellt in einer der Ecken des Bildschirms. Auf der Tonebene ist der Kommentar des Spielenden wichtiger als die Geräuschkulisse des Spiels, denn das Publikum will natürlich unterhalten werden. Ob man besonders gut spielt, ist oft weniger relevant als die Frage, wie lustig und einfallsreich man ist. Ein „Let's Play“ sieht auf den ersten Blick einfach aus, doch für Laien ist es nicht leicht, sich auf das Spielen zu konzentrieren und gleichzeitig ständig zu kommentieren.

„Let's Plays“ werden vielfach live ausgestrahlt, meistens über den Games-Streaming-Dienst Twitch, der vergangenen September für unglaubliche 970 Millionen US-Dollar vom IT-Riesen Amazon gekauft wurde. Doch auch auf dem allgegenwärtigen Online-Videoservice YouTube sind Clips über digitale Spiele stark im Vordergrund. Der am meisten gesehene User heißt Felix Kjellberg und kommt aus Schweden. Auf YouTube kennt man ihn unter seinem Pseudonym PewDiePie, derzeit steht er bei über 36,2Millionen Abonnenten. Jedes neue Videovon Kjellberg – meist sind es zwei pro Tag – hat über eine Million Zugriffe. Die Faszination seiner Videos liegt in einer Mischung aus sympathischer Selbstdarstellung, unaufhörlichem Herumblödeln und dem Spielen diverser Computerspiele. Je kurioser und absurder die Erlebnisse im Spiel sind, desto mehr überdrehte Kommentare und Faxen macht Kjellberg dazu. Diese Schrillheit ist von vielen anderen Spielern übernommen worden, in der Hoffnung, ähnliche Aufmerksamkeit zu erfahren.

Doch noch wichtiger als expressives Auftreten ist auf YouTube das Prinzip der Authentizität. Genauso wichtig wie die Selbstinszenierung ist das Eingestehen und Spielen mit den eigenen Schwächen. Nirgendwo sonst geht das so unmittelbar wie im Bereich der Computerspiele, denn hier ist das Scheitern nahezu programmiert. Die meisten Spiele verlangen Leistung ab, und in den seltensten Fällen kommt man dabei weiter, ohnevorher mehrere Bildschirmtode zu sterben. „Let's Plays“ setzen hier in zweierlei Hinsicht an: Einerseits wird das eigene Scheitern amüsant in Szene gesetzt – mit Lachen und Fluchen –, andererseits werden durch das Vorspielen der Games auch viele Tricks vorgezeigt, wie man es (nicht) machen sollte. Beim Spielen zusehen, statt selbst Hand anzulegen ist also informativ und erleichternd. Denn die anderen straucheln und ärgern sich genauso oft wie man selbst.

Nun könnte man meinen, dass die vielen Videoclips, in denen man die neuesten Computerspiele in Aktion sieht, dem Verkauf dieser Spiele entgegenstehen. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall: Durch die hohe Aufmerksamkeit, die „Let's Plays“ und andere Computerspielvideoformate generieren, werden die Clips in vielen Fällen als umfangreiche Promotionvideos wahrgenommen. Die Zuseher werden durch ihre Lieblings-YouTuber unterhalten und erfahren gleichzeitig etwas über ein neu auf dem Markt erschienenes Spiel.

Das Zusehen beim Spielen hat im Übrigen seit einigen Monaten den klassischen Fachjournalismus überflügelt. Klassisch geschriebene Artikel – in Print und online – haben bei Weitem nicht mehr jene Bedeutung, die den bekannten Games-Gesichtern auf YouTube und Twitch zukommt. Viele Journalisten sind deshalb auf Videoformate umgestiegen, die die geschriebene Berichterstattung wahlweise begleiten oder ersetzen. Die Konsumenten sind immer weniger an herkömmlichen Testberichten interessiert, sondern wollen die Spiele in Aktion sehen. Selbst die Trailer zu Spielen werden auf YouTube mittlerweile umgeformt. Die Videoserie „Honest Game Trailers“ rückt bestimmte Spiele nicht in ihr bestes Licht, sondern zählt auf unterhaltsame Weise auf, welche Seltsamkeiten und merkwürdige Dynamik ein bestimmtes Spiel und seine Community oft erzeugen können.

Digitaler Slapstick, virtuelles Chaos

Diese neue Ehrlichkeit ist für viele professionelle Promotoren immer noch ungewohnt, denn üblicherweise stellen sie ein Produkt mit schönen Worten poliert in die Auslage, um es makellos erscheinen zu lassen. Eine hohe Produktionsqualität und gute Spielideen sind selbstverständlich sehr wichtig, doch der Absurditätsfaktor sollte nicht unterschätzt werden. Nicht umsonst sind Spiele wie der satirische „Goat Simulator“, bei dem man mit einer Ziege durch eine virtuelle Welt läuft und wahllos Chaos anrichtet, so erfolgreich. Ein Spiel wie dieses ist perfekt auf die „Let's Play“-Kultur abgestimmt: Unerwartete Situationen sind programmiert, der digitale Slapstick regiert und lädt zum Nachahmen ein. Auch der Kassenschlager „Grand Theft Auto“, jene Gangsterepos-Reihe, die kürzlich in ihrer fünften und größten Ausgabe für Windows PC erschienen ist, besticht in der Praxis vor allem durch Blödeleien. Die Spieler auf YouTube und Twitch schießen dabei nicht mit grimmiger Miene virtuelle Figuren über den Haufen, sondern laufen in Badehose durch einen Vergnügungspark und fahren mit Autos so lang querfeldein, bis diese irgendwann unter großem kollektiven Gelächter explodieren.

Videos haben das Videospiel also nicht getötet, sondern vielmehr wichtige soziale Aspekte zum Vorschein gebracht. Die Haupterkenntnis ist, dass ein Spiel nur mit der menschlichen Komponente wirklich strahlt, es dabei nicht um eskapistisches Abtauchen und das Abliefern perfekter Leistungen geht, sondern um lockere Unterhaltung, geteilt mit Freunden. Ist man beim Spielen auch noch schlagfertig, kann es sein, dass die Anzahl der Freunde irgendwann in den mehrstelligen Millionenbereich klettert. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2015)

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