Seine Majestät, der Ladenhüter

Drei Aufnahmen, drei verschiedene Medien, drei doch unterschiedliche Impressionen ein und derselben Stimme: Kaiser Franz Joseph auf historischen Tonträgern – zur Geschichte allerhöchster Stimmabgaben.

Um 11 Uhr producirte mir ein Herr Wagemann“ – A. Theo E. Wangemann, Edisons Mitarbeiter und Europa-Vertreter – „den berühmten Edisonschen Phonograph, der ebenso erstaunlich, als interessant ist. Ich hörte ganz deutlich Bismark sprechen“, schreibt Kaiser Franz Joseph 1889 an seine „liebe, gute Freundin“, die Hofschauspielerin Katharina Schratt. So wenig aufgeschlossen der Kaiser gegenüber technischen Errungenschaften wie insbesondere dem Telefon oder Automobil angeblich war, so sehr scheint ihn hier also das erst zwölf Jahre zuvor von Thomas Alva Edison entdeckte Verfahren der Tonaufzeichnung zu faszinieren; und auch wenn Kaiser Franz Joseph – im Gegensatz zu anderen gekrönten Häuptern wie etwa dem deutschen Kaiser Wilhelm II. – zwar selbst nie in den Trichter eines Edison-Fonografen gesprochen hat, so nimmt sich die Beschäftigung mit den auf drei unterschiedlichen Tonträgern erhaltenen Aufnahmen seiner Stimme dennoch wie eine Tour d'horizon durch die Geschichte der frühen Schallaufzeichnung aus: vom Telegrafon über den Archivfonografen zum Grammofon.


„Diese neue Erfindung
hat mich sehr interessiert, und ich danke sehr für die Vorführung derselben.“ Mit diesen wohlwollenden Worten Kaiser Franz Josephs beginnt sein frühestes Stimmporträt und gleichzeitig die älteste erhaltene Magnettonaufzeichnung der Welt, die wir einem sogenannten Walzentelegrafon verdanken, das noch heute im Wiener Technologischen Gewerbemuseum aufbewahrt wird. Und mit einem weiteren Satz – hinzugefügt von Wilhelm Exner, dem Initiator und langjährigen Direktor dieses Museums – endet sie auch schon wieder: „Seine Majestät der Kaiser hatte die Gnade, diese Worte anlässlich höchstseines Besuches in der Ausstellung der österreichischen Erwerbungen auf der Pariser Weltausstellung in den Apparat zu sprechen.“ Wo genau jedoch diese historische Aufnahme stattgefunden hat, ist selbst für die Verfasser des kürzlich erschienenen Standardwerks zur Chronologie der Magnetbandtechnik (Friedrich Engel, Gerhard Kuper, Frank Bell: Zeitschichten – Magnetbandtechnik als Kulturträger) „bisher ungeklärt“. Mittlerweile lässt sich aber nicht nur diese Frage beantworten, sondern auch gleich das immer wieder kolportierte, jedoch falsche Aufnahmedatum – 20. September 1900 – korrigieren.

Blenden wir zurück. Tout Paris drängt im Jahre 1900 in die Pavillons der Weltausstellung in der Stadt an der Seine. Im Palais de l'Electricité ist der Ansturm der Besucher besonders groß; alle wollen eines der sensationellsten Exponate zu Gesicht bekommen und selbst erproben: das Walzentelegrafon des jungen dänischen Ingenieurs Valdemar Poulsen, ausgezeichnet mit einem Grand Prix. Als Angestellter der Kopenhagener Telefon-Aktiengesellschaft KTAS war Poulsen häufig mit dem Problem konfrontiert, bei Abwesenheit der angerufenen Person keine Nachricht hinterlassen zu können. Nach einigen Experimenten meldete er 1898 ein „Verfahren zum Empfangen und zeitweisen Aufspeichern von Nachrichten, Signalen o. dgl.“ zum Patent an – und legte damit den Grundstein für die elektromagnetische Schallaufzeichnung. Zunächst vor allem als Diktiergerät eingesetzt, sollte dieser Apparat zum Vorläufer unseres Anrufbeantworters und Tonbandgerätes werden.

Auch Wilhelm Exner, als „Generalkommissär der Österreichischen Abteilung“ vor Ort, ist von diesem „wohl zu den scharfsinnigst erdachten Objecten derWeltausstellung“ zählenden Apparat begeistert und erwirbt im Namen des Handelsministeriums ein Exemplar. Nach Ende der Pariser Weltausstellung am 12. November 1900 vergeht allerdings noch fast ein Jahr, bis diese und andere Erwerbungen der Öffentlichkeit präsentiert werden. Bei der Suche nach einer entsprechenden Lokalität fällt die Wahl auf den wenige Jahre zuvor gegründeten Kunstsalon von Gustav Pisko (Parkring 2), heute vor allem in Zusammenhang mit der „Neukunstgruppe“ um Egon Schiele ein Begriff.

Samstag, 12. Oktober 1901: Um 13 Uhr trifft Kaiser Franz Joseph im Salon Pisko ein. Gemeinsam mit Wilhelm Exner besichtigt er innerhalb der nächsten Stunde die Ausstellungsräume. Im sechsten Saal mit den technischen Erwerbungen wartet schon der eigens aus Kopenhagen angereiste Poulsen, um dem Kaiser sein Telegrafon vorzuführen. Zunächst lässt Poulsen selbst einige Worte aufzeichnen und bringt sie dem Monarchen zu Gehör. Hierauf spricht der Kaiser auf Bitte des Erfinders jenen eingangs zitierten Satz, um sich sodann „von der richtigen Wiedergabe des Wortlautes des Satzes und der Klangfarbe seiner Stimme“ zu überzeugen. Sein Urteil ist in der Tagespresse leider nicht überliefert.


„Ich beeile mich,
Ihnen mitzutheilen, dass wir gestern den Kaiser phonographirt haben.“ Sigmund Exner, namhafter Physiologe an der Universität Wien und erster Obmann der Fonogramm-Archivs-Kommission der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften, scheint noch ganz im Banne jenes außergewöhnlichen Ereignisses, als er diese Zeilen am 3. August 1903 aus seiner Sommerfrische in St. Gilgen am Wolfgangsee an den Präsidenten der Akademie, Eduard Suess, schreibt. Und weiter: „Er war ausserordentlich liebenswürdig, interessirte sich für das Unternehmen, und war mit Hr. Hauser und mir genau eine halbe Stunde allein im Saale seiner Villa.“

Nachdem man dem Kaiser auch noch von den ersten mit Fonografen ausgestatteten Expeditionen des Jahres 1901 nach Kroatien, Brasilien und Griechenland berichtet hat, wird ihm gegen Ende der Audienz in der „Kaiserlichen Villa zu Ischl“, also um etwa 13.30 Uhr, aus demselben Jahr „eine Deklamation des Hofschauspielers Lewinsky aus ,Wilhelm Tell‘, ferner eine oberösterreichische Dialektprobe vorgeführt“. Franz Joseph „äusserte sich befriedigt über die Vollkommenheit der Wiedergabe“, erkennt die Stimme Josef Lewinskys sofort, ist aber nach dem Abhören seiner eigenen Aufnahme überrascht, dass „seine Stimme anders klinge, als er es erwartet hätte“ – ein uns heutzutage wohlbekannter Effekt. Zufrieden ist auch Sigmund Exner – über den Verlauf und das Ergebnis der Audienz.

Exner, 1899 an derGründung des Fonogrammarchivs, des ältesten Schallarchivs der Welt, maßgeblich beteiligt, ist sich sehr wohl bewusst, dass ein derartiger Erfolg vor allem inHinblick auf Sponsorengelder für zukünftige Unternehmungen auch der Presse – und damit einer breiten Öffentlichkeit – nicht verschwiegen werden darf, ja „das Interesse des Publicums für dieselben wachgerufen werden muss“. Und so berichtet nicht nur die „Neue Freie Presse“ eine Woche später darüber, sondern am 11. August ziert eine Illustration dieses denkwürdigen Ereignisses gar die Titelseite der „Österreichischen Kronen-Zeitung“. Sie zeigt – neben Kaiser Franz Joseph – den Archivfonografen, der in Edisonscher Tiefenschrift den Schall nicht auf einer Walze, sondern einer Wachsplatte, dem sogenannten Fonogramm, festhält. Was den Wert dieser – vom technischen Assistenten Fritz Hauser nach „experimentellen Vorstudien“ von Ludwig Boltzmann und anderen im Fonogrammarchiv entwickelten – Technik ausmachte, war die Tatsache, dass zur Bewahrung des Originalklanges von den Wachsplatten auf galvanoplastischem Wege bis heute erhaltene vernickelte Kupfer-Matrizen (Negative) hergestellt wurden, von denen man dann beliebig viele „Archivplatten“ (Positive, aus Wachs oder Metall) gewinnen konnte.


1915. Der Erste Weltkrieg
ist in vollem Gange, und der vom ehemaligen Kriegsminister Franz Xaver Freiherr von Schönaich ein Jahr zuvor gegründete k. k. österreichische Militär-Witwen- und Waisenfonds redlich bemüht, seinen Aufgaben als „Vereinigung zur Linderung der ersten Kriegsnot“ gerecht zu werden. Neue Einnahmen verspricht man sich von einer Serie von acht Schellackplatten, die in exklusiver Aufmachung von der Carl Lindström AG (Wien–Berlin) produziert werden und insgesamt 14 Tonaufnahmen patriotischen Inhalts – gesprochen von Kaiser Franz Joseph und Angehörigen des Herrscherhauses sowie höchsten Vertretern der k. u. k. Armee – enthalten sollen. Nachdem der Kaiser dieses Vorhaben „allergnädigst genehmigt“ hat.

Am 14. Dezember 1915 geleitet der Vizepräsident des Militär-Witwen- und Waisenfonds, Karl von Prileszky, die zwei Repräsentanten der Lindström AG bis ins „Antoinettenzimmer“, das frühere Familienspeisezimmer von Schloss Schönbrunn; diesmal ist es das Grammofon – Emil Berliners Erfindung von 1887, die den Fonografen mit seinen Walzen schon bald völlig verdrängt und der später zum Massenprodukt avancierten Schallplatte zum Durchbruch verholfen hat –, dem wir die Aufzeichnung folgender Worte des Kaisers verdanken: „Ich begleite das Wirken des österreichischen Militär-Witwen- und Waisenfonds mit meinen herzlichsten Wünschen. Möge seinen edlen Bestrebungen zum Wohle der Hinterbliebenen meiner braven Krieger voller Erfolg beschieden werden.“

Um auch dem Auge etwas zu bieten, wird die Plattenhülle unter anderem mit dem mittleren Wappen Österreichs und dem werbewirksamen Aufdruck versehen: „Vorliegende Platte ist das einzige Stimmporträt Seiner kaiserlichen und königlichen apost. Majestät, welches der Öffentlichkeit übergeben wurde.“ Doch was als wohlmeinende Unternehmung zugunsten der Kriegsfürsorge gedacht ist, entwickelt sich zu einer kommerziellen Enttäuschung: Angeblich „waren kaum mehr als die Pflichtexemplare anzubringen“.


Drei Tonaufnahmen,
drei verschiedene Medien, drei doch unterschiedliche Impressionen ein und derselben Stimme. Wie hat der Kaiser wirklich geklungen? Lassen wir einen Zeitzeugen zu Worte kommen: „Ungemein gewinnend war die ruhige dialektfreie Sprache des Kaisers und ebenso der anheimelnde Tonfall seiner, allerdings eher leisen Stimme. Ich möchte hier gleich bemerken, dass sich diese im Grammophon gar nicht hat wiedergeben lassen; der Schalleindruck der Stimmplatte weist nicht einmal eine Ähnlichkeit mit des Monarchen lebender Stimme auf.“ So erinnert sich Albert von Margutti in seinen Memoiren. Und wenn er uns damit auch alle Illusion zu rauben scheint, jemals zu erfahren, wie der Kaiser wirklich gesprochen hat – einen Eindruck von der Stimme einer längst verklungenen Epoche liefern die Aufnahmen allemal. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2009)

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