Triest bei Regen

Triest bei Regen – das erinnert mich an Wien vor 25 Jahren, als der Putz gebröckelt, die Bevölkerung geschrumpft ist und keiner auf die Idee gekommen wäre, diese Stadt hip zu finden.

Normalerweise fällt es nicht so auf. Bei Sonnenschein, da ist Triest eine südliche Stadt, man kann das Meer riechen, in den verwinkelten Hinterhöfen hängt die Wäsche, und in den Gassen stehen die Menschen in Trauben vor Bars und Buffets – typisch italienisch, auch wenn Triest über Jahrhunderte zu Österreich gehört hat.

Bei Regen aber, da erinnert Triest mich an Wien. Genau genommen an das Wien vor 25 Jahren, als ich zum Studium hierhergezogen bin. Die Stadt war damals grau. Von den prachtvollen Fassaden bröckelte der Putz. Die Lokale waren oft im Keller und hießen Titanic oder Nachtasyl. Ein Wasserkopf sei Wien, hörte ich, eine schrumpfende Stadt mit einer alternden Bevölkerung. In Wien, hieß es, und man meinte das abschätzig, beginne der Balkan.

In der Mitte stand der Stephansdom, schwarz starrend vor Dreck.

Nein, sehr ansprechend war das nicht.

Ich wohnte damals Zimmer/Küche/Klo-am-Gang, im Winter schleppte ich Ölkanister, im Sommer radelte ich durch den Burggarten, wo noch keiner in der Wiese liegen durfte, und war selig. Ich mochte die bröselnde Größe dieser Stadt, ich liebte es, dass so vieles so schön war und man diese Schönheit nicht nutzte, dass man sie sein ließ, auch auf die Gefahr hin, dass sie verging.

Rostende Gerüste. So ist Triest heute. Man kann bei Regen durch die Straßen streunen und findet Hauseingänge mit Statuen und Stuck, auf denen der Staub von Jahrzehnten liegt. Prunkbauten mit verrammelten Türen. Palazzi mit zerborstenen Fenstern, durch die man einen Blick auf alte Holzdecken werfen kann – davor stehen Gerüste, die schon Rost ansetzen. Ein paar Häuserzeilen im ältesten Teil der Stadt wurden zwar renoviert und leuchten nun bunt, aber meinem Kollegen, der ebenfalls nach Neujahr in Triest war, war das zu wenig. Er reiste umgehend wieder ab: zu düster. Dann schon lieber Laibach, sagte er und zeigte mir Fotos von üppig und raffiniert beleuchteten Plätzen.

Triest sei eine alternde Stadt, sagt er. Es sei eine sterbende Stadt.

Ich glaube ihm kein Wort. Solche Schönheit stirbt nicht, sie schläft nur – wie Dornröschen, bis es entdeckt wird hinter hohen Hecken. Dann werden die Studenten die Stadt entdecken und die Künstler, die Investoren werden kommen und schließlich die Touristen, vielleicht wird sogar eine direkte Zugverbindung nach Wien eingerichtet werden, und nachdem das „Zeit-Magazin“ geschrieben hat, dass Triest eine Stadt zum Tagträumen sei, wird der „Spiegel“ einen Mitarbeiter dorthin schicken, der eine verwunderte Kolumne über das dortige Nachtleben schreibt.

Ich suche dann weiter.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.01.2016)

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