Wie Musik Schlaganfallpatienten beim Gehen hilft

(c) FABRY Clemens
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Gehirnforschung. Die Neurowissenschaftlerin Johanna Wagner hat untersucht, warum Menschen nach einem Schlaganfall Probleme beim Gehen haben. Sie will nun erforschen, wie man die Rehabilitation mit Musik verbessern kann.

Einem Hindernis rechtzeitig ausweichen oder plötzlich stoppen, das können viele Menschen nach einem Schlaganfall nicht mehr. Sie stürzen häufiger, weil sie nicht rechtzeitig reagieren und ihre Schritte anpassen können. Warum das so ist, weiß man durch eine Untersuchung, für die Schlaganfallpatienten während des Gehens Rechenaufgaben lösen mussten. Dabei verlängert man nämlich die Schritte, weil kürzere Schritte eine höhere kognitive Kontrolle erfordern.

Die Neurowissenschaftlerin Johanna Wagner zeigt in ihrer Studie an der TU Graz erstmals die neurophysiologische Dimension dieser Erkenntnis: Kürzere Schritte erfordern eine höhere Aktivität, vor allem im rechten Frontallappen des Gehirns – einem Areal, das mit motorischer Hemmung zusammenhängt. Dieses Wissen könnte in der Therapie, zum Beispiel beim Neurofeedbacktraining, helfen. „Wenn man weiß, welche Gehirnareale mit einer motorischen Störung funktional zusammenhängen, kann man gezielt dort aktivieren“, sagt Wagner. Sie untersucht die elektrische kortikale Aktivität, also die Aktivität der Gehirnrinde, während der funktionalen Gangbewegung. Im neuen Forschungsfeld Mobile Brain Body Imaging (siehe Lexikon) spezialisieren sich Wissenschaftler auf die Beziehung zwischen Bewegung und Gehirnaktivität.

Die Idee kam auf dem Laufband

Das ist gar nicht so einfach, denn bis vor Kurzem konnten Ganzkörperbewegungen nicht gemessen werden. Die funktionelle Magnetresonanztomografie passiert im Liegen. Auch beim Elektroenzephalogramm (EEG) stört Bewegung die Signale. Die Patienten müssen ganz still halten, während höchstens eine einzelne Hand- oder Fußbewegung untersucht wird.

Neue Analysenmethoden sollen nun die Störfaktoren aus dem Signal herausrechnen. Johanna Wagner stellt den Verstärker, der die Signale der elektrischen Gehirnaktivität erhöht, neben das Laufband, um während der Gehbewegung zu messen. „Mittlerweile gibt es aber auch mobile Elektroden, die via Bluetooth funktionieren. Man kann sie in einen Rucksack geben und sich damit während der Messung bewegen“, erzählt Wagner. Bisher hat sie das nur bei gesunden Menschen versucht. Bei Schlaganfallpatienten kann rhythmische Stimulation Schrittgeschwindigkeit und Gangmuster verbessern.

Die Idee, die neuronalen Mechanismen dieses Effekts zu erforschen, kam Wagner auf dem Laufband. „Im Fitnessstudio ist mir aufgefallen, dass das Laufen mit Musik weniger anstrengend und langweilig ist. Musik treibt unsere Schritte regelrecht an.“ Rhythmus stimuliert Bewegungen und wir synchronisieren Schritttempo und Atmung mit der Musik. Dazu gibt es noch wenige Studien, aber man weiß schon: Allein das Hören von Musik regt motorische Areale an. „Mich interessiert, wie Musik für Rehabilitation genutzt werden kann“, sagt Wagner. Sie vermutet sogar, dass man gelähmte Schlaganfallpatienten so wieder zum Bewegen bringen kann.

Auf ihren aktuellen Ergebnissen will Wagner aufbauen. Sie zeigen, dass bestimmte neuronale Oszillationen eine Rolle in der zeitlichen Vorhersage und Planung von Gangbewegungen und Rhythmus spielen. „In der synchronen Bewegung zu Musik, zum Beispiel wenn man tanzt, ist zeitliche Verarbeitung essenziell. Deshalb spielen die von mir entdeckten Mechanismen wahrscheinlich auch bei der Bewegung zu Musik eine zentrale Rolle.“

LEXIKON

Mobile Brain Body Imaging. In diesem neuen Feld arbeiten Forscher an Verfahren, um die Gehirnaktivität bei Bewegung zu messen. Dazu müssen die Möglichkeiten der Elektroenzephalografie (EEG) weiterentwickelt werden. Die Wissenschaftler suchen nach Methoden, um Störfaktoren aus dem EEG-Signal herauszurechnen. So kann man etwa die elektrische kortikale Aktivität, also die Aktivität der Gehirnrinde, während des Gehens messen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2016)

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