Das Waldheim-Dossier geriet „in Verstoß“ . . .

Karl Gruber, Österreichs erster Außenminister, wusste 1946 alles über die SA-Reiterstandarte. Er wollte helfen.

Zumindest die Sache mit Waldheims (unfreiwilliger?) Mitgliedschaft als Student bei der SA-Reiterei hätte 1986 im Außenamt längst bekannt sein müssen, wären die Akten nicht offensichtlich verschwunden. Beim Dienstantritt Waldheims nach dem Krieg wussten davon jedenfalls Außenminister Karl Gruber und sein erster Generalsekretär, Botschafter Heinrich Wildner. Das geht aus einer Notiz des Diplomaten hervor, der 1903 ins Außenamt eingetreten war und akribisch Tagebuch geführt hat.

Am 1. Februar 1946 findet sich folgender Eintrag: „Gruber weiterhin nervös. Sein Auto wurde heute von einem angeblich in russischer Uniform steckenden Mann entführt. – Einer unserer Zugeteilten, Dr. W., der jetzt bei Gruber Dienst tut – die Familie hatte vor nicht allzu langer Zeit ihren tschechischen auf einen rein deutschen Namen geändert –, wurde eben vom Gericht als Angehöriger der SA-Reiterstandarte bezeichnet. Gruber will ihn retten.“ Vielleicht ist damit auch das besondere Engagement des alten Ex-Ministers Gruber erklärlich, der Waldheim in dessen Amtszeit als Bundespräsident (nach der Watchlist-Entscheidung) in Amerika offensiv verteidigt hatte.

Heinrich Wildner (1879–1957), mit dem sich Gertrude Enderle-Burcel im Staatsarchiv intensiv beschäftigt hat, machte Dienst im Generalkonsulat St. Petersburg und Belgrad, dann im Außenamt, wurde 1938 als Christlichsozialer pensioniert, mit 30. April 1945 trat er wieder ins Außenministerium ein und blieb bis 1949 Generalsekretär. Wildners Tagebücher sind eine sprudelnde Quelle für Historiker. Sie zeigen seinen Wissensstand über das Schicksal von jüdischen Bürgern sowie über Enteignungen rassisch und politisch Verfolgter. Und dies, obwohl er in der NS-Zeit als Pensionist in Wien lebte. Sein Nachlass ist 1958 unter nicht ganz nachvollziehbaren Umständen von seinem Bruder Clemens Wildner, ebenfalls Diplomat, ans Staatsarchiv abgeben worden. In Gabelsberger Stenografie finden sich hier tägliche Notizen für die Jahre 1909, 1911, 1913, 1917, 1923 bis 1950. Darüber hinaus gibt es Tagebuchaufzeichnungen in Maschinenschrift für die Jahre 1903 bis 1905 sowie durchgehend von 1914 bis 1950. Erst 2013 hat das Außenamt einen Teil davon publiziert.

Wie erst jetzt bekannt wird, hat sich Bruno Kreisky gleich nach seinem Amtsantritt als Bundeskanzler 1970 für das Waldheim-Dossier im Außenministerium interessiert. Bevor er nämlich seinen Diplomaten-Freund Waldheim, den er außerordentlich schätzte, in aller Welt als künftigen UN-Generalsekretär anpries, wollte er offenbar auf „Nummer sicher“ gehen, aber die Akten waren nicht greifbar. (hws)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

ARCHIVBILD
Zeitreise

Waldheim: Die Treibjagd kann beginnen

März 1986. Das Nachrichtenmagazin „Profil“ berichtet von einer SA-Reiterstandarte in der Konsularakademie 1938. Der ÖVP-Präsidentschaftskandidat beteuert, nie wissentlich NS-Mitglied gewesen zu sein, genau das Gegenteil sei der Fall.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.