Lex Zielpunkt: Soll Politik bei Fusionen letztes Wort haben?

Die Rechte der Wettbewerbsbehörden sollten gestärkt werden.

Aufgrund der hohen Marktkonzentration ist eine Übernahme der insolventen Handelskette Zielpunkt durch einen Mitbewerber aus der Lebensmittelbranche wettbewerbsrechtlich äußerst skeptisch zu beurteilen. Da deshalb mit einem Durchwinken durch das Kartellgericht nicht zu rechnen ist, wurden Rufe nach einem politischen Overruling laut. In diesem Fall könnte das Interesse am Erhalt der Arbeitsplätze stärker gewichtet werden als bei einer rein wettbewerbsökonomischen Beurteilung, so die Hoffnung der Proponenten.

In Deutschland gibt es das diesbezügliche Instrument der Ministererlaubnis: Derzufolge kann der Wirtschaftsminister eine Fusion, die vom Bundeskartellamt untersagt wurde, aus „gesamtwirtschaftlichen Gründen“ freigeben. Wäre es vernünftig, auch in Österreich eine politische Instanz über der Kartellgerichtsbarkeit zu etablieren?

Eine Ministererlaubnis stellt jedenfalls eine substanzielle Schwächung der Verrechtlichung der Wettbewerbspolitik dar. Gerade die stärksten und politisch am besten vernetzten Unternehmen besäßen dann die größte Macht, ihre Interessen durchzusetzen.

Wettbewerbspolitik stärken

Selbst in einem seit mehr als einem halben Jahrhundert etablierten System wie in Deutschland, mit dem starken Bundeskartellamt im Zentrum, bleibt politische Einmischung umstritten. Sie birgt nämlich die latente Gefahr, dass kurzfristige Partikularinteressen über das langfristige Interesse der Gesamtwirtschaft gestellt werden. In Österreich sollte vielmehr die Wettbewerbspolitik gestärkt werden, zumal ihre Durchschlagskraft mit jener der deutschen Behörden nicht zu vergleichen ist.

Kein Politiker sollte Entscheidungen der Wettbewerbsbehörden zu Fall bringen können. Im Gegenteil: Die Bundeswettbewerbsbehörde sollte das Recht erhalten, ineffiziente Regulierungen zurückzudrängen und den Wettbewerb auch in Nischen zu tragen, in denen Politik und Interessenvertretungen dies bisher zu verhindern wussten. Der Beitritt zur EU hat frischen Wettbewerbswind nach Österreich gebracht, viele geschützte Werkstätten blieben dabei aber weitgehend verschont (v. a. der freiberufliche Dienstleistungssektor).

Negativbeispiel Griechenland

Das Wohl der Allgemeinheit würde durch eine solche Maßnahme wesentlich stärker befördert als durch eine De-facto-Ausschaltung der Wettbewerbsbehörden durch die Politik. Die Bedeutung funktionierenden Wettbewerbs ist in Österreich nicht ausreichend bekannt. Wettbewerb wirkt langfristig fördernd auf Wachstum und Beschäftigung. Geringer Wettbewerb führt zu einer ungleichen Einkommensverteilung, da hohe, aber ökonomisch unverdiente Renten ermöglicht werden. Eine Einkommensverteilung, die auf der Basis funktionsfähiger Märkte entsteht, ist wesentlich gleicher als eine, die aus Monopolstrukturen resultiert.

Griechenland ist ein warnendes Beispiel: Bei schlecht (bis nicht) funktionierendem Wettbewerb ist die Einkommensverteilung dort eine der ungleichsten in ganz Europa.

Fazit: Es stehen andere wirtschaftspolitische Instrumente zur Verfügung, um die negativen Effekte des Strukturwandels abzumildern. Eine Politik, die gerade bei schwachem Wachstum durch die Stärkung von monopolistischen Positionen das Wachstum weiter unterminiert, erreicht das Gegenteil von dem, was sie vorgibt zu tun. Darum: Ministererlaubnis – nein danke!

Michael Böheim ist Wirtschaftsforscher und Universitätslektor mit dem Schwerpunkt Industrie- und Wettbewerbsökonomie.

Eva Pichler ist ao. Universitätsprofessorin für Industrieökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2015)

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