Zu viel Geld macht den Sport krank, sagt ÖFB-Präsident Leo Windtner. Das Nationalteam tauge als Rollenmodell für die Politik. Ist Marcel Koller nach der Euro noch Teamchef?
Fußball-Österreich schwebt auf einer Welle der Euphorie. Kann sich das Land daran aufrichten, ein Beispiel nehmen?
Leo Windtner: Ja. Sportlich ist der Hype um unser Team die Riesenchance, über den Fußball hinaus. Was uns gelungen ist, kann für vieles andere, bis hinein in die Wirtschaft, Rollenmodell sein. Der Fußball kann in der brennenden Zuwandererfrage noch bedeutsamer werden. Unsere Vereine werden viel Zulauf kriegen. Fußball ist ein Mannschaftssport, da ist enormes Potenzial zur Einbindung junger Zuwanderer drinnen.
Das Team gewinnt mit nicht-österreichischen Tugenden.
Unsere Kerntugenden sind klar: ein Konzept, das konsequent verfolgt wird. Sich nicht vorzeitig zufrieden geben. Und vor allem die Zielsetzungen ständig evaluieren, gegebenenfalls neu definieren. Wie im Fußball muss auch in Österreich kein Einzelspieler, sondern die Mannschaft der Star sein. Das gilt auch für die Politik.
Dieses Kollektiv, das sich blind versteht, ist die Regierung nicht.
Ich mag nicht politisieren. Aber wenn man zwei Tage lang über einen Begriff oder eine Definition für das Wort Zaun öffentlich streitet, ist das natürlich symptomatisch. Dabei ist es wie im Sport. Du brauchst sehr gute Einzelspieler. Meistens sind die besten Individualisten die schwierigsten Charaktere. Daher brauchst du einen Betreuerstab mit einem Chef, der es versteht, die Stärken vieler in ein Kollektiv zu binden und auch klare Regeln vorzugeben. Alle müssen eines wissen: Wo geht es hin?
Wenn eine Regierung zwei Trainer hat, die sich darüber nicht einig sind, ist es schwer.
Bei uns im Team gibt es dank Marcel Koller diese klare Orientierung. Jetzt dürfen wir diesen Hype nicht als Einmalerfolg genießen. Erfolg ist der größte Verführer. Wir wollen in Frankreich jenen Eindruck bestätigen, den Europa vom österreichischen Fußball zuletzt gewinnen konnte. Definitiv untermauert wäre die Arbeit der letzten Jahre, wenn wir uns für die WM in Russland 2018 qualifizieren.
Wie hoch ist der Anteil des Faktors „Marcel Koller“?
Ihm ist es gelungen, die Spieler bei der Emotion, der Ratio zu packen. Daraus ist eine Dynamik entstanden. Ziele werden klar verfolgt, ohne Spur von Überheblichkeit. Der neue Mindset ist auch daran erkennbar, mit welcher Freude die Spieler zum Team kommen.
Wie lange kann Koller als ÖFB-Teamchef gehalten werden?
Auf jeden Fall bis Ende Juli 2016. Nur muss uns bewusst sein: Kollers Marktwert und Bekanntheitsgrad haben sich immens gesteigert. Wenn ein Klub oder ein Nationalverband kommt, der absolute Topsummen bietet, dann wird es schwierig. Es gilt aber mein Standardsatz. Österreichs Fußballfans werden vor der Euro wissen, wer nach der Euro Teamchef sein wird.
Skandale bei Uefa, Fifa, Blatter, Platini – der Fußball steckt moralisch, ethisch in der Krise.
Vorweg gilt für diese Namen die Unschuldsvermutung. Aber natürlich will man als korrekter Funktionär nicht mit Vorgängen identifiziert werden, wie sie derzeit angeprangert werden. Es wird daher zwingend notwendig sein, alle diese Themen restlos aufzuklären.
Wie lassen sich Fifa und Uefa, die Klubs alter Herren, reformieren?
Wir brauchen ordentliche gesellschaftsrechtliche Strukturen, mit aller Transparenz und mit allen Kontrollmechanismen.
Ist es nicht Illusion, europäische Maßstäbe zu fordern, und voraussichtlich wird Blatters Nachfolger nicht aus Europa, sondern mit Tokyo Sexwale aus Südafrika kommen.
Das spielt keine Rolle, jeder neue Fifa-Präsident muss das Interesse haben, die Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Dieses Vertrauen braucht die Fifa, um den Weltfußball effektiv vertreten zu können.
Und die Geldinteressen?
Wenn es so weitergeht, werden Olympische Spiele und Fußball-Großereignisse nur noch in totalitären Staaten stattfinden können. Da muss man rechtzeitig munter werden und sich fragen, ob diese Entwicklung zwingend ist.
Eine Art Läuterung?
Ja.
Die WM 2022 zur Weihnachtszeit in Katar bleibt uns nicht erspart?
Russland ist gelaufen. Bei Katar kann ich mir eine Gefährdung nur vorstellen, wenn tatsächlich kriminelle Tatbestände bei der Vergabe noch auftauchen sollten.
Wurde die Kommerzialisierung des Fußballs nicht übertrieben?
Das ist meine Meinung. Die Premiere League beispielsweise betreibt totale Kommerzialisierung, da wird geradezu penetriert und von Freitag bis Montag 22 Uhr durchgespielt, aufgehängt an Pay-TV. Liverpool spielt drei Wochen in China, weil auch dieser Markt nicht übersehen werden soll. Das Ganze darf nicht pervertieren, wenn nur noch wirtschaftliche Ziele Priorität haben und die Fans zurückbleiben, an denen das ganze System hängt.
ZUR PERSON
Leo Windtner, 65, ist seit 2009 Präsident des Österreichischen Fußballbundes und seit 1994 an der Spitze der Energie AG Oberösterreich.
Das Interview ist von Rainer Nowak mit den Chefredakteuren der Bundesländerzeitungen geführt worden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.11.2015)