Erdoğans Pläne sind am Sonntag voll aufgegangen

Mit Angst- und Panikmache schaffte die AKP wieder die absolute Mehrheit.

Als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan vor 13 Jahren mit knapp 35 Prozent der Stimmen an die Macht kam, war er noch der größte Verfechter der Menschenrechte. Er nahm den Kampf mit dem Militär, mit der Justiz und mit dem sogenannten Parallelstaat auf. Premierminister Erdoğan bekam dabei große Unterstützung von Muslimen, Liberalen und Kurden, die mit ihm neue Hoffnungen verbanden. Der antimilitaristische Kurs Erdoğans, gepaart mit einem Wirtschaftsaufschwung der Türkei, führte sowohl bei den Parlaments- wie bei den Regionalwahlen zu Serien-Wahlerfolgen.

Kaum aber hatte Erdoğan und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) ihre Leute im Militär, in der Justiz und in der Verwaltung untergebracht, zeigten sie ihr wahres Gesicht. Eine Verhaftungswelle gegen kurdische Politiker, linke Oppositionelle und Journalisten folgte. Nicht zuletzt haben die Übergriffe der AKP auf die Gezi-Proteste und die Unterstützung oder zumindest Duldung von Kämpfern des Islamischen Staates in der Türkei dazu geführt, dass Erdoğan sowohl liberale wie auch die kurdischen Stimmen verloren hat.

Mit einer Politik der Angst- und Panikmache versuchte die AKP, die bei den Wahlen im Juni verloren gegangene absolute Mehrheit bei der Parlamentswahl am Sonntag zurückzuerobern. Friedensgespräche mit der kurdischen Bewegung wurden ausgesetzt, begleitet vom neu angefachten Krieg gegen die PKK. Parallel dazu versuchte man das pro-kurdische Linksbündnis der Demokratischen Partei der Völker (HDP) für diesen Krieg verantwortlich zu machen.

Schmutzkampagne gegen HDP

Die Schmutzkampagne gegen die HDP wurde mit Übergriffen auf Parteilokale und blutigen Anschlägen auf Wahlkundgebungen der HDP wie in Ankara begleitet. Innerhalb von fünf Monaten wurden 258, überwiegend HDP-Anhänger, ermordet, ca. 500 verhaftet und 152 Anschläge auf Parteibüros verübt. Gleichzeitig wurde die türkische Währung abgewertet, wurden Journalisten verhaftet und die Zentralen oppositioneller Medien gestürmt.

Repression oder Versöhnung?

Erdoğans Pläne sind aufgegangen: Aufgrund der Kurdenpolitik und des Rechtsrucks der AKP wanderten knapp zwei Millionen Wähler der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) zur AKP. Auch die pro-kurdische HDP hat knapp eine Million Wähler an die AKP verloren. Der Medienboykott sowie die politischen und militärischen Zwangs- oder Druckmittel gegen die HDP waren erfolgreich. Die pragmatischen Wähler hatten Angst um ihre Zukunft und sahen in der AKP eine zwar nicht besonders demokratische Partei, dafür einen sicheren Hafen. Die wichtigste Frage nach der Wahl aber ist, welchen politischen Kurs Erdoğan einschlagen wird. Hält er an seinem antidemokratischen Gewaltkurs fest oder versucht er, das Land im Inneren wieder zu versöhnen? Die AKP muss sich bewusst werden, dass sie die Bevölkerung nicht ewig durch Angst- und Panikpolitik beherrschen kann. Wie das ausgehen kann, ist aus anderen Ländern des Mittleren Ostens bekannt.

Eine demokratische Lösung der kurdischen Frage, eine Verwaltungsreform mit föderalistischen Elementen sowie eine demokratische Verfassung sind für die Türkei unumgänglich. Weiters muss das Land auch seine Außenpolitik gründlich überdenken und sich vom Islamischen Staat distanzieren. Eine demokratische Allianz mit den Kurden sowohl innerhalb und außerhalb der Türkei würde beiden Seiten nützen und den Nahen und Mittleren Osten dem Frieden ein Stück näher bringen.

Mevlüt Kücükyasar ist Soziologe und Politikwissenschaftler sowie Vorstandsmitglied des „Rates der Kurdischen Gesellschaft“ (Feykom) in Wien.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2015)

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