Hannes Androsch: Ein Entrepreneur zieht Lebensbilanz

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Hannes Androsch skizziert seinen Lebensbogen und gibt den Nachfahren gute Ratschläge. Kreisky wäre 1959 fast Finanzminister geworden - Von Franz Vranitzky ist so gut wie keine Rede.

Als „Reflektionen“ will er es verstanden wissen. Es ist eine Lebensgeschichte, die mit gehöriger Turbulenz daherkommt: Hannes Androsch, 77, zieht Bilanz. Der Investor, der nach eigenem Bekunden schon lange nicht mehr „arbeitet“, sondern „tätig“ ist, präsentiert am 10. September seine Biografie, die er als Lehrstück angelegt hat: Und wenn du noch so tief fällst – du kannst dich selbst derrappeln! Du kannst mehr aus dir machen, als du es dir vor deinem Sturz erträumt hast. „Niemals aufgeben“ heißt das Buch.

„Ich gehöre zur ersten Generation, die zwar den Zweiten Weltkrieg noch erlebt hat, aber danach ohne Unterbrechung auch den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg Österreichs“, schreibt er. „Das ist Grund zur Demut und Dankbarkeit. Aber auch ein Grund, sich selbst sowie Alters- und Weggefährten Rechenschaft abzulegen.“ Er habe, sagt er im Gespräch mit der „Presse“, „allen Grund, dem Schicksal dankbar zu sein. Und allen, die diesen Weg ermöglicht haben . . .“

Der Lebensbogen, den der politische Mensch Androsch durchmessen hat, ist hinlänglich bekannt. Er war ein junges Talent, ein charismatischer Finanzminister, ein Liebling der SPÖ-Basis, ein Vizekanzler, der seinem Protektor Bruno Kreisky allzu forsch wurde. Der Kampf des Alten mit dem jüngeren designierten Nachfolger gehört längst zur Leidensgeschichte einer Partei – mit all den Verwerfungen, die bis dato zu spüren sind.

Die Nacherzählung ist nüchtern. Lebende Akteure werden höchst nachsichtig behandelt, oder gar nicht (Vranitzky). Dennoch finden sich Details, die nur der einst engste Vertraute des „Sonnenkanzlers“ Kreisky kennt. So sollte im Jahr 1959 die SPÖ das Finanzministerium bekommen. Sie hatte bei den Maiwahlen die Volkspartei zum zweiten Mal an Stimmen überholt, bekam aber aufgrund der Wahlarithmetik weniger Mandate als die ÖVP. Bei den Koalitionsverhandlungen wurde den „Roten“ anfangs sogar das Finanzministerium angeboten. Ironie des Schicksals: Ausgerechnet Bruno Kreisky, in Budgetdingen wahrlich kein Kapazunder, sollte es werden. „Kreisky hatte sich bereits von seinem Mitarbeiter Peter Jankowitsch aus der Parlamentsbibliothek das Handwörterbuch der Finanzwissenschaft ausleihen lassen. Die Industriellenvereinigung stieg aber entsetzt auf die Bremse, die ÖVP ließ den legendären Finanzminister Reinhard Kamitz nicht fallen.“ Kreisky, seit 1953 Staatssekretär im Außenministerium, wurde stattdessen dort Ressortchef . . .

Kein Vater-Sohn

Androsch hat immer wieder – seit seiner Demission im Winter 1980/81 – versichert, dass er nie wirklich die Kreisky-Nachfolge angestrebt habe. Auch das journalistisch ausgeschmückte „Vater-Sohn-Verhältnis“ habe so nie bestanden. Als politische Ziehväter habe er eher Karl Waldbrunner und Länderbank-Chef Franz Ockermüller betrachtet. Kreisky sah das bis in die Mitte der Siebzigerjahre ganz anders, wie man aus eigener Erfahrung berichten kann.

Dass ihm sowohl das Amt des Regierungschefs als auch des Bundespräsidenten verwehrt geblieben sind, scheint Androsch heute als abgeschlossen zu betrachten. Nur in amüsanten Facetten erkennt der Leser den Wettkampf zwischen ihm und Heinz Fischer. Eine paradoxe Situation bei den Sozialistischen Studenten in den Sechzigerjahren: Der „rote Heinzi“ aus altem SPÖ-Adel, im noblen Hietzing beheimatet, vertrat den linken Flügel; der Floridsdorfer Hannes Androsch, Sohn zweier Steuerberater, den pragmatischen. Der Vater Androsch „hat den Hannes extrem gepusht“, sagt die Schwester Sonja Schneider. „Einmal hat er ihm gesagt: Der Fischer hat schon wieder einen Artikel veröffentlicht, warum veröffentlichst du keinen?“

Deutlicher zur Person Fischer und dessen Funktion, die 2016 beendet ist, wird er nicht. Man muss zwischen den Zeilen lesen. . .

Wir erfahren Bekanntes über sein alltägliches Leben mit zwei Familien. Für beide hat der wohlhabende Mann in einer Weise vorgesorgt, die seinen Möglichkeiten entspricht: den zwei Töchtern je ein Wellness-Hotel, dem 18-jährigen Sohn Gregor in Graz zur Matura ein Viertel des Hotels in Maria Wörth. Für sie und seine Enkel hat er das abschließende Brevier verfasst. „Das soll – auch – eine Art Vermächtnis sein. Mehr noch: Basierend auf meinen Werten und Erfahrungen möchte ich allen Jüngeren einige Empfehlungen geben.

1. Seid bildungshungrig, stets offen gegenüber neuen Erkenntnissen! Macht, was euch Freude und Erfüllung bringt, aber macht es ganz, mit vollem Einsatz, auch mit der Bereitschaft, umzudenken und umzulernen.

2. Seid also in einem bestimmten Sinne verrückt, neugierig, erfindungsreich! Nur innovative, ,verrückte‘ Leute bewegen und verändern die Welt (. . . ).

3. Seid leistungsbereit, nutzt eure Chance! (. . .) Wer nicht bereit oder fähig ist, schnell und lebenslang zu lernen, der wird unwiderruflich zurückbleiben.

4. Seid selbstbewusst, aber solidarisch um eure Freiheit besorgt! Freiheit bedeutet auch Verantwortlichkeit, für sich wie für andere.

5. Seid international, denkt über die Tellerränder Österreichs hinaus, auch über die Europas! (...)

6. Seid euch des Privilegs bewusst, in Österreich leben zu können! Wir alle leben im elftreichsten Land der Welt, im drittreichsten Europas, trotz aller bestehenden Verteilungsunterschiede auch in einem der sozial am ehesten ausgeglichenen. (. . .)

7. Seid euch aber auch dessen bewusst, dass Österreich grundlegende Reformen benötigt! (. . .)

8. Seid euch der tickenden ,Generationenbombe‘ bewusst! Der Anteil der 20- bis 64-Jährigen wird von 62 Prozent (2012) bis 2030 auf 57 Prozent zurückgehen (. . .).

9. Seid politisch, nicht unbedingt parteipolitisch! Ich nehme für mich in Anspruch, mich mein ganzes Leben lang als Citoyen betätigt zu haben (. . .).

10. Seid niemals resignativ, lasst euch nicht unterkriegen! (. . .) Es scheitern nur jene, die liegen bleiben (. . .).“

Nächsten Montag:
Die Kreml-Protokolle zur Wende 1989.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2015)

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