Einbruchsopfer: "Die Angst kann lange bleiben"

(c) APA (Helmut Fohringer)
  • Drucken

Die Zahl der Einbrüche steigt, allein in Wien werden jeden Tag 30 Wohnungen aufgebrochen. Viele Opfer leiden unter Ängsten und Verunsicherung. Wie stark Kinder durch die Erfahrung eines Einbruchs geprägt werden, liegt vor allem am Verhalten der Eltern.

Wo ist mein Laptop? Wer hat mein Handy versteckt?“ Rudolf Morawetz glaubt zuerst an einen Streich seiner beiden Kinder, als er am Morgen einige Wertgegenstände nicht an ihrem gewohnten Platz vorfindet. Stutzig wird er erst, als auch in seinem Portemonnaie das Geld fehlt. Schlagartig wird ihm klar, was passiert ist: Ein Einbruch, mitten in der Nacht, als die gesamte Familie friedlich in ihren Betten schlief.

„Sie waren wenigstens so rücksichtsvoll, uns nicht zu wecken.“ Rückblickend nimmt's Morawetz erstaunlich gelassen. Der Psychologe ist Vorsitzender beim Notfallpsychologischen Dienst Österreich (NDÖ) und ein Vollprofi in der Betreuung von Einbruchsopfern. Überrascht war er nur von einem: Wie lange seine Kinder, damals dreieinhalb und sechs Jahre alt, mit der Aufarbeitung des Vorfalls beschäftigt waren. „Der Einbruch war unspektakulär“, erzählt Morawetz. „Es gab keine Verwüstung, die Kinder mussten keine Bilder von Chaos und Zerstörung aufarbeiten. Dennoch hat es sie intensiver getroffen, als ich erwartet hatte.“ Immer wieder schreckten die Kinder später in ihren Betten hoch, wenn der Wind in der Nacht an den Fenstern rüttelte. Monatelang versteckten sie ihre Lieblingsstofftiere, um sie vor den Einbrechern zu schützen.

Schlafstörungen, Bauchweh. „Für Kinder ist es schwierig, die statistische Wahrscheinlichkeit weiterer Einbrüche abzuschätzen. Deshalb kann die Angst vor einer Wiederholung des Vorfalls oft sehr lange präsent bleiben“, erklärt Morawetz. Die möglichen Folgen: Ängste und der Verlust des Sicherheitsgefühls können bei Kindern Schlafstörungen und psychosomatische Beschwerden wie Bauchschmerzen verursachen, aber auch zu einer Verminderung der schulischen Leistung führen. Dagegen hilft, den Kindern altersadäquat zu erklären, was passiert ist, und auf ihre Ängste einzugehen.

Ab dem vierten Lebensjahr beginnen Kinder, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Räuber, Piraten, aber auch Polizisten tauchen während dieser Entwicklungsphase häufig in ihren Spiel- und Fantasiewelten auf. Wie die Kids eine reale Konfrontation mit dem „Bösen“ in Form eines Einbruchs verarbeiten, ist eine höchst individuelle Angelegenheit.

Ausnahmezustand. Ein entscheidender Faktor dabei ist, wie die Eltern mit dem Vorfall umgehen. „Für Kinder sind Eltern, die sich im Ausnahmezustand befinden, weit schlimmer als eine leer geräumte Wohnung“, meint Matthias Herzog, Psychologe und Lektor an der Universität Wien. „Das kindliche Sicherheitsgefühl ist stärker an die Eltern gekoppelt als an Objekte.“

„Die Reaktion der Eltern prägt die kindliche Bewältigung der traumatischen Erfahrung“, bestätigt Rudolf Morawetz. Deshalb beruhigen die Notfallpsychologen des NDÖ nach Einbrüchen bei Familien in der Regel auch zuerst die Eltern, ehe sie mit den Kindern arbeiten. Gegebenenfalls sei es ratsam, die Kinder gleich nach dem Einbruch bei Vertrauenspersonen unterzubringen, um ihnen den möglicherweise traumatisierenden Anblick der geschockten Eltern zu ersparen.

Patricia und Christoph H. hatten dazu keine Gelegenheit. Sie waren mit ihren beiden Kindern gerade im Auto auf der Heimreise vom Urlaub, als sie der Anruf eines Nachbarn erreichte: „Bei euch ist eingebrochen worden, alles ist verwüstet“, lautete die unerfreuliche Nachricht. „Das war für uns ein ziemlicher Schock“, sagt Patricia H. „Aber wir haben wegen der Kinder versucht, möglichst ruhig zu bleiben.“ Tochter Lilly, 5, reagierte dennoch verstört. Sie konnte nicht begreifen, warum fremde Leute in ihr Zuhause eingedrungen sind. „Wir haben ihr erklärt, dass es leider Menschen gibt, die so etwas tun, wenn sie Geld brauchen“, erzählt Christoph H. „Und dass so etwas meistens nur dann passiert, wenn niemand zuhause ist.“ Lillys kleiner Bruder Jakob, 3, reagierte dagegen kaum auf den Vorfall.

„Für Kleinkinder ist ein Einbruch meist relativ undramatisch, weil es ein sehr abstraktes Ereignis ist“, erklärt Ursula Messner, Psychologin und Sprecherin des Kuratorium für Verkehrssicherheit (KfV). Lillys Angst hingegen war für die Eltern tagelang spürbar. „Wir haben gemerkt, wie sehr sich unsere Nervosität und Verunsicherung auf sie übertrug“, sagt Patricia H. „Darum haben wir uns bemüht, das Ganze nicht zu sehr zu dramatisieren und möglichst rasch zur Normalität zurückzukehren.“ Familie H. ist dieser Schritt gelungen. „Wenn Eltern aber merken, dass sie Wochen und Monate nach dem Einbruch immer noch bei jedem Geräusch zusammenzucken und abends ungern alleine zu Hause sind, sollten sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen“, empfiehlt Messner. „Wenn schon nicht für sich selbst, dann aus Rücksicht auf die Kinder.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.