Kampagnenexperte: "Parteistrukturen verlieren an Bedeutung"

Clinton gegen Rubio und Van der Bellen gegen Khol, tippt Maderthaner.
Clinton gegen Rubio und Van der Bellen gegen Khol, tippt Maderthaner.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Präsidentschaftswahlen. Kampagnenexperte Philipp Maderthaner über US-Trends und die neue Macht des Wählers – auch in Österreich.

Die Presse: Wenn Sie den US-amerikanischen mit dem österreichischen Präsidentschaftswahlkampf vergleichen: Wo sind die größten Unterschiede?

Philipp Maderthaner: In den USA gibt es keinen Kommunikationsschritt mehr, der nicht datenbasiert ist. Und damit meine ich nicht die klassische Meinungsforschung, die ins Feld geht und Wochen später ein Ergebnis liefert. Ich meine, dass der Wähler live beobachtet wird.

Können Sie ein Beispiel geben?

Bevor Hillary Clinton einen Spendenaufruf startet, verschickt sie zwölf E-Mails an zwölf Gruppen zu je 50.000 Personen, um die Reaktionen der Leute abzutesten. Und die E-Mail, die am besten funktioniert hat, geht dann an ihre gesamte Datenbank, die mittlerweile mehrere Millionen Kontakte umfasst.

Kann die Wortwahl einen finanziellen Unterschied ausmachen?

Die Wortwahl, das Thema oder auch der Absender. Vielleicht ist es besser, wenn nicht Hillary Clinton schreibt, sondern ihre Tochter Chelsea. Es gibt Kalkulationen aus dem Obama-Wahlkampf: Mit der richtigen Mail kann man bis zu zwei Millionen Dollar mehr lukrieren.

Mit Geld allein gewinnt man aber noch keine Wahl.

Es geht da nicht nur um Spenden. Durch die Interaktion mit dem Wähler erfahre ich mehr über ihn: was ihn interessiert, auf welche Botschaften er anspringt. Bei einer Telefonumfrage habe ich immer das Risiko, dass mir das Gegenüber nicht die ganze Wahrheit sagt.

Hat Österreich da eine Entwicklung verschlafen?

Nein, es ist gerade eine im Gang, bei allen Parteien. Auf den Homepages der Präsidentschaftskandidaten kann man sich als Unterstützer eintragen. Damit hat man das Wertvollste überhaupt für eine Kampagne: einen direkten Draht zu dieser Person. Ich kann dann die Beziehung vertiefen und so die Mobilisierung zielgerichteter gestalten.

Aber das sind jene Wähler, die zum Kandidaten kommen. Die Mehrheit kommt nicht, sie klinkt sich aus dem politischen Leben aus. Wie erreicht man diese?

Die Macht ist vom Sender zum Empfänger gewandert – und die Politik muss vom hohen Ross herunter, wenn sie ihn erreichen will. Die Zeit der Zwangsbeglückung ist vorbei. Die Frage ist nicht mehr: Was will ich als Partei meinen Wählern erzählen? Sondern: Wie muss ich Inhalte aufbereiten, um potenzielle Wähler für mich zu gewinnen?

Und, wie macht man das?

Ein Video zum Start der Kampagne ist mittlerweile auch in Österreich State of the Art. Allerdings nimmt sich der Wähler nicht drei, vier Minuten Zeit dafür. Die erfolgreichsten Videos in den sozialen Netzwerken dauern maximal 20 Sekunden. Diese Zeit muss man nutzen.

Besteht da nicht die Gefahr, dass Politik oberflächlich wird?

Nein, man kann ja laufend vertiefende Infos nachliefern. Aber zuerst braucht man einen Kontakt. Nach wie vor gilt: Man muss die Leute dort abholen, wo sie sind. Nur sind sie längst woanders. Die Mehrheit liest keine Zeitungen und konsumiert auch kein lineares Fernsehen mehr. Sie ist auf anderen Kanälen unterwegs. 3,5 Millionen Österreicher nutzen Facebook. Das ist mehr Reichweite, als die „Krone“ hat.

Die Älteren, die man in Österreich braucht, um eine Wahl zu gewinnen, werden Sie über Facebook aber eher nicht erreichen.

Wandel heißt nicht, dass die Parteien ab morgen auf ihre Strukturen verzichten sollen. Aber sie verlieren an Bedeutung. Die Parteien brauchen ein zweites Standbein, um das Minus bei den Mitgliedern zu kompensieren. Übrigens sind im Segment 60 plus rund 200.000 Österreicher auf Facebook, bei den über 50-Jährigen sind es – kumuliert – 540.000. Das ist nicht nichts.

Haben Plakate noch Sinn?

Plakate sind für die eigenen Funktionäre wichtig, damit sie sehen, dass Wahlkampf ist. Allerdings ist das eine sehr teure Kulisse. In Wahrheit musste nie jemand den Beweis antreten, ob Plakate etwas bringen. Henry Ford hat gesagt: „Ich weiß, dass 50 Prozent meiner Werbung für den Müll sind, aber ich weiß nicht, welche.“ In den USA fließt ein Großteil der Budgets in den Onlinebereich, denn dort kann man leichter Relevanz erzeugen.

Wer wird am 8. November in den USA gegeneinander antreten?

Mein Tipp ist: Hillary Clinton gegen Marco Rubio. Clinton hat aus ihrer Niederlage vor acht Jahren gegen Barack Obama gelernt. Und bei den Republikanern wird sich der Dritte – Rubio – freuen, wenn sich Donald Trump und Ted Cruz gegenseitig bekämpfen. Aber fragen Sie mich nicht, wer am Ende gewinnt.

Und wer schafft es in Österreich in die Stichwahl?

Die Kampagnen sind erst angelaufen. Ich schätze, dass es Alexander Van der Bellen und Andreas Khol schaffen werden.

ZUR PERSON

Philipp Maderthaner (34) war Kampagnenchef der ÖVP unter Josef Pröll, bevor er sich 2012 selbstständig machte. Sei Unternehmen, Campaigning Bureau, beschäftigt 23 Mitarbeiter und ist Partner der Agentur Blue State Digital, die für Barack Obama gearbeitet hat. Maderthaner berät Unternehmen und Organisationen bei der Mobilisierung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2016)

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