Conchitas-Album: Alles, was wir am Genre Musical nicht mögen

EUROVISION SONG CONTEST 2015: EURO FAN CAFE VIENNA: WURST
EUROVISION SONG CONTEST 2015: EURO FAN CAFE VIENNA: WURST(c) APA/HERBERT NEUBAUER
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Conchita Wurst hat ihr opulentes Debütalbum rasch vor dem Song Contest auf den Markt geworfen.

Der Sieg von Conchita Wurst beim Song Contest 2014 war eine moderne Version des Aschenputtel-Märchens und hat die Nation in einen Taumel der Selbstverliebtheit gestürzt. Thomas Neuwirth selbst, der Erfinder dieser Kunstfigur, geriet in einen Wirbel, den bewältigt zu haben höchsten Respekt verdient. Jeder weiß, dass dieser Ruhm ephemer ist, und niemand verdenkt es Neuwirth, dass er diesen Popularitätsschub rasch kapitalisieren will.

Notfalls sogar mit Musik. Nachdem das Album zunächst für das Weihnachtsgeschäft 2014 geplant war, liegt es jetzt knapp vor Durchführung des neuen ESC endlich vor. Das bescheiden „Conchita Wurst“ benannte Debüt ist musikalisch von höchster Opulenz. Das Booklet hat die Anmutung eines Versandhauskatalogs für gehobene Markenware. Zu jedem Kleidchen, zu jedem Fußketterl gibt es penible Angaben bezüglich der Herkunft. Es sind klingende, meist französische Namen. Die kurze Zeit, in der die Türen der großen Modehäuser aufgehen, will eben genützt sein.

Jean Paul Gaultier wird Miss Wurst wohl kein Laufstegabo anbieten. Also setzt sie auf gellendes Pathos, mit dem Divas von Shirley Bassey bis Eartha Kitt von jeher attackierten.

Aufgepimpter Eurodisco

Der grässliche Albumopener „You Are Unstoppable“ wartet mit allem auf, was der feinsinnige Hörer am Genre Musical hasst: Unechte Gefühle werden mit strapazierter Stimme ins vermeintlich Überlebensgroße gewuchtet. Die Gehörgänge bluten, aber irgendwie versteht man die Message noch: „You are stronger than you are, you are unstoppable.“ Ja, eh. Und obwohl sich Conchita in den meisten Liedern so inszeniert, als wäre ihr die Liebe Atemluft, hat sie zur Untreue ein getrübtes Verhältnis. „Show me your scars, I'll show you mine“, bittet sie in „Up for Air“, einer aufgepimpten Eurodisco-Nummer.

Denkt man sich die vereinzelten Technoböller weg, erinnert „Out of Body Experience“ an den 1996 verstorbenen türkischen Sänger Zeki Müren, der in einer zwischen Islamismus und Militärdiktatur schwebenden Gesellschaft Frauenkleider getragen hat. Das war Hardcore. Kein Vergleich zu dem bisserl Gekeppel, das Conchita bisweilen zu erdulden hat. Erwartungsgemäß sind die meisten Lieder bieder klingende Konfektionsware, die darum fleht, als Haute Couture durchzugehen. Zwei Songs sind wirklich gut gelungen: das dezent angejazzte „Where Have All the Good Men Gone“ und der vitale Garage-House-Track „Firestorm“. Beim dahinplätschernden „Heroes“ taucht der Name Neuwirth überraschend in den Credits auf. „We can be so beautiful, listening to the sound of silence“, heißt es da. Gute Idee.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2015)

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