Tumult bei Prozess gegen SS-Mann

Reinhold H., a 94-year-old former guard at Auschwitz, leaves in a car after the first day of his trial in Detmold
Reinhold H., a 94-year-old former guard at Auschwitz, leaves in a car after the first day of his trial in Detmold(c) REUTERS (POOL)
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Der Auschwitz-Wachmann Reinhold H. muss sich wegen Beihilfe zum Mord vor Gericht verantworten. Er soll Gefangene in die Gaskammer begleitet haben.

Detmold/Wien. Beihilfe zum Mord in 170.000 Fällen: Seit dem gestrigen Donnerstag muss sich der Deutsche Reinhold H. im nordrhein-westfälischen Detmold vor Gericht verantworten. Von Jänner 1943 bis Mitte Juni 1944 war H. als Wachmann im Konzentrationslager Auschwitz tätig. Während dieser Zeit soll er die Selektion der Gefangenen bewacht und sie auch in die Gaskammer begleitet haben. Daher wirft ihm die Staatsanwaltschaft Beihilfe zum Mord vor, und zwar während der sogenannten Ungarn-Aktion im Frühsommer 1944.

Dass er als Wachmann in Auschwitz tätig war, hat H. zugegeben, eine Beteiligung an den Morden weist er zurück. H. ist einer von insgesamt vier NS-Wächtern, darunter eine Frau, denen derzeit der Prozess gemacht oder vorbereitet wird. Geboren wurde H. 1921, nach seinem Eintritt in die Hitlerjugend hat er sich freiwillig zur Waffen-SS gemeldet. Als Teil der SS-Totenkopfverbände war er Wachmann in Auschwitz. Für den Prozess haben ihm Gutachter eingeschränkte Verhandlungsfähigkeit attestiert, einstweilen wurden zwölf Verhandlungstermine anberaumt.

Novum für deutsche Justiz

Gleich am ersten Verhandlungstag kam es zu einem Tumult, als die verurteilte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck den Saal betreten wollte. Beamte mussten sich vor sie stellen, um Übergriffe abzuwehren. Sie verließ das Gericht.

Erst kürzlich wurde Oskar Gröning wegen Beihilfe zum Mord in 300.000 Fällen während der sogenannten Ungarn-Aktion zu vier Jahren Haft verurteilt (nicht rechtskräftig). Späte Prozesse wie diese sind ein Novum für die deutsche Justiz, seit im Jahr 2011 John Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an über 28.000 Menschen verurteilt wurde. Demjanjuk starb während der Revision.

Vor Gericht wurde ihm nicht eine konkrete Tat vorgeworfen, wie bei den NS-Prozessen zuvor; stattdessen hat die Staatsanwaltschaft befunden, dass allein die Mitwirkung, die Komplizenschaft bei den Massenmorden, Grund für eine Verurteilung ist. Frühere Ermittlungen gegen Gröning wurden in den 1980er-Jahren eingestellt, weil ihm keine konkrete Tat nachgewiesen wurde. (duö)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.02.2016)

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Der Angeklagte Reinhold H. (r) wird am 11.02.2016 in Detmold (Nordrhein-Westfalen) in den Gerichtssaal im Gebäude der Industrie- und Handelskammer (IHK) geführt.
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Der 94-jährige Mann arbeitete in Auschwitz, als die Vernichtungsmaschinerie auf Hochtouren lief. Am ersten Verhandlungstag schwieg er zu den Vorwürfen.

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