Einen Stiefel reden

Warnung! Die Lektüre von Texten Friedrich Achleitners kann Ihren Umgang mit Sprache verändern. Auch in „wortgesindel“ grenzt das Philosophische an das Groteske und umgekehrt. Am 23.Mai feiert der Dichter und Architekt seinen 85. Geburtstag.

Einschlafgeschichten“ (2003), „wiener linien“ (2004), „und oder oder und“ (2006), „der springende punkt“ (2009) und nun: „wortgesindel“ – die Titel von Friedrich Achleitners Kurzprosabänden lesen sich so lakonisch, so einfach-kompliziert und sopointiert wie deren Inhalte. Doch sei vor zu intensiver Achleitner-Lektüre gewarnt! Denn während ich das Wort „Inhalte“ schreibe, höre ich in Gedanken die für Achleitners Prosa charakteristische Erzählerstimme bereits über den Begriff „Inhalte“ variieren: über das Innen, das Behältnis, das Einhalten, das Halten, den Halt und die Frage, ob das Gegenteil von „Inhalten“ wohl „Aushalten“ sei. Es soll hier aber nicht auf einem Terrain dilettiert werden, das kaum jemand so souverän beherrscht wie der 1930 im Innviertel geborene Schriftsteller und Architekt, der sich nach seinem Studium bei Clemens Holzmeister auch als Architekturtheoretiker und -kritiker einen Namen gemacht hat. Das Beispiel stellt vielmehr unter Beweis, wie sehrdie Lektüre von Achleitners leise wirkenden Texten den eigenen Umgang mit Sprache verändert. Nicht nur um den Genuss zu steigern, ist es deshalb ratsam, die Texte in kleinen Dosen zu sich zu nehmen.

Achleitner, der gemeinsam mit H.C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Oswald Wiener als sogenannte Wiener Gruppe in die internationale Geschichte der Avantgardeliteratur eingegangen ist, hat in seinen Textarbeiten immer schon das Konzeptuelle, die Kurzform und Sprachkritik in den Vordergrund gestellt. Viele seiner Arbeiten sind Montagen von sprachlichem Found-footage-Material, etwa „die gute suppe“ (1958), in dem Lehrsätze aus einem Deutschbuch für US-amerikanische Besatzungssoldaten zu einem absurden Prosatext montiert wurden. Bekannt wurde der Schriftsteller Friedrich Achleitner vor allem durch seine Dialektgedichte, in denen er sprachspielerisch mit der Innviertler Dialektlautung arbeitete, und durch den „quadratroman“ (1973), an dessen strengem, quadratisch erscheinendem Satzspiegel der Formwille des Architekten abzulesen ist. In beiden Schreibprojekten sind die Techniken der konkreten Poesie, in der Sprache vor allem als Laut- und Formmaterial verwendet wird, deutlich erkennbar.

Nach einer längeren literarischen Pause und der Arbeit an dem mehrbändigen Führer „Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert“ meldete sich Friedrich Achleitner 2003 mit einer neuen Form des Schreibens zurück und publiziert seither regelmäßig Kurzprosa. Zu diesem Genre ist auch der jüngste Band zu zählen.

Der merkwürdige Titel „wortgesindel“ ist eine Wortneuschöpfung und, so der Autor sinngemäß, das Ergebnis einer ergebnislosen Suche nach einem geeigneten Titel. Allein diese paradoxe Erklärung zeugt von Achleitners fast schon hinterhältig zu nennendem Humor. Auf dem Buchcover wurde die Titelsuche in Form einer Titelliste mit Streichungen abgebildet. Dass die Zusammenfassung der Kürzestprosa unter einem Titel schwerfiel, liegt auf der Hand, umfassen die amüsanten und nachdenklich stimmenden Texte doch so unterschiedliche Themen wie die Subjektivität der Wahrnehmung, die Fehlfunktionen des Gedächtnisses, den Urknall oder absurde Aspekte der Wissenschaft. Kultur und Natur werden darin ebenso gegenübergestellt wie Bartträger und Nasenbohrer, das Philosophische grenzt bei Achleitner an das Groteske und umgekehrt. Anhand einer banalen Szene in einem Restaurant, die allein durch die Beschreibung absurd wirkt, wird etwa der Zusammenhang von Ereignis, Beobachtung und Berichterstattung vorgeführt, ohne dabei den Vorgang der Medialisierung expressis verbis zu reflektieren.

Am komischsten aber sind jene Texte, die sich am idiomatischen Sprachgebrauch entzünden und Redewendungen so lange weiterdrehen, bis die Alltagssprache ihrer mangelnden Reflektiertheit überführt ist. Auf diese Weise entstehen Exkurse über umgangssprachliche beziehungsweise dialektale Ausdrücke wie „einen Stiefel reden“ oder „antitscht sein“; vom Aussterben bedrohte Begriffe werden dadurch wie in einem Sammelalbum liebevoll archiviert. Überhaupt nimmt der Autor am liebsten die Sprache selbst aufs Korn: Ob es sich nun um „die pflege des deutschen stabreims“ handelt, neudeutsche Ausdrücke wie „o-ton“ oder „scheibchenweise“ oder die Ansagetexte automatischer Sprachleitsysteme verballhornt werden, Achleitners Sprachkritik ist erbarmungslos.

Selbst die absurdesten Themen dieses „wortgesindels“ weisen einen tiefgründigen Kern auf und stecken voller Verweise auf historische Ereignisse, Politik und andere Literaturen. In „sloterdijk“ etwa wird das Sphären-Projekt des deutschen Philosophen durch eine mit einem roten runden Gegenstand spielenden Taube ironisiert und mit Becketts „Endspiel“ verknüpft.

Aber man muss diese Anspielungen nichtunbedingt erkennen, um Genuss aus der Lektüre zu ziehen: Wunderbar ist das Plädoyer für das Spätaufstehen („für morgenstunden muss man nicht früh aufstehen, man kann auch wach bleiben“), das nicht mit bösen Spitzen spart: Frühaufsteher „erzählen einem dinge, die auch am nachmittag uninteressant sind“. So lässt sich der Band auch als subversiver Zitatenschatz verwenden – ob man sich damit jedoch Freunde macht, sei dahingestellt. Der Band endet mit dem Satz: „zu wortgesindel fällt mir nichts ein.“ Dafür, dass es angeblich nichts sein soll, ist dem Autor allerdings sehr viel eingefallen. ■

Friedrich Achleitner

wortgesindel

112S., geb., €17,40 (Zsolnay Verlag, Wien)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2015)

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