Kluft in Irans Gesellschaft vertieft sich

Demonstranten in Teheran
Demonstranten in Teheran(c) AP (Str)
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Tote und Schwerverletzte. Die Proteste am Wochenende forderten mindestens 13 Tote und hunderte Verletzte. Das Oppositionslager bereitet einen Aufruf zu flächendeckenden Arbeitsniederlegungen vor.

Vertreter der Opposition im Iran überlegen offenbar nach der blutigen Niederschlagung der Proteste vom Samstag einen Strategiewechsel. Auf der Facebook-Website des bei den Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni unterlegenen Mir Hussein Moussavi wird um Unterstützung bei der Vorbereitung eines Generalstreiks gebeten. Das Kalkül dahinter: Eine Streikbewegung wäre für die Sicherheitsbehörden deutlich schwieriger zu in den Griff zu bekommen als Demonstrationszüge auf den Straßen der Städte.
Die Niederschlagung der Proteste vom Samstag hat nach Angaben des staatlichen iranischen Fernsehens mindestens zehn Menschen das Leben gekostet, manche Quellen sprechen gar von rund 150 Toten und mehr.

Im Moment ist es kaum möglich, die genaue Zahl der Todesopfer der Unruhen vom Wochenende - an denen sich mindestens 3000 Menschen beteiligt haben - zu erfassen: In den staatlichen Medien ist von bis zu 13 Toten die Rede. In Meldungen des Internet-Kurzmitteilungsdienstes twitter.com heißt es, dass es „Dutzende Tote" gegeben habe, als Quelle werden „Ärztekreise" angegeben. Die Quelle „Persiankiwi", von der diese Meldung stammt, hat sich in den vergangenen Tagen stets als relativ zuverlässig erwiesen. Allerdings ist „Persiankiwi" dem Lager der Opposition rund um den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Mir Hussein Moussavi zuzuordnen.

Die Studentenorganisation Iranian Students Solidarity Movement (ISSM) gab die Zahl der Toten mit landesweit mehr als 300 an. Eine unabhängige Überprüfung der Angaben ist kaum möglich, da die iranische Führung die Möglichkeiten der Berichterstattung für die internationalen Medien massiv eingeschränkt hat. So wurde erst am Sonntag der Korrespondent des britischen Fernsehsenders BBC angewiesen, das Land innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Der kanadische Journalist George McLeod wurde nach eigenen Angaben von iranischen Sicherheitskräften misshandelt. Der US-TV-Sender CNN hat ihn interviewt.

CNN-Interview mit George McLeod

Iranische Journalisten, die über die Protestbewegung berichten, geraten ebenfalls massiv unter Druck. Die Journalistenorganisation „Reporter ohne Grenzen" hat auf ihrer Website eine Liste mit 23 Journalisten und Internet-Bloggern veröffentlicht, die seit dem 12. Juni verhaftet worden sind. Offenbar verstärkt die politische Führung des Landes auch den Druck auf die Proponenten der Oppositionsbewegung.

Rafsanjani unter Druck

Es ist allerdings alles andere als einfach, die Signale aus Teheran zu deuten: In der Samstags-Ausgabe der englischsprachigen „Tehran Times" ist zu lesen, dass der 86-köpfige Expertenrat sich nun voll hinter Ayatollah Ali Khamenei - die oberste religiöse Instanz - stellt. Khamenei hatte in seinem Freitagsgebet die Opposition zu einem Ende der Proteste aufgefordert. Das ist insofern von Bedeutung, als dieses wichtige 86-köpfige Gremium es theoretisch in der Hand hätte, Khamenei abzusetzen.

Interessant ist die Tatsache, dass Ayatollah Ali Akbar Hashemi Rafsanjani Vorsitzender dieses Gremiums ist. Rafsanjani, der bisher öffentlich nicht Stellung bezogen hat, gilt als gewichtigster Widersacher von Präsident Mahmoud Ahmadinejad und der obersten religiösen Instanz Ayatollah Ali Khamenei.

Rafsanjani wird unter Druck gesetzt: Die Tochter des früheren Präsidenten Faezeh Hashemi sei ebenso wie vier ihrer Verwandten verhaftet worden, als sie Demonstranten „aufgehetzt" habe, berichtete die iranische Nachrichtenagentur „Fars" am Sonntag. Im Wahlkampf hatte Ahmadinejad Rafsanjani sowie dessen Familie Betrug vorgeworfen. Die Rafsanjani-Familie zählt zu den reichsten im Iran. Vergangene Woche waren Faezeh und Mehdi Hashemi an der Ausreise gehindert worden. Rafsanjani selbst wurde aber von Ayatollah Khamenei in Schutz genommen.

Proteste am Sonntag

Iran-Beobachter werten die Rückenstärkung Khameneis durch den Expertenrat und das Schweigen Rafsanjanis als möglichen Hinweis, dass der einflussreiche Kleriker, der als sehr gewiefter Strippenzieher in Teheran gilt, nicht länger seine schützende Hand über Moussavi und die Protestbewegung halten kann oder will. Mit der Verhaftung von Familienmitgliedern hat die Führung des Landes nun jedenfalls ein wichtiges Druckmittel gegen Rafsanjani in der Hand.

Der moderate Ex-Präsident Mohammed Khatami hat sich eingeschaltet und die sofortige Freilassung von verhafteten Demonstranten gefordert und vor einem Verbot der Proteste gewarnt. Eine weitere wichtige Stimme der Reformkräfte, der führende Dissident Großayatollah Hussein Ali Montazeri hat sich ebenfalls aus der Pilgerstadt Qom zu Wort gemeldet: Er rief zu einer dreitägigen Trauer zu Ehren der getöteten Demonstranten auf. Der Führung um Präsident Mahmoud Ahmadinejad warf er vor, mit ihrer unnachgiebigen Haltung gegen die Gebote der Religion zu verstoßen.

Internationale Proteste

Ohne konkrete Namen zu nennen, hat der einflussreiche Parlamentssprecher Ali Larijani „bestimmte Mitglieder" des Wächterrats, dem die Überwachung der Wahl obliegt, der Parteinahme für einen „bestimmten Kandidaten" bezichtigt - Präsident Ahmadinejad. Das wäre insofern bemerkenswert, als Larijani eigentlich als Vetrauter von Präsident Mahmoud Ahmadinejad gilt. Das könnte als Zeichen von Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Nomenklatura gewertet werden.

Die internationale Gemeinschaft reagiert zunehmend besorgt auf die Vorgänge im Iran. Zuletzt meldete sich die deutsche Kanzlerin Merkel kritisch zu Wort, prompt gab es wüste Proteste aus dem Iran.

(Die Presse, Printausgabe, 22. 6. 2009)

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