„Wir sind soziale Wesen“

„Interessant, dass Frauen Führungsrollen oft dann angeboten bekommen, wenn große Institutionen einem Sparprogramm unterworfen werden.“ Seit zehn Jahren leitet Veronica Kaup-Hasler den Steirischen Herbst – und hat dem Festival aus einer Krise heraus ein neues Profil gegeben. In der Reihe Österreichs Intendantinnen im Gespräch.

Mitte Oktober hat Veronica Kaup-Hasler das Resümee über das Festival 2015 gezogen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Rosen gestreut. „Ich bin glücklich, dass ich mit euch arbeiten darf“, sagte sie bei der Abschlusspressekonferenz. Eine Auslastung von 95 Prozent für ein intellektuell anspruchsvolles, ziemlich heterogenes Programm mit 130 Projekten an 24 Tagen kann sich sehen lassen; rund 500 Künstlerinnen und Künstler aus mehr als 40 Nationen haben ihre Beiträge geleistet, für die Uraufführungsproduktion der Oper „Specter of the Gardenia“ hat Berlin Interesse angemeldet, und zum ersten Mal hat der Bundespräsident persönlich die Eröffnung des Konzertschwerpunkts „Musikprotokoll“ vorgenommen. Und kaum hat man diese Erfolgsbilanz verkündet, läuft schon wieder die Uhr. Es bleiben ziemlich genau vier Monate Zeit, um das Programm für das nächste Jahr auf die Beine zu stellen, das Ende Februar zur Präsentation bereit sein muss.

„Das kann einer allein nicht können, da muss man Sachkompetenz abgeben und Vertrauen haben“, verweist Kaup-Hasler auf den unverzichtbaren Mehrwert der Teamarbeit. „Man profitiert so sehr dabei. Man muss natürlich den richtigen Leuten vertrauen. Ich bin bisher zu 90 Prozent richtig gelegen. Das ist natürlich auch eine Frage der sozialen Kompetenz – der Fähigkeit, bei jemand anderem eine Expertise wahrnehmen zu können. Aber genau das ist für mich ein entscheidender Punkt: Wir machen Kunst, das ist kein x-beliebiges Produkt, und ich bin überzeugt davon, dass wir uns auch im Umgang miteinander anders verhalten können.“

Die Tochter des österreichischen Schauspielers Ferdinand Kaup und seiner Frau Friedrun, einer aus der DDR stammenden Sängerin, kam 1968 in Dresden zur Welt, die Familie übersiedelte aber bald darauf nach Wien. „Ich bin im traditionellen Kulturbetrieb aufgewachsen, aber ich habe schon in der Pubertät bemerkt, dass mir das nicht ausreicht. Ich habe wie ein Schwamm alles Zeitgenössische aufgesogen, und diese Neugier hat mich bis heute nicht verlassen.“ Wenn etwa die Mutter im damals noch existierenden ORF-Chor Stücke der Gegenwart einstudierte, saß die Halbwüchsige mit großen Ohren bei den Proben. Für ihr Studium wählte sie Germanistik, Theaterwissenschaft, Politikwissenschaft und Ethnologie, doch der Laufbahn, die sich rasch und scheinbar wie von selbst auftat, misstraute sie. Schon als Hospitantin an Claus Peymanns Burgtheater habe sie bemerkt, wie sie nicht arbeiten wolle, erzählt sie. Nach Studienabschluss bekam sie ein erstes Engagement bei den Salzburger Festspielen, für die „Così fan tutte“-Produktion mit Erwin Piplits. „Ich hatte natürlich Glück, dass ich da als Anfängerin gleich so einsteigen konnte. Ich habe viel beobachtet und in den Zentren der Hochkultur auch viel ex negativo gelernt.“

Mitarbeiterin von Luc Bondy

Kaup-Hasler ging zunächst als Dramaturgin für zwei Jahre nach Basel. Aber erst als sie 1995 zu den Wiener Festwochen stieß, konnte sie ihre Leidenschaft für das Neue, Unbekannte allmählich auch beruflich umsetzen. Als künstlerische Mitarbeiterin von Luc Bondy betreute sie zwischen 1998 und 2001 immer wieder eigene Projekte, von denen die legendäre „Container-Aktion“ von Christoph Schlingensief 2000 vor dem Burgtheater zweifellos das spektakulärste war. „Ich als Jungdramaturgin habe Schlingensief einfach vorgeschlagen und habe Bondy privat mit ihm zusammengeführt. Danach ging das seinen Gang – so etwas kann man nicht planen“, erinnert sie sich an die „glückhafte Entwicklung“ dieser Arbeit. „Ich fand die Aktion damals verstörend und interessant. Sie hat vielesvorweggenommen, womit wir heute gesellschaftlich konfrontiert sind: Sie hat das Thema Selektion auf den Punkt gebracht. Das war wirklich Kunst am Puls der Zeit. Solche Sternstunden gelingen selten.“

Als Schlingensief mit seiner „Ausländer raus!“-Installation in der Öffentlichkeit Wellen schlug, war Veronica Kaup-Hasler frisch gebackene Mutter einer kleinen Tochter. Vier Jahre später kam ihr Sohn, ebenfalls aus ihrer Ehe mit dem Architekten Manfred Hasler, zur Welt. Da saß sie als Leiterin der Biennale „Theaterformen“ in Hannover und Braunschweig schon im passenden Sattel – doch keine Spur von Babypause. Im selben Jahr wurde sie zur neuen Intendantin des Steirischen Herbsts ab 2006 bestellt. Und das seit 1968 bestehende Grazer Festival, das nach der Jahrtausendwende unter der Leitung von Peter Oswald zu einem glanzvollen Höhenflug angesetzt hatte, befand sich in einer schweren wirtschaftlichen Krise. Die Situation war der jungen Kulturmanagerin keineswegs von vornherein klar: „Ich bin unter anderen Voraussetzungen angetreten. Und dann war ich neun Monate ohne Vertrag.“ Als Konsequenz auf einen vernichtenden Rechnungshofbericht war „Redimensionierung“ angesagt; die drastische Kürzung des Budgets erforderte eine komplette Neustrukturierung und Neuorientierung. Als sie im Juni 2005 endlich im Amt war, proklamierte sie für das erste von ihr programmierte Festival das Motto „Die Lust am Subversiven“.

„Karenz kenne ich nur vom Hörensagen“, lacht Kaup-Hasler. „Aber ich habe immer gefunden, dass das Leben zu groß ist, um diese Erfahrungen auszuschließen. Im Kreativbereich war es auch in Ordnung, ein Baby dabei zu haben, obwohl es damals in der Theaterszene kaum Frauen mit Kindern gab.“ Das viel beschworene Netz aus Familie und Freunden und vor allem der Einsatz ihres inzwischen verstorbenen Ehemanns ermöglichten Kaup-Hasler die Bewältigung der beruflichen Herausforderungen, mit denen sie in Graz konfrontiert wurde – wobei die Kinder immer Vorrang hatten, wie sie versichert: „Jedes Laternenfest war ein absolutes Must. Da wurden Dienstreisen abgesagt.“

Jetzt, wo die Tochter in Wien eine Ausbildung beginnt, hat sich auch der Hauptwohnsitz der Familie dorthin verlagert, was das Leben der Mutter nicht erleichtert. „Durch das Pendeln zwischen Graz und Wien bin ich eigentlich dauernd unterwegs.“ Während der Festivalperiode bleiben die Kinder unter Aufsicht des Lebensgefährten und des bewährten Familiennetzwerks, aber vorher gibt es auf jeden Fall noch den gemeinsamen Sommerurlaub: „Der ist sakrosankt. Drei Wochen mit den Kindern, das muss unbedingt sein. Wir sind soziale Wesen. Wenn wir keinen normalen Alltag haben, verlieren wir die Bodenhaftung.“ So klar und einfach, wie sich das nachträglich anhört, war und ist die Doppelstrategie in der Praxis zweifellos nicht. Es seien letztlich eben doch immer die Frauen, die mit verschiedenen Ebenen gleichzeitig jonglieren müssten, meint Kaup-Hasler. „Dabei dachte ich eigentlich, den Feminismus hätte meine Mutter schon für mich erledigt.“

Dass sie auf der Vereinbarkeit von Beruf und Familie beharrt, hat durchaus positive Auswirkungen für ihre Belegschaft. „Es ist zum Beispiel eine wichtige hierarchische Frage, wer reisen darf. Aufgrund der Familie konnte ich nicht alles wahrnehmen, dadurch haben junge Leute eine sehr gute Ausbildung bekommen“, freut sich Kaup-Hasler über die berufliche Emanzipation ihrer Mitarbeiter. Die ehemaligen „Herbst“-Dramaturgen Kira Kirsch und Florian Malzacher sind seit Kurzem selbst in Intendantenpositionen; Kirsch seit Anfang der Saison am Wiener „Brut“. „Ich glaube wirklich, dass wir auch anders arbeiten können als in den herkömmlichen Strukturen. Das bedeutet aber nicht, ohne Führung zu arbeiten. Und ich selber muss dafür extrem entscheidungsfreudig sein.“

Dass ihr das ausgesprochen gut liegt, hat Veronica Kaup-Hasler in nun fast zehn Jahren beim Steirischen Herbst vielfach bewiesen. Das Statement, das sie einem aktuellen Papier über „Strategien für morgen“ vorangestellt hat, liest sich dabei wie ein Resümee ihrer persönlichen Erfahrungen: „Es ist auch interessant, einen näheren Blick auf den Umstand zu werfen, dass Frauen maßgeblichere Führungsrollen oft dann angeboten bekommen, wenn große Institutionen einem Sparprogramm unterworfen werden und eine Neupositionierung auch aus ökonomischen Gesichtspunkten notwendig ist.“

Falls die Intendantin im konkreten Fall also mit den Fähigkeiten der umsichtigen Hausfrau gefragt war, so hat Veronica Kaup- Hasler der Anforderung voll entsprochen. Als Geschäftsführerin ist sie stolz darauf, „das Budget in all den Jahren nicht um einen Cent überzogen“ zu haben. Den wirtschaftlichen Zwängen, die ihr auferlegt waren, hat sie mit der gebotenen Lust am Risiko dennoch ein abwechslungsreiches Programm abgetrotzt, im Sinne dessen, was sie als „Alleinstellungsmerkmal“ definiert: Dass Kunst aller Sparten interdisziplinär speziell für dieses Festival produziert wird, hält sie für „weltweit einzigartig“. Die vielfältige Vernetzung ihrer Aktivitäten auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene sei dabei das Gebot der Stunde. „Wir produzieren Arbeiten in den europäischen Gesamtverbänden. Wir legen unser Geld in Form von Kooperationen zusammen. Das Geld wird weniger, und wir müssen in vielerlei Hinsicht solidarischer werden.“

Höchstzahl von 100 Punkten

Eine derart umsichtige Haltung wird belohnt –mit einer EU-Förderung über drei Jahre, die der Steirische Herbst als einziges österreichisches Festival erhielt: „Die bekommen überhaupt nur 17 Festivals in ganz Europa, und wir waren unter den fünf Kandidaten, die auf der Bewertungsskala die Höchstzahl von 100 Punkten hatten. Das hat mir bei den österreichischen Kulturpolitikern sehr geholfen. Da ist wirklich etwas geschafft worden – nämlich einerseits die lokale Verankerung mit den Kulturinstitutionen der Stadt, und andererseits die überregionale Ausstrahlung.“ Nicht zuletzt ist auch das Budget des „Herbsts“ während ihrer Amtszeit von ursprünglich 2,5 Millionen Euro wieder auf immerhin 4,1 Millionen gestiegen; davon stehen etwa 50 Prozent für die künstlerischen Aktivitäten zur Verfügung.

Veronica Kaup-Hasler hat nicht die landesübliche Scheu, offen über Geld zu sprechen. Sie selbst fühle sich „gut bezahlt“ und möchte, dass es allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut geht, auch den vielen Freiberuflern, ohne die das Festival nicht existieren könnte. Deshalb plädiert sie für „ein neues Arbeitsethos“, mit einem Mindestmaß an Fairness gegenüber den Kreativen, deren Einsatz anderswo gern marginalisiert wird. „Unbezahlte Arbeit gibt es bei uns nicht. Wenn jemand zum Beispiel ein Konzept erarbeitet hat, wird es abgegolten, auch wenn wir es nicht realisieren.“

Den Begriff Avantgarde findet sie übrigens „altbacken“; sie spricht lieber von „avancierter zeitgenössischer Kunst“. Und dass sie für die öffentliche Wahrnehmung ihrer„avancierten“ Projekte nicht auf die konventionellen medialen Steigbügel reflektiert, liegt auf der Hand: „Ich bin kein Gegenstand der Seitenblicke-Welt.“ Der Vertrag von Veronica Kaup-Hasler wurde mittlerweile bereits zum zweiten Mal verlängert und läuft aktuell bis 2017 – dann wird sie Ende 40 und elf Jahre in Graz aktiv gewesen sein. „Es ist ein Privileg, den eigenen Horizont so weit aufmachen zu dürfen. Das war schon Schicksal – im schönsten Sinn des Wortes.“ ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2015)

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