Niederösterreich: Ärzte wollen Gruppenpraxen

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Spitalsärzte pochen auf eine Regelung, mit der Primärversorgungszentren eingeführt werden können. Doch auf Bundesebene gibt es noch Widerstand gegen die Gruppenpraxen.

Wien. Dass das ÖVP-geführte Niederösterreich nicht auf Parteilinie ist, wenn es um Verhandlungen auf Bundesebene geht, kam in der jüngeren Vergangenheit schon häufig vor. Beim jüngsten Konflikt geht es um die Einführung der Primärversorgungszentren – auch Primary Health Care Centers (PHC) genannt. Das Land Niederösterreich unterstützt das Konzept, während ÖVP-Gesundheitssprecher Erwin Rasinger die von SPÖ-Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser geforderte Reform ablehnt.

Mit der neuen Primärversorgung sollen im Zuge der bereits beschlossenen Gesundheitsreform Ärzte, Therapeuten und Pflegekräfte ganztägig für Patienten unter einem Dach zur Verfügung stehen – das soll Spitäler und Ambulanzen entlasten. Über ein eigenes Gesetz wird derzeit verhandelt. Rasinger sieht darin eine Zerstörung des Hausarztes – er ist übrigens selbst praktischer Arzt. Hinter ihm steht die Ärztekammer, die mit der Aufkündigung aller Verträge gedroht hat, sollte es wirklich dazu kommen, dass die Sozialversicherungen mit den Primärversorgungszentren selbst Verträge aushandeln.

In Niederösterreich pocht man nun auf eine Regelung, damit die Zentren aufgebaut werden können. „Die Spitalsärzte wollen das, auch etliche praktische Ärzte wollen das, sind aber durch den Streit auf Bundesebene verunsichert“, sagt Thomas Gamsjäger, Vorsitzender der ärztlichen Direktoren in Niederösterreich. Die Überlastung der Ambulanzen sei zu einem unerträglichen Zustand geworden. Die Ambulanz am Landesklinikum St. Pölten beispielsweise sei ursprünglich darauf ausgerichtet worden, 8000 Patienten pro Jahr zu behandeln. Derzeit sind es 30.000.

Von einem Arzt zum anderen

Die Gründe für den Anstieg sind vielfältig. Einer sei, dass gewisse Leistungen – wie teure Infusionstherapien – beim Hausarzt nicht bezahlt werden. „Eine Infusion anhängen kann aber auch jeder praktische Arzt, es ist absolut nicht nötig, dass ein Patient dafür ins Spital kommt.“ Hier brauchte es Einigungen mit den Sozialversicherungen. Ein anderer Grund sei, dass ein Patient im Krankenhaus gleich behandelt wird – und nicht von einem Arzt zum anderen geschickt wird. „Jemand, der mit Schmerzen in der Schulter kommt, wird im Spital geröntgt und behandelt“, sagt Gamsjäger. Würde er zuerst zum Hausarzt gehen, würde dieser ihn, sofern keine offensichtliche Verletzung vorliegt, zum Orthopäden schicken, dieser empfiehlt ihn wohl weiter zum Radiologen – auf einen Termin wartet man Tage bis Wochen –, und dann geht es zurück zum Orthopäden. Erst dann kommt der Patient zu einer Behandlung.

Niederschwellige, interdisziplinäre Gruppenpraxen würden die Effizienz steigern – Patienten würden schneller behandelt und die Spitäler personell wie finanziell entlastet. Erste Gehversuche gebe es in Niederösterreich bereits. „Es gibt schon niedergelassene Ärzte, die sich untereinander vernetzen und eine möglichst rasche Behandlung für ihre Patienten organisieren“, sagt Gamsjäger und sieht das als ersten Schritt in Richtung Gruppenpraxen. „Trotz der schwierigen rechtlichen Situation lassen sich die Ärzte nicht abschrecken, ihre Patienten besser zu versorgen.“

In der Steiermark gibt es derartige Verbände unter dem Namen „Styriamed“ seit 2009. In Niederösterreich können engagierte Mediziner derzeit weder auf die Unterstützung der Ärztekammer noch der Sozialversicherung zählen. In Wien eröffnete das erste Primärversorgungszentrum in Mariahilf als Pilotversuch. Der Betrieb läuft bisher reibungslos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2015)

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