Der Wahn dieses Krieges

In der Ukraine tobt ein Krieg, den es angeblich nicht gibt, gegen einen imaginären Feind, den es niemals gegeben hat.

Ein jeder Krieg ist eine Zwickmühle zwischen Hass, Blutvergießen – und noch mehr Hass. Doch indem die Ukraine blutet, gilt der Hass Russlands nicht nur ihr, sondern er gilt auch den USA und der EU. Europa will diese Last nicht tragen. Man fragt sich, woher all die Aggression kommt – und führt sie gerne auf den „ewigen Hass“ zwischen Ukrainern und Russen zurück, dem Europa unschuldig zum Opfer gefallen sei.

Man kann die Emotion nachvollziehen – allerdings mit einer wichtigen Anmerkung: Den ewigen Hass zwischen Ukrainern und Russen hat es nie gegeben! Das ist ein Krieg zwischen Menschen, die oft dieselbe Sprache sprechen, dieselben Bücher lesen, dieselbe Musik hören. Ihre Vorväter kämpften gemeinsam. Ihre Familien und Lebensläufe sind verquickt. Gestern waren sich beide Völker so nahe, wie es nur geht. Heute nennen sie einander Faschisten.

Dieser Krieg ist eine surreale Geistesverwirrung. Man begründet die sinnlose Zerstörung eines Teils Europas mit der Bekämpfung von Rechtsradikalen, die in der Ukraine aber weder im Parlament noch im Ministerkabinett vertreten sind. Man rächt sich an der Ukraine für „gekreuzigte“ Kinder, die es niemals gegeben hat. Man beugt einem Nato-Beitritt der Ukraine vor, den – seien wir ehrlich – eigentlich niemand will. Auch die Ukraine wollte ihn nicht, bevor sie – blockfrei und nuklearfrei – von Russland angegriffen wurde.

Ein enormer Fehler

Das ist ein Krieg, den es angeblich nicht gibt, gegen einen imaginären Feind, den es niemals gegeben hat. Moralisch ist das ein Verbrechen. Psychologisch ist das eine Massenpsychose. Und geopolitisch ist es ein enormer Fehler Russlands – für den die ganze Welt bezahlen muss. Russland hatte die Chance, ein globaler Erfolg zu werden – wie China. Stattdessen entschied es sich, zum globalen Problem zu werden.

Russlands Entscheidung wurde zur Tragödie Europas. Aber der Ukraine die Schuld für diese Tragödie zu geben, wäre töricht und unfair. Alles, was die Ukraine wollte, war, auf europäische Standards umzusteigen und einen besseren Zugang zu europäischen Märkten zu haben. Doch dann kamen Putins „grüne Männchen“ (noch eine bizarre Facette dieses Krieges).

Die Ukrainer hatten und haben nichts gegen die russische Sprache, Kultur oder das Patriarchat. Womit sie in der Tat ein Problem haben, ist ein Staat, in dem sich zwei Männer die Präsidentschaft untereinander zuwerfen wie einen Ball. Uns passt das nicht. Genauso wenige passt uns ein Staat, in dem blutige Diktatoren der Vergangenheit wie Stalin oder Lenin wieder auf das Postament gestellt werden.

Die Revolution 2014 war unser Mauerfall, unsere Abspaltung von dieser blutigen, paranoiden Staatstradition. Nur diesmal saß im Kreml kein Michail Gorbatschow, sondern ein Mann, der in einer demokratischen Ukraine eine Bedrohung sieht. Er agierte, wie er und seine KGB-Kameraden auch 1989 agiert hätten – mit Gewalt. Der Gegenzug Europas steht noch aus. Er wird ebenso historische Konsequenzen haben.

Dr. Olexander Scherba steht seit 1995 im diplomatischen Dienst der Ukraine und ist seit November 2014 Botschafter seines Landes in Österreich.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2015)

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