Krimi als Spiegel der Gesellschaft

Die vergleichende Literaturwissenschaftlerin Andrea Kreuter erforscht die Elemente des Regionalkrimis. Ihr Ziel ist die Definition einer eigenständigen Gattung.

Blutüberströmt liegt eine tote Frau vor den Stufen des Salzburger Doms. Schaulustige scharren sich um sie. Dem Tatort nähert sich ein Mann auf einem Puch-Waffenrad. Bekleidet ist er mit einem traditionellen Trachtenanzug. Er steigt vom Rad und stopft sich etwas lustlos eine Mozartkugel in den Mund. Die umstehenden Leute drängt er zur Seite und fragt im breiten Salzburger Dialekt, ob jemand die Tote kennt. So ähnlich könnte das Setting eines sogenannten Regionalkriminalromans aussehen, der meist mit einem Mord beginnt. „In dieser Untergattung der konventionellen Kriminalliteratur werden für die Geschichte regionale Elemente mit einem starken Heimatbezug verwendet“, sagt die Literaturwissenschaftlerin Andrea Kreuter von der Uni Wien.

„Meine ersten Forschungsergebnisse zeigen, dass die Bestandteile für den Handlungsrahmen eines Regionalkrimis ein enges Verhältnis zur Region aufweisen“, erklärt Kreuter. Vor allem seien etwa die regionale Küche, die regionaltypische Sprache, Marken oder Eigennamen und oftmals ein bodenständiger Ermittler wiederkehrende Komponenten eines Regionalkrimis. „Der Ermittler hat mit einer klassischen Sherlock-Holmes-Figur nicht viel gemeinsam“, sagt sie etwas schmunzelnd.

„Totentanz im Stephansdom“

Die 29-Jährige Komparatistin – vergleichende Literaturwissenschaftlerin – arbeitet im Rahmen eines Doc-Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften an der Uni. In ihrem Dissertationsprojekt erforscht sie das Phänomen des Regionalkriminalromans für den deutsch- und italienischsprachigen Raum. Betritt man in Wien eine Buchhandlung, wird man von Regionalkrimi überschwemmt. Buchtitel wie „Jedermanntod“, „Totentanz im Stephansdom“, „Letzter Kirtag – ein Altaussee-Krimi“ und andere werden in großen Mengen in den vordersten Regalreihen den Kunden präsentiert.

Andrea Kreuter möchte mit ihrer Forschung ein Modell erstellen, das als Maßstab und zur Klassifizierung für den Regionalkrimi als eigenständige Gattung herangezogen werden kann. „Dabei gehe ich so vor, dass ich mich umfassend mit der vorhandenen Sekundärliteratur zum Themenbereich beschäftige und mir einen Überblick über die unterschiedlichsten Romangattungen verschaffe“, erklärt sie. Für ihre wissenschaftliche Arbeit folgt sie einem Auswahlschema für die zu untersuchenden Bücher, beispielsweise: In welcher Region handelt der Roman? Hat er einen historischen Bezug? Danach liest sie die zu erforschenden Regionalkrimis. Im nächsten Schritt analysiert und kategorisiert sie die gelesenen Romane.

„Das können ganz einfache Kriterien sein. Spielt die Handlung des Romans im Sommer oder im Winter? Wie ist das Buchcover gestaltet? Wie sind die charakterlichen Merkmale des Ermittlers?“, erklärt Kreuter. Die Daten werden in einer Datenbank gesammelt. So entstehe dann ein „Prototyp“ eines Regionalkrimis, der richtungsweisend für die Definition der Gattung ist.

Um Rückschlüsse auf gesellschaftliche Veränderungen ziehen zu können, hat sie Kontakt mit Studenten der Psychologie aufgenommen. Ergänzend beschäftigt sie sich mit Ansätzen aus der Soziologie und der Regionalgeografie. Mögliche Ursachen für die große Nachfrage nach Regionalkrimis könnten der hohe Mobilitätsgrad der Gesellschaft und ein daraus resultierendes Heimatbewusstsein sein. „Früher haben drei bis vier Generationen in einem Haushalt gelebt. Sie sind dort geboren und gestorben“, sagt Kreuter. Heute habe ein Mensch im Lauf seines Lebens oftmals drei bis vier Wohnsitze, so die Wissenschaftlerin.

Bewusstsein für die eigene Heimat

Ein Rückbesinnen auf die heimatlichen Wurzeln im Zusammenhang mit der Frage „Woher komme ich?“ könnte also eine Begründung für die große Beliebtheit dieser Bücher sein. Die Verbindung zur Gattung des Heimatromans und zum Bewusstsein der eigenen Heimat liege somit nahe. Da sie erst am Anfang ihres Dissertationsprojektes steht, ist noch einiges an Forschungsarbeit notwendig, um weitere Aussagen treffen zu können.

Bleibt neben der Dissertation noch etwas Freizeit, besucht sie gern Tanz- und Opernaufführungen. Daneben erforscht sie als Vortragende bei Proseminaren gemeinsam mit den Studenten zum Beispiel die Umsetzung von Literatur in Ballett. „Die Ballettaufführung ,Die Schneekönigin‘ von Hans Christian Andersen habe ich in der Volksoper zuletzt besucht“, erzählt Andrea Kreuter und freut sich über das umfangreiche Wiener Kulturangebot.

ZUR PERSON

Andrea Kreuter wurde 1986 in der Bodenseeregion geboren. „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Marcel Proust war ihr Diplomarbeitsthema an der Uni Wien, 2013 schloss sie das Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaft ab. Sie spricht Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und lernt nun auch Russisch. Betreut von Achim Hermann Hölter und Wynfrid Kriegleder an der Uni Wien will sie bis Anfang 2018 promovieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2016)

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