Die sensible Haut der Erde

Farmer is ploughing a field
Farmer is ploughing a field(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
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Biologie. Bodenkrusten sind in Trockengebieten gut erforscht. Salzburger Wissenschaftler liefern überraschende Daten über alpine Bodenkrusten – und arbeiten an Schutzkonzepten.

Bodenkrusten sind so etwas wie eine schützende Haut der Erde. Eine nur ein paar Millimeter dünne Schicht aus Bakterien, Algen, Mikropilzen sowie wurzelähnlichen Strukturen von Moosen und Flechten hält den Boden zusammen und stabilisiert den Untergrund. Das schützt vor Erosion und bereitet den Weg dafür, dass sich auch höhere Pflanzen entwickeln können.

Bodenkrusten speichern Nährstoffe wie Stickstoff und sorgen für einen ausgeglichenen Temperatur- und Wasserhaushalt. Ohne sie können Wasser, Wind und mechanische Belastung schnell zur Verkarstung bzw. Verödung der Landschaft führen. Und noch eine wichtige Funktion haben Bodenkrusten: Sie sind CO2-Speicher. Experten gehen davon aus, dass sechs bis sieben Prozent des jährlich fixierten Kohlenstoffs in biologischen Bodenkrusten gebunden werden. Das entspricht ungefähr jener Menge Kohlendioxid, die pro Jahr durch die Verbrennung fossiler Energieträger freigesetzt wird.

Erstmals Daten zu den Alpen

In Wüsten und Trockengebieten sind Bodenkrusten weit verbreitet und gut erforscht. Kaum Daten gab es bisher aber zu den viel selteneren alpinen Bodenkrusten. Eine sehr große Fläche dieser sensiblen Haut der Erde gibt es in Österreich auf dem Plattenkar beim Hochtor im Gebiet des Großglockners. Salzburger Wissenschaftler rund um den Biologen Thomas Peer haben im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts Daten zu alpinen Bodenkrusten gesammelt.

Am internationalen Bodenkrustenprojekt SCIN (Soil Crust InterNational) nehmen auch Forscher in Schweden, Deutschland und Spanien teil. Sie arbeiten alle in Trockengebieten, die Österreicher decken den alpinen Raum ab. „Es ist die erste große Untersuchung zu alpinen Bodenkrusten im Alpenraum“, erläutert Peer. Das Plattenkar auf 2500 Metern Höhe war als Untersuchungsgebiet prädestiniert – es weist eine der größten geschlossenen Bodenkrustendecken im alpinen Raum auf. „Die biogenen Bodenkrusten im alpinen Gebiet unterscheiden sich stark von jenen in Trockengegenden“, erläutert Peer. Sie überraschen durch einen unglaubliche Vielfalt an Arten und sind physiologisch aktiver als ihre Pendants in Wüstengegenden. Während nämlich die Fotosynthese und der Gasaustausch bei Bodenkrusten in Trockengebieten in heißen und sehr trockenen Perioden unterbrochen werden, bleiben die alpinen Bodenkrusten auch unter der Schneedecke aktiv. Das dürfte vor allem mit der vorhandenen Feuchtigkeit zu tun haben.

Regeneration nach Zerstörung

Ein Schwerpunkt des Forschungsprojekts ist die Frage, wie sich alpine Bodenkrusten nach Zerstörung wieder regenerieren. Peer und seine Mitarbeiter haben dazu an zehn Stellen des Untersuchungsgebiets die Krusten abgeschabt. Nach zwei Jahren ist von einer Neubildung der Bodenkruste noch nichts zu bemerken. Viele Sämlinge von Blütenpflanzen gehen während einer Vegetationsperiode auf den kahlen Stellen auf. Doch sobald es kalt wird, sterben die Jungpflanzen wieder ab. Nach zwei Jahren lassen sich eine leichte bakterielle Besiedlung des Rohbodens und Ansätze für Flechten feststellen.

Gleichzeitig setz an den kahlen Stellen die Erosion ein: Es bilden sich Rinnen und Rillen, angewehtes Material wird abgeschwemmt. „Die alpinen Bodenkrusten sind empfindlich. Es dauert unheimlich lang, bis sich Wunden wieder schließen“, sagt Peer. Deshalb arbeitet er im Rahmen des Forschungsprojekts an Managementplänen für den Tourismus und die Almwirtschaft.

Das Untersuchungsgebiet gehört zum Nationalpark Hohe Tauern. Um die Bodenkrusten zu schützen, sollten Besucher auf ausgeschilderten Wegen bleiben. Ein Bergschuh kann eine klaffende Wunde in der Bodenkruste verursachen – ebenso wie die Tritte von Weide- oder Wildtieren. Starke Beweidung sei problematisch, sagt Peer deshalb.

Hochtorgebiet als Alpengarten

Die biologische Vielfalt der Bodenkruste beim Hochtor hat die Experten überrascht. Auf dem rund einen Hektar großen Areal konnten beispielsweise 53 verschiedene Flechtenarten nachgewiesen werden. Bei höheren Pflanzen gibt es sowohl Kalk- als auch Silikatzeiger. „Im Sommer ist das Hochtor ein richtiger Alpengarten“, schwärmt Peer.

Ob die Bodenkrusten letztlich die Ansiedelung höherer Pflanzen fördern oder eher durch von Flechten erzeugte antibiotische Verbindungen verhindern, ist wissenschaftlich noch nicht endgültig ausdiskutiert. Fest steht jedenfalls, dass in den Bodenkrusten Schwermetalle wie Blei, Cadmium und Zink gespeichert werden. Sie stammen aus dem Verkehr und der Fernverfrachtung aus der Luft.

LEXIKON

Biologische Bodenkrusten sind eine komplexe Lebensgemeinschaft von Bakterien, Algen, Mikropilzen und Wurzelgeflechten von Flechten und Moosen. Sie sind eine wichtige Nährstoff- und Stickstoffquelle für Pflanzen besonders in den nährstoffarmen Wüstenböden. Außerdem dienen sie als Wasserspeicher. Bodenkrusten verfestigen die Oberfläche und verhindern die Erosion durch Wasser und Wind. Sie fördern den Bodenaufbau und die weitere pflanzliche Besiedelung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.11.2015)

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