Die triumphale Rückkehr einer Grande Dame

Bildnis Else Wohlgemuth (1881-1972) als Maria Stuart
Bildnis Else Wohlgemuth (1881-1972) als Maria Stuart(c) Schmutzer, Ferdinand / ÖNB-Bilder (Schmutzer, Ferdinand)
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Dezember 1945. Die neuen Landtage treten zusammen – am Burgtheater feiert Else Wohlgemuth ihr „Debüt“ – Renner wird erster Bundespräsident der zweiten Republik.

In unserer Erzählung über das Kriegsende vor siebzig Jahren und den mühsamen Wiederbeginn im Jahr 1945 halten wir kurz vor Weihnachten. Nicht nur auf Bundesebene hatten die Wahlen vom 25. November 1945 eine demokratische Gesetzgebung gebracht. Auch die Landtage der Bundesländer waren gewählt worden und nahmen nach und nach ihre Tätigkeit auf. Für Wien bestand seit jeher die Personal-Identität von Landtag und Gemeinderat; die Befugnisse waren durch den Stadtsenat ausgeübt worden.

Nun war für 13. Dezember die Konstituierende Sitzung einberufen worden, die natürlich im Rathaus stattfinden sollte. Der niederösterreichische Landtag trat am Tag davor im historischen Rahmen des Landhauses in der Wiener Herrengasse zusammen.

Die führenden Protagonisten vor allem der ÖVP und der SPÖ waren längst über die Landesgrenzen hinaus bekannt. Aber auch im Bereich der Kultur traten zu dieser Zeit zwei bekannte Persönlichkeiten, einerseits unmittelbar auf der Bühne, andererseits auf der Filmleinwand, in das Interesse der Wiener Kunstkenner: Kammerschauspielerin Else Wohlgemuth war in Wien beheimatet, Laurence Olivier (damals noch lange nicht geadelt) britischer Nationalität.

„Die Rückkehr der Grande Dame der Burg galt als historisches Ereignis von Rang“, erinnerte sich die „Presse“-Kulturjournalistin Pia Maria Plechl vor zwanzig Jahren in einer Serie über das Jahr 1945. Die gebürtige Berlinerin Wohlgemuth war 1910 ans Burgtheater engagiert worden, wo sie der Sprachkultur ihrer dunklen Stimme halber, aber auch wegen der Verinnerlichung, die sie jeder ihrer Rollen gab, immer wieder umjubelt wurde. Sie galt als eine der schönsten Frauen ihrer Zeit. Gemäß den NS-Rassegesetzen war sie für das NS-Regime untragbar. Aber 1938 hatte es tatsächlich Bemühungen gegeben, sie, die mit einem Mitglied des österreichischen Hochadels verheiratet war, mittels Sonderregelung dem Haus am Ring zu erhalten. Doch Else Wohlgemuth hatte abgelehnt.

Ihr Auftreten in dem Stück „Die andere Mutter“ war nun, nach siebeneinhalb Jahren der Unterbrechung, ein einziger Triumph. Ihr Ruf blieb ungebrochen bis zu ihrem Tod 1972, obwohl sie schon viele Jahre nicht mehr aufgetreten war.

Ein Kulturereignis von Rang war die von der britischen Besatzungsmacht als Galaveranstaltung in der Scala gebotene Aufführung von Laurence Oliviers Verfilmung von Shakespeares „Henry V.“ aus dem Jahr 1944, zugleich sein Debüt als Regisseur. Publikum und Kritiker waren uneingeschränkt begeistert und sahen der deutschen Synchronisation, an der genau zu dieser Zeit in England gearbeitet wurde, mit hohen Erwartungen entgegen. Viele sahen in der Begegnung mit diesem Film auch eines der willkommenen Zeichen dafür, dass Österreich nun mit Selbstverständlichkeit wieder in das weltweite Kulturgeschehen eingebunden war.

Bundespräsident Renner

Am 20. Dezember trat im Parlament die Bundesversammlung zusammen, um einen Bundespräsidenten zu wählen. Dass das neue Staatsoberhaupt Karl Renner hieß, war vorhersehbar gewesen: Wer sonst als der bisherige Staatskanzler hätte es sein sollen? Sein erster offizieller Akt war die Bestellung Figls zum Bundeskanzler. Vizekanzler wurde Adolf Schärf. Die Alliierten stimmten zu.

Aber ohne dass die Öffentlichkeit etwas von den Hintergründen erfuhr, fehlten drei Namen von der Ministerliste, die das „Neue Österreich“ schon vor einigen Tagen veröffentlicht hatte: Es waren die bisherigen Staatssekretäre Julius Raab und Vinzenz Schumy, und man munkelte, die Sowjets hätten beide mit der Begründung abgelehnt, sie seien vor 1938 Austrofaschisten gewesen. Warum auch der Sozialdemokrat Andreas Korp kein Plazet der östlichen Besatzungsmacht erhielt, blieb völlig uneinsichtig.

Keine Weihnachtsgeschenke

Am 21. Dezember gab Figl die Regierungserklärung der schwarz-roten Koalition ab. Am 24. Dezember richtete er via Radio seine berühmte Weihnachtsbotschaft an die Österreicher. Figls Rede, die auf die Entbehrungen und auch auf das Glasproblem einging, sollte eine der meistzitierten Reden der Nachkriegsjahre werden (am nächsten Samstag dazu mehr).

Was konnten die Menschen einander und insbesondere ihren Kindern schenken? Auf improvisierten Plakatwänden und in Zeitungsinseraten häuften sich die Tauschangebote. Vieles galt als Kostbarkeit. Nach Winterschuhen und Mänteln hatte schon vor den Festtagen rege Nachfrage geherrscht, obwohl Eltern den Verzicht auf Nötiges hinnahmen, um einem Jugendlichen eine Weihnachtsfreude zu machen. Etwa: „Gebe Jackson-Schlittschuhe, suche Winterpyjama.“

In Dörfern und kleinen Städten vor allem Ostösterreichs war die Not oft um vieles größer als in der Bundeshauptstadt. Ihr Einhalt zu gebieten, sah auch Niederösterreichs Landeshauptmann Josef Reither als seine vordringliche Aufgabe an. Er war vor dem Anschluss LH-Stellvertreter gewesen und hatte 1945 schon in der Provisorischen Landesregierung Figls Nachfolge angetreten.

Im Unklaren über das Schicksal nahestehender Menschen waren auch zu Weihnachten noch viele Angehörige von Soldaten, die an der Ostfront als vermisst gemeldet waren. Später wurden zum Zeichen, dass sie nicht vergessen waren, brennende Kerzen in die Fenster gestellt – kaum noch zu Weihnachten 1945, damals gab es noch keine Kerzen.

PS: Mit diesem Text endete 1995 – eine Woche vor Weihnachten – die „Presse“-Serie von Pia Maria Plechl. Am 18. Dezember 1995 starb sie – in großer Einsamkeit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2015)

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