Grüne: Koalition über alles

Maria Vassilakou ist nach ihrer Rücktrittsankündigung in Erklärungsnot geraten.
Maria Vassilakou ist nach ihrer Rücktrittsankündigung in Erklärungsnot geraten.(c) Stanislav Jenis
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Verluste bei der Wahl und eine Spitzenkandidatin, die nicht Wort hält - die Grünen suchen den Befreiungsschlag. Und betteln fast um die Verlängerung der Regierungsbeteiligung.

Wien. Mit einer vollmundigen Ankündigung, die schon so manchen Politikern vor ihr zum Verhängnis wurde, brachte Maria Vassilakou sich und ihre Parteikollegen mächtig in Erklärungsnot. Für Bundessprecherin Eva Glawischnig ist ihre (nicht nur einmal getätigte) Ansage, bei Wahlverlusten zurückzutreten, „etwas, das ich ehrlich gesagt nicht verstanden habe“. Noch deutlicher drückte sich ihr Vorgänger Alexander Van der Bellen aus. „Diese Ankündigung, mein Gott, man darf ja auch Fehler machen“, meinte er noch am Wahlabend. Und betonte: „Ich will auf jeden Fall, dass sie bleibt.“

Bei der grünen Wahlparty am späten Abend im Volksgarten ließ dann auch Vassilakou selbst durchblicken, dass sie in jedem Fall bleiben will. „Ich bin stolz auf euch, ich bin dankbar, und ich bin geehrt, eure Chefin zu sein“, rief sie in die jubelnde Menge. Man habe alles in die Schlacht geworfen, „ich sogar mich selber in einem bestimmten Moment“, so ihre einzige Anspielung auf ihre Rücktrittsankündigung.

Verhängnisvolle „geliehene Stimmen“

Zuvor – beim TV-Interview mit allen Spitzenkandidaten – hatte sie noch auf die stabile rot-grüne Mehrheit verwiesen. Die „geliehenen“ grünen Stimmen bei den Sozialdemokraten sowie die Möglichkeit, dass man inklusive Briefwahlstimmen (die erst Montagnacht ausgezählt sein werden) vielleicht gar kein Mandat verlieren werde. Laut Hochrechnungen dürfte aber zumindest eines weg sein und der Verlust beim Stimmanteil etwa einen Prozentpunkt betragen.

Auch am Montag zeigten sich die Grünen bemüht, der ursprüngliche Rückzugsankündigung ihrer Spitzenkandidatin keine Bedeutung mehr beizumessen. Diese Personalie sei nicht nur derzeit, sondern überhaupt kein Thema, meinte Klubchef David Ellensohn: „Mary wird uns in diese Koalitionsverhandlungen führen.“ Offizielle Gremiensitzungen, wo Vassilakou die Vertrauensfrage stellen und bestätigt werden könnte, sind keine angesetzt.

„Formelle Beschlüsse brauchen wir ganz am Ende“, so Ellensohn, nämlich erst – wie beim letzten Mal – zur Bestätigung eines Koalitionsabkommens mit der SPÖ. Dass man weiter eine rot-grüne Koalition wolle, sei in der Partei ohnehin eindeutig festgesetzt. Man mache sich schon für Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ bereit und wolle möglichst rasch gemeinsame große Projekte aufstellen. Dies könnte etwa Wien als erste Modellregion für die gemeinsame Schule der Zehn- bis 14-Jährigen sein.

Zuwachs in lediglich einem Bezirk

Die Verluste der Grünen sollen also so schnell wie möglich vergessen gemacht werden. Besonders deutlich spiegeln sie sich (auf Gemeindebene) in den Ergebnissen der einzelnen Bezirken wider. Lediglich in Brigittenau erzielten sie mit einem hauchdünnen Plus von 0,3 Prozentpunkten einen Zuwachs. Überall sonst setzte es Verluste. Das größte Minus gab es im 1. Bezirk, wo sie 4,1 Prozentpunkte einbüßten und mit 12,4 Prozent auf dem vierten Rang landeten. Mehr als drei Prozentpunkte verloren sie auch in Wieden (minus 3,4) und im Alsergrund (minus 3,0).

Übrigens: Nicht alle Grünen-Politiker begrüßen, dass Vassilakou ihre Ankündigung nicht wahr macht. Johannes Voggenhuber, zwischen1995 und 2009 grünes Mitglied des Europäischen Parlaments, kritisierte ihre Entscheidung auf Facebook scharf: „Das Versprechen des Rücktritts bei Verlusten, die so sicher waren wie das Amen im Gebet, verdeutlicht nur mehr den Realitätsverlust des grünen Führungszirkels, das Versprechen nicht einzuhalten, die weitere Beschädigung von Glaubwürdigkeit und Integrität“, schreibt Voggenhuber über Dutzenden zustimmenden Kommentaren wie „Danke für die klaren Worte“ und „Dem ist nichts hinzuzufügen.“ Von „Leihstimmen“ an die SPÖ zu sprechen, sei eine Beleidigung der Wähler. Sie allein, nicht eine Partei, seien im Besitz ihrer Stimme. „Sind es auch bloß geliehene und nicht etwa verlorene Stimmen, die den Einzug der Neos ermöglichten? Mit dieser Politik des programmierten Abstiegs unter munterem Pfeifen werden sie 2018 mit Sicherheit den nächsten Tiefpunkt erreichen. Schwer zu fassen. Schwer mitanzusehen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.10.2015)

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