Und wer ist die Nonne?

Aus Kinderperspektive: César Airas kurze Trilogie der Irrwege.

In der Kürze liegt die literarische Würze der Bücher von César Aira. Diese scheint sich aber schwer zu verkaufen. 1949 in Coronel Pringles geboren, scheint er der prototypische „writer's writer“ der neueren lateinamerikanischen Literatur zu sein. Roberto Bolaño („Exzentrisch, aber einer der Besten“) und Carlos Fuentes, der Aira sogar den Nobelpreis prognostizierte, lobten ihn neben anderen hymnisch, doch ein größeres Publikum hat ihn hierorts noch nicht entdeckt. Matthes und Seitz ist schon der fünfte Verlag, der versucht, den „Autor von seltener Genialität“ („La Vanguardia“) durchzusetzen.

„Wollen wir ficken?“ Der übergewichtige, depressive Teenager Marcia meint nicht recht zu hören, als er sich still wie ein Mäuschen durch den belebten Stadtteil Flores schleichen will. Mao und Lenin, zwei offenbar lesbische Punkerinnen, stellen sich ihr in den Weg und 50Seiten später nimmt das ungewöhnliche Liebeswerben eine drastische Wendung: Da Liebe sich nicht erklären lässt, muss ein Liebesbeweis her. „Das Kommando der Liebe“ überfällt einen Supermarkt und richtet ein Blutbad an, das eines Tarantino würdig wäre: eine intensive „Verwandlung der Welt zur Welt“, ein Urknall, der jede Erzählkonvention sprengt.

Noch ein bisschen willkürlicher geht es in den beiden anderen Novellen zu. In „Wie ich Nonne wurde“ ist es ein sechsjähriges Mädchen, das in einen Vater-Tochter-Konflikt der üblichen Art gerät: Das Eis, das der Vater in Spendierlaune ausgibt, schmeckt ihr nicht; sie streiten, und der Vater wird mehr als verletzend, bevor klar wird, dass das Eis mit Zyankali vergiftet war. Daraufhin bringt der Vater den Eisverkäufer ohne große Diskussion um. Es folgt wieder ein typisch Aira'scher Handlungssprung: Der Arzt spricht das Mädchen mit „César“ an, und sie erzählt Geschichten, in denen sie als „Schüler Aira“ angeredet wird. Parodie einer Erzählung von einer unglücklichen Kindheit, Genderkomödie eines möglicherweise verlogenen Transsexuellen? Und wer ist die Nonne im Titel?

Wenn Pferde Selbstmord begehen

„Ein kleiner buddhistischer Mönch sehnte sich danach, aus seiner Heimat auszuwandern, die keine andere war als Korea.“ So beginnt die dritte der drei Novellen, in der der Mönch dem Westen zuerst mithilfe klassischer Bildung – Kunst, Philosophie, Literatur – näherzukommen versucht, ehe ihm der Zufall in Gestalt eines französischen Fotografen und dessen Frau zu Hilfe kommt. Napoleon Chirac ist nach Korea gekommen, um ein Kunstprojekt fortzuführen, und wird vom kleinen Mönch in die Widersprüche Koreas eingeführt: „Hier in Korea wurde das Ewige durch das Flüchtige erzeugt, nicht durch Schwere. Und das Paradox breitete beider Gleichwertigkeit aus?“ Dem Franzosen kommt der böse Verdacht, dass der kleine Mönch sie in eine Parallelwelt entführt hat, in dem Sponge Bob später Ausdruck einer mittelalterlichen philosophischen Debatte ist und Pferde Tempel erklimmen, um sich zu Tode zu stürzen.

Gemeinsam haben die drei Novellen eine Perspektive von unten, einen radikalen Kinder- und Jugendlichenblick auf das Leben, der sich wunderbar eignet, die Erwachsenenwelt auszuhebeln und neue Sichtweisen zu etablieren. Aira liebt das Hakenschlagen, es sind die logischen Um- und Irrwege seines Erzählens, die mehr als fantastischen Plots und seine kunstreiche Sprache, die eine Mehrfachlektüre geradezu herausfordern und zu einem literarischen Genuss machen. ■

César Aira

Der Beweis / Wie ich Nonne wurde / Der kleine buddhistische Mönch

Alle drei Bände aus dem Spanischen von Klaus Laabs. 96 S. / 126S. / 96S., brosch., €20 / 22,60 / 20 (Matthes & Seitz Verlag, Berlin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2015)

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