Hitler entging Lahousens Bombe

Lahousen
Lahousen(c) Wikipedia
  • Drucken

Der erste Zeuge der Anklage im Nürnberger Prozess war 1945 ein österreichischer Abwehroffizier. Er gehörte dem Verschwörerkreis um Canaris und Oster an.

Sein Name: Erwin Heinrich René Lahousen von Vivremont. Sein Dienstgrad: Generalmajor der Deutschen Wehrmacht. Am 30. November 1945, es war ein Freitag, trat der 48-jährige, drahtige, schlanke Offizier vor die Richter des Internationalen Militärtribunals in Nürnberg. Er war der erste Zeuge in diesem spektakulären Prozess, aufgerufen von der amerikanischen Anklage gegen die deutschen Hauptkriegsverbrecher. Dies geschah völlig überfallsartig, die Verteidigung war darüber nicht informiert. Deren geharnischte Beschwerde verwarf der vorsitzende Richter.

Der Geheimdienstoffizier war zuvor von den Amerikanern tagelang einschlägig gebrieft worden. Seine Geliebte wurde eigens für ein Wochenende in den Zeugentrakt des Nürnberger Gefängnisses gebracht. Heute nennt man das „Kuschelzelle“.

Lahousen, immerhin lange Jahre ein enger Mitarbeiter der Abwehrchefs Canaris und Oster, durfte sich wegen seiner schweren Kriegsverletzung setzen. Die Empörung Hermann Görings kannte keine Grenzen. „Verräter! Schwein!“, zischte er vernehmlich. Denn was Lahousen vor dem Tribunal ausbreitete, war das gesamte Sündenregister der NS-Führung. Der Mann, einer der bestinformierten Militärs der Wehrmacht, wusste, wovon er sprach.

Acht Generationen hindurch hatten die Lahousen der habsburgischen Monarchie Kavallerieoffiziere gestellt. Erwin durchlief die Karriere im Eiltempo, heiratete in beste Kreise. Seine Ehefrau Margarete war eine Freifrau von Roth-Limanova-Lapanow. Das hinderte ihn nicht an einer Liebesbeziehung mit seiner Französischlehrerin, die längst für den Pariser Geheimdienst tätig war. Lahousen baute in den Dreißigerjahren den österreichischen auf.

Folgerichtig übernahm die Deutsche Wehrmacht 1938 den Nachrichtenoffizier in das Amt Ausland/Abwehr. Im Laufe des Krieges sammelten sich hier an die 50 Offiziere und Zivilisten um den Spionagechef Admiral Canaris, die mindesten 15 Mordanschläge auf Hitler planten. Neben Stauffenbergs Attentat vom 20. Juli 1944 war sicher jenes vom März 1943 das spektakulärste, an dem Lahousen direkt mitwirkte. Endlich waren die Verschwörer nämlich in den Besitz britischer Zünder gelangt, die erstmals geräuschlos funktionierten. Eine Bombe wurde als Geschenkpaket getarnt, die Etiketten versprachen drei Flaschen Cointreau. Lahousen brachte das Paket nach Smolensk, anderntags wurde es ins Flugzeug des „Führers“ geschmuggelt. Doch die Verschwörer warteten vergeblich auf die Todesnachricht. Im Frachtraum der „Ju 52“ dürfte es so kalt gewesen sein, dass der Zünder versagte. Unter Lebensgefahr musste nun nach der Landung die Bombe entfernt und mit echtem Likör vertauscht werden. Es gelang.

Auf wundersame Weise entging Lahousen schließlich dem Henker. Als nach dem 20. Juli 1944 fast alle Verschwörer verhaftet und bestialisch umgebracht wurden, vergaß die Gestapo auf Lahousen. Dieser hatte inzwischen ein Truppenkommando bekommen und war an der Ostfront tags zuvor schwer verwundet worden, lag im Lazarett und entging so dem sicheren Tod in Plötzensee.

In Nürnberg fühlte Lahousen nun die Verpflichtung, als fast einziger Überlebender des Verschwörerkreises die Ehre seiner ermordeten Kameraden – viele von ihnen adelig – zu vertreten. Dass ein Schatten auf ihre waghalsigen Versuche fällt, davon ist auch Erwin Lahousen nicht auszunehmen: Allzu lange hatte die militärische Elite dem Treiben des Diktators zugesehen, ihm sogar salutiert. Bei Lahousen fällt zusätzlich ins Gewicht, dass er von all den Gräueltaten aus erster Hand wusste, wie er selbst in Nürnberg aussagte. Erst, als sich das Blatt wendete und der Krieg für Deutschland katastrophal zu enden drohte, entschloss man sich, den Machthaber zu töten. Es war zu spät.

Auch für eine neue, letzte Karriere in seinem Heimatland Österreich war es für den General zu spät. Er starb kurz vor der Gründung des Bundesheeres der Zweiten Republik 1955, die ersten Pläne stammten noch von ihm.

Harry Carl Schaub

„Abwehr-General Erwin Lahousen“

Böhlau, 312 Seiten, 35 €

Nächsten Samstag:
Stauffenberg und Zessner-Spitzenberg – ein Vergleich..

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.