Moralische Leukodermie

Barack Obama zeigt uns, wie auch schwarze Haut weiße Interessen zu verteidigen vermag.

Wir haben jetzt Obama, sagt man neuerdings in Europa – ein überschwänglicher Hinweis darauf, dass nun alles anders geworden sei.

Wir? Falsch. Die Amerikaner haben jetzt Obama: als diplomatische Vorzeigefigur zwar, aber immer noch auch als militärischen Oberkommandierenden. Schon vergessen? Amerika ist nämlich in der Krise und außerdem im Krieg. Dass Obamas Funktion im Lichte solcher Berater wie Brzezinski unschöne Farbflecke trägt, ist ein Jammer. Jener hat doch noch 1997 in seinem gleichnamigen Buch vom „großen Schachbrett“ des Imperialismus geredet, in mittlerweile zeitgemäßer Begeisterung.

Wahre Veränderung? Weitab davon. Auf einer Welt vielleicht, die es nur in der Vorstellung gibt, hat sich das Leben völlig neu gestaltet und läuft nun ganz anders ab als bisher. In Wirklichkeit dreht sich mit religiöser Inbrunst weiterhin alles ums Geld – für die einen ums Schuften und materielle Bangen, für die anderen ums Abkassieren und die finanzielle Rettung. Fast fünfzig Millionen Amerikaner haben keine Krankenversicherung, aber bei einem Dutzend Unternehmen und Banken eilt es plötzlich mit der Hilfe.

Europa hat in Amerika geradezu Schule gemacht, realpolitisch natürlich. Danke, Obama! Für die Vereinigung der Staaten kommt er leider zu spät; die europäische Nachahmungstechnik hat vorher schon zwanghafte Züge angenommen. Sein persönlicher Beitrag ist aber in der Tat beispiellos. Er hält angeblich charmante Reden, mitunter auch vor tschechischen oder deutschen Besuchern im Freien. Sympathisch? Ein Zahnpastalächeln auf Englisch zumindest! Nur als er die Folterknechte seines Vorgängers begnadigte, sah er ganz ernst drein...

Die Bushs sind wenigstens fort. Auch die dynastische Politik hört durch Obama endlich auf, einmal abgesehen von den Clintons. Noch eine ungewollte Pigmentstörung? Gewiss. Die neue amerikanische Regierung ruht offensichtlich auf einem alten Apparat. Viel Regen wird noch fallen, bevor das Wasser als nass empfunden wird.

Der erste wahre Popstarpräsident

Obama ist der Beweis, dass das Kapital, klassenbewusst wie einst der Prolet, keine Heimat und keine Nationalität mehr hat. In seinem Kabinett sitzen zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte weder Vertreter von Arbeit noch von Industrie. Er ist sozusagen der gute Junge der Hochfinanz, für dessen „Internationale“ der Moneten er Unsummen aus Steuergeldern, sprich aus dem Volksvermögen, lockermacht.

Obama zeigt uns ferner, wie auch schwarze Haut weiße Interessen zu verteidigen vermag. Dass die Weißen des Westens auch weiterhin die Rohstoffe der gemeinsamen Erde ungehemmt und unverhältnismäßig ausbeuten und verbrauchen können, bis nichts mehr übrig bleibt, dafür wird er schon sorgen. Daran ist bislang auch kein Zweifel, und dies ist doch in aller Kürze das Wesentliche. Die Erpressung, Ausplünderung und Zwangsbefriedung nichtwestlicher Länder wird übrigens unter seinem Namen keinesfalls aufhören.

Kurz, Obama ist der erste wahre Popstarpräsident, also nur ein Bild, das zu erschaffen, zu verbreiten, zu pflegen und schließlich zu verkaufen ist. Der Warenfetisch hat selbst ihn zur Ware gemacht, zur politischen Marke daheim und zum Exportartikel in Übersee. Zugleich stellt er eine unterhaltungsindustrielle Wiederbelebung des Führerkults dar, zweckdienlich angepasst an die Gepflogenheiten einer bunten Fernsehwelt.

Und Obama ist Millionär. Obama lebt also im Luxus. Dort ist demgemäß sein geistiges Zuhause. Daher schenkt Obama nie und nimmer reinen Wein ein, wenn er sagt, er kenne die Sorgen der kleinen Leute. Denn er glaubt selbst nicht an die mediengerechten Schmeichelworte, die Veränderung und Umbruch versprechen. Sozialkosmetik und Imagekampagne erhalten somit eine neue Dimension, nämlich eine ideologische. Und Ideologie beginnt stets da, wo die Wirklichkeit aufhört.

Es wird nichts anders

Mit Obama wird tatsächlich nichts anders: nicht der Bezug des Kapitals zum Profit, nicht das Verhältnis des Produzenten zum Produkt, nicht das Interesse der Industrie an der Ökologie, nicht die Beziehung des Staates zu Bevölkerungen an sich. Die vollendete Marionette Obama ist, im Gegensatz zu seinem schwarzen Vorgänger Reverend Jackson, insofern ein hervorragender Schauspieler in einer erschreckenden Reality-Show. Der Schrecken rührt daher, dass sie für echt gehalten wird. Amerika ist eben die einzige Weltmacht mit Sonderstatus, der selbst sonderlich erscheint.

Obama verspricht etwas – und schon gilt es so viel wie die Einlösung des Versprechens. Diese Nachsicht kommt aus der Blindheit, und das alledem zugrunde liegende Wunschdenken wiederum aus der Naivität. Wer hat schon Angst vorm „schwarzen Mann“, wenn dieser eine saubere, weiße Weste trägt!?

Mladen Savic, geb. 1979 in Zagreb, lebt nach seinem Germanistik- und Philosophie-Studium in Kanada als freier Autor und Kolumnist in Wien.


meinung@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2009)

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