Die Sprache des Teufels

Das Vulgäre und das Erhabene: Aus diesem Gegensatz bezieht das Blasphemische seine Kraft. Ob sie des Teufels ist, darf bezweifelt werden. Über Kirchenaustritte, Lästermäuler und Lästernamen: Hinweise eines Exkaplans.


Erwarten Sie bitte nicht zu viel von mir. Ich kann Sie lediglich einladen, mit mir durch dick und dünn zu gehen beim Abschreiten des blasphemischen Begriffsfeldes. Dabei beziehe ich mich auf den Moralphilosophen Michael Walzer (Princeton), der 1996 einen Essayband unter dem eher schrulligen Titel „Thick and Thin“ veröffentlicht hat. Gemeint war die Differenz zwischen Lebensernst und Spielerei im Umgang mit Moral. In dieser Sichtweise erweisen sich die blasphemischen Aufregungen der vergangenen paar Jahrzehnte in Österreich als eher dünner Kaffee. Immerhin hat Gertraud Knoll Ende 2008 für den Zeichner Gerhard Haderer eine Laudatio gehalten, in welcher Haderers Jesusbuch zustimmend erwähnt wurde. Ich sage das mit geziemendem Respekt, weil Frau Knoll eine Art Exbischöfin verkörpert, während ich lediglich als eine Art Exkaplan auftreten darf.
Dementsprechend bescheiden ist mein Konto als Blasphemiker. Vor ziemlich genau fünf Jahren habe ich in der ORF-Sendung „Gedanken für den Tag“ kurz vor sieben Uhr in der Früh die folgende Passage verlesen: „In meinem Büchlein ,Weihrauch und Schwefel‘ habe ich mir einen kleinen Ausrutscher erlaubt und in der Einleitung ein paar Sätze aus dem Brief eines Bekannten zitiert, in denen das Wort – Pardon – ,ficken‘ vorkommt. ,Lieber Adolf‘, so schrieb mir der Bekannte, ,ich muss dir etwas gestehen. Ich habe der Gottesmutter Maria, einer Statue, die Zehen geküsst, und dabei kam es zur Erektion meines Penis. Ich möchte die Mutter Gottes im Himmel einmal ficken. Maria ist für mich so erotisch, durch und durch sexuell erotisch.‘ Mit dem Briefschreiber stehe ich seit Jahrzehnten in einer Art seelsorgerlicher Beziehung, die mit seinen schweren Ängsten vor der Hölle zu tun hat.“
So weit die Wortspende, die in der Folge den „Bundeskommunikationssenat“ (1014 Wien, Ballhausplatz 2, Ordnungszahl GZ 611.927/0006-BKS/2004) beschäftigte. Dessen Bescheid vom 26. April 2004, begründet auf sieben Blatt juristischer Prosa, kam zu dem „Spruch“, der ORF habe in der Zeit vom 15. Mai bis 29. Mai 2004 an einem Tag um 6.57 Uhr folgende Sätze zur Verlesung zu bringen: „Der Österreichische Rundfunk hat durch Wiedergabe von Äußerungen des Dr. Adolf Holl in teils vulgärer Sprache in der Sendung ,Gedanken für den Tag‘ am 12. Jänner 2004 um 6.57 Uhr gegen § 10 Abs. 1 ORF-G verstoßen. Der in vulgärer Sprache vorgetragene Wunsch eines anonymen Briefschreibers nach Geschlechtsverkehr mit der Gottesmutter Maria entsprach nicht dem für alle Sendungen des ORF geltenden Gebot, die Grundrechte anderer zu achten.“
Und damit hatte es sich. Der Spruch wurde vom ORF auftragsgemäß verlesen, unter Verzicht auf eine Beschwerde an den Verwaltungs- und/oder Verfassungsgerichtshof. Berichtenswert mag allenfalls sein, dass die Beschwerde an den Bundeskommunikationssenat von 6889 Personen unterstützt wurde. Es gab demnach eine Unterschriftenaktion, wie in der Zeitung „Die Tagespost“ nachzulesen ist.
Mit weiteren Details aus dem Reich der Paragrafen werde ich mich zurückhalten. Wenn Sie das Stichwort „Blasphemie“ angoogeln, werden Sie ohne Mühe auf Länder wie Saudi-Arabien stoßen, in denen auf blasphemische Äußerungen die Todesstrafe steht. Zu diesen Ländern gehört Österreich nicht. Bei uns glauben nicht einmal mehr die Pfarrer an den Teufel. Wie ein fester Teufelsglaube beschaffen ist, hat der Philosoph Ernst Bloch 1970 in Salzburg erzählt. Um 1700 herum wurde in Wernigerode am Harz ein Raubmörder zu dem sehr grausamen Tod auf dem Rad verurteilt, es sei denn, er sei bereit, in der bevorstehenden Walpurgisnacht auf einem nahe gelegenen Hexentanzplatz zu spionieren. Falls er lebend zurückkehre, sei ihm die Strafe erlassen. Der Mann lehnte ab, weil er seine ewige Seligkeit nicht verwirken wollte.
Der Zusammenhang zwischen Teufelsglaube und Blasphemie ist mentalitätsgeschichtlich evident. Zu den frühneuzeitlichen Begrifflichkeiten der Hexenbestimmung gehörte neben den Straftatbeständen der Ketzergesinnung und der Schadenszauberei auch die Teufelsbuhlschaft mitsamt den dazugehörigen Gottesbeschimpfungen. Vorsichtig geschätzt führten die genannten Kriterien zwischen 1560 und 1680 in Europa zu 50.000 Hexenverbrennungen, die Hälfte davon in Deutschland und Österreich. Heute steht am Hexentanzplatz auf dem Brocken eine Gastwirtschaft, so der alte Bloch, und da gibt es Damen, die sich als Hexen verkleidet, und Männer, die sich, je nach ihrer Körperform, als Dünnteufel und Dickteufel verkleidet haben und lachend auf dem Hexentanzplatz herumziehen. So leicht ist es der Aufklärung gelungen, die gesamte Satanologie zu entwurzeln. Auf der andern Seite ist durch den Ausfall der kritischen Auseinandersetzung mit dem Satanismus ein gänzlich leeres Feld übrig geblieben. Was als Gestank heute in der Luft liegt, hat noch keinen Begriff.
Das unbegriffene Böse ist, das wäre der nächste Schritt, aus Theologie und Philosophie in Kunst und Literatur emigriert. Statt vor dem Inquisitionstribunal wurde die Sprache des Teufels in der Schriftstellerei kultiviert. Das passierte vornehmlich in England und Frankreich. Wir dagegen bekamen unseren Metternich, dessen Arm auch nach Deutschland reichte, siehe Heinrich Heine.
Im katholischen Österreich sind, soweit mir bekannt, keine schwarzen Messen gefeiert worden, und es gab auch keinen Huysmans, der sie in allen Details hätte schildern können. Wir haben allenfalls ein sozialistisches Freidenkertum und einen bürgerlichen Antiklerikalismus zusammengebracht, siehe Anzengruber, Rosegger, Horváth. Dann kamen die Hitlerbuben, die waren auch antiklerikal. Aber das ist nicht mein Thema. Mein Thema ist der moralische Gehalt blasphemischer Rede und Schrift, mit besonderer Berücksichtigung der österreichischen Kunst seit 1945.
In Otto Mauers Wiener Galerie nächst Sankt Stephan sind die späteren Spitzenkräfte der österreichischen Malerei nach 1945 aus und ein gegangen und wurden von ihm ausgestellt, als noch kein Hahn nach ihnen krähte. Hollegha, Rainer, Mikl, Lassnig, Prachensky, Oberhuber. In der vollen Stephanskirche predigte Mauer mit schneidender Stimme, agierte parteipolitisch zwar eher rechts, kirchenpolitisch jedoch reformistisch. Als sich der apostolische Nuntius über die Anstößigkeit der in Mauers Gaslerie gezeigten Bilder aufregte, meinte der betroffene Monsignore, bei ihm sei alles abstrakt, die Nackerten hingen ohnedies im Vatikan.
Muntere Zeiten. Nach Mauers Tod, 1973 ging es mit dem Katholizismus bergab. Der Katholikenanteil Wiens sank innerhalb von 30 Jahren von 80 auf 50 Prozent, die geläufigen Indikatoren für Kirchlichkeit (Gottesdienstbesuch, Priesternachwuchs, Dogmatismus) tendierten hartnäckig nach unten. Drei bischöfliche Verkörperungen des Pfäffischen (Eder, Krenn, Groër) schlugen sich in der Statistik der Kirchenaustritte nieder, die ÖVP erinnerte sich zunehmend ungern ans hohe C. Und mit dem Tod Friedrich Heers 1983 verschwand der letzte international geachtete Repräsentant einer österreichisch-katholischen Mentalität von der Weltbühne, die über angemessene Umgangsformen mit dem österreichischen Katholiken Hitler verfügte. Blieb das unbegriffene Böse als gänzlich leeres Feld (Bloch, siehe oben). Keine saubere, sondern eine stinkende Leere. Sie wird gespürt.
Daher der Bedarf nach Exorzismen. In Wien schuf Alfred Hrdlicka sein Mahnmal vor der Albertina. Vergangenen März wurde eine Ausstellung über das „Religiöse im Werk von Alfred Hrdlicka“ im Wiener Dom- und Diözesanmuseum eröffnet, und alsbald hatte der kunstsinnige Kardinal Schönborn ein Problem. Aus fern und nah kamen wütende Proteste gegen Hrdlickas Radierung „Leonardos Abendmahl, restauriert von Pier Paolo Pasolini“, eine deutliche Travestie des heiligen Geschehens als Exzess unter Schwulen. sSchönborn ließ das Blatt abhängen. Die Schwelle der Ehrfurcht vor dem Heiligen sei übertreten worden, so Schönborn, selbstverständlich ohne sein Wissen.
Die verborgene Agenda des rasch vergessenen Skandals ist sozialwissenschaftlich längst bekannt, als autoritäre Fixierung bestimmter Milieus, rechter wie linker. Kenntlich werden sie durch ihre Neigung zum Stereotyp, das aus Andersdenkenden Feinde macht. Das von mir betreute Forschungsprojekt „Wie werden aus Menschen Monstren – Wie werden aus Monstren Menschen“ aus den Jahren 1988 bis 1993 war vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung finanziert. Über die Beiträge (vor allem von Antonio Fian, Josef Haslinger, Franz Schuh) habe ich als Motto ein afrikanisches Sprichwort gesetzt: „Better the devil you know than the devil you don't.“
Für mich gilt das immer noch, mit einem Seitenblick auf „Die Dämonen“ Heimito von Doderers. Im Mittelpunkt des Romans steht der Brand im Justizpalast am 15. Juli 1927. Doderer und Musil, das waren die Fünfzigerjahre, und beide Autoren, anders als Joyce, hatten fürs Blasphemische kein Talent.
Dann kamen die Sechzigerjahre und Peter Handke. Von ihm kenne ich einen Text, der einen neuen Ton in den Umgang mit den katholischen Sachen bringt: „Die Religion war mir seit Langem zuwider, und trotzdem spürte ich auf einmal die Sehnsucht, mich auf etwas beziehen zu können. Es war unerträglich, einzeln und mit sich allein zu sein. Es musste eine Beziehung zu jemand anderem geben, die nicht nur persönlich, zufällig und einmalig war, sondern in der man durch einen notwendigen, unpersönlichen Zusammenhang zueinandergehörte.“
Im Kontext gelesen, erweist sich „die“ Religion in Handkes Niederschrift als katholische. Der Abschied von ihr wirkt still, doch unwiderruflich, begleitet von einem Ungenügen, das den Icherzähler ratlos lässt: „So musste man dastehen, in nichts als Gegenstände und Vorgänge vertieft, mit einer stumpfsinnigen Frömmigkeit . . . Ich ging weg.“
Ja, es war und ist ein langer Abschied von der Religion oder vom „Heiligen“, wie man seit einiger Zeit sagt, um den Namen Gottes nicht vergeblich in den Mund nehmen zu müssen. Der Zug ist abgefahren. Manche rennen ihm nach, andere sind zornig, dass er nicht schneller verschwindet.
In den beiden Amerikas, in Afrika und Asien sind andere Fahrpläne in Verwendung. Dort wird täglich mindestens eine neue Religion gegründet, und auch das Blasphemische schlägt dort noch ein wie der Blitz. Nicht so in Österreich. Bei uns wird zwar Mariazell renoviert und der Stephansdom gerettet, aber sonst ist eher Eventmanagement angesagt. Das Blasphemische ist in die Pornografie abgewandert, kommt eventuell aus Pressburg und würde auf jeden Fall den mir gesetzten Rahmen sprengen. Wer sich in Böheimkirchen am Computer einen Beichtstuhl anschauen will, in dem obszöne Sachen passieren, benötigt dafür keine Hochkultur.
Damit wäre ich um ein Haar wieder im eingangs erwähnten „Vulgären“ gelandet, welches im Gegensatz zum Erhabenen steht. Das Blasphemische aller Zeiten bezieht aus ebendiesem Gegensatz seine Kraft. Ob sie des Teufels ist, darf bezweifelt werden.

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