Kammer-Chef: "Es geht um die Entmachtung der Ärzteschaft"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Nicht die Ärztekammer sei rigider geworden, sondern das System, dem sich Ärzte heute unterwerfen müssten, klagt Präsident Artur Wechselberger. Ein Gespräch über nötige und unnötige Reformen. Und über deren Folgen.

Die Presse: Die Ärztekammer wird immer öfter mit dem ÖVP-Bauernbund verglichen. Schmeichelt Ihnen dieser Vergleich?

Artur Wechselberger: Es schmeichelt mir, wenn man sagt, dass wir effiziente Interessensvertreter sind.

Der Vergleich ist allerdings nicht nur positiv gemeint. Es heißt, die Ärztekammer lehne alles ab, was auch nur im Entferntesten nach Veränderung klingt.

Das stimmt nicht. Ärzte sind von Berufs wegen nach vorn orientiert, denn die Medizin verändert sich ständig. Ein Arzt kann es sich gar nicht leisten, beharrend zu sein.

Ein Arzt vielleicht nicht, aber die Ärztekammer kann. Wie sie ja schon des Öfteren bewiesen hat.

Eine Ärztekammer, die nur bremst, wäre in dem Umfeld chancenlos.

Darüber ließe sich jetzt streiten.

Wir blockieren ja nie das Ding an sich. Wir wollen nur nicht den Machtinteressen von Bund, Ländern und Kassen Vorschub leisten.

Sondern den eigenen.

Nein. Ein freier Beruf wie der des Arztes braucht Freiraum. Den kann ich nicht herunterreglementieren.

Patientenanwalt Gerald Bachinger sagt, die machtbewusste Ärztekammer werde langsam zum Problem. Da müssen Sie lachen?

Schmunzeln.

Aber die Bilanz ist schon sehr eindrucksvoll: Mir ist kein Reformvorschlag aus dem vergangenen Jahrzehnt bekannt, den die Ärztekammer begrüßt hat.

Weil es keinen Vorschlag gegeben hat, der nicht Einsparungen und Kontrolle zum Ziel hatte. Was hat da der Patient davon?

Es geht Ihnen doch nicht nur um den Patienten.

Aber er ist der Leidtragende, wenn unsere Bedenken vom Tisch gefegt werden. Das Ergebnis sieht man ja jetzt: Die Ärzte laufen davon, entweder ins Ausland oder in die Wahlarztpraxis. Das Kassensystem wollen sich immer weniger antun.

Warum das?

Weil es im vergangenen Jahrzehnt in einer Rigidität zusammengeschnürt wurde, die die Ärzte nicht wollen. Das war früher anders.

Früher war aber auch der Kostendruck nicht so hoch. Die Gesundheitsausgaben sind im vergangenen Jahrzehnt explodiert.

Das behaupten immer alle, deshalb wird es nicht wahrer. Mit dem Wohlstand einer Gesellschaft steigt auch die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen. Und damit steigen die Kosten. Das ist keine österreichische Besonderheit.

Aber im österreichischen System gibt es eine ganze Menge Einsparungspotenziale.

Die Lösung ist einfach: Die Leistung muss dort erbracht werden, wo sie am ökonomischsten ist. 2,7 Millionen Österreicher liegen einmal pro Jahr in einem Krankenhausbett – doppelt so viele wie in vergleichbaren Staaten. Das ist teuer.

Darüber sind sich alle einig. Deshalb soll das Angebot außerhalb des Spitals erweitert werden. Aber dann kommen die unterschiedlichen Interessen ins Spiel.

Man tut immer so, als hätten nur die Ärzte Interessen. Aber die anderen sind viel, viel mächtiger als wir.

Spielen wir das anhand der Primärversorgung durch. Das Interesse von Bund, Ländern und Kassen ist, die Ärztekammer zu entmachten. Das Interesse der Ärztekammer ist, das zu verhindern.

Es geht nicht um die Entmachtung der Ärztekammer, es geht um die Entmachtung der Ärzteschaft.

Sie wollen nicht, dass mit den neuen PHC-Zentren Einzelverträge abgeschlossen werden. Weil damit der Gesamtvertrag, in dem geregelt ist, wie viel der Arzt wofür verdient, ausgehebelt würde. Und damit auch die Kammer.

Ohne uns kann es keine Einzelverträge geben. Wir werden nicht zulassen, dass Ärzte zum Spielball der Krankenkassen werden, die dann sagen: „Wenn du nicht spurst, verlängern wir deinen Vertrag nicht.“

Wie weit sind Sie bereit zu gehen?

Jetzt verhandeln wir einmal.

Braucht es eine eigenes Gesetz für die Primärversorgung oder lässt sich alles im ASVG regeln?

Für uns ist entscheidend, was drinsteht – wo auch immer.

Soll drinstehen, dass Ärzte andere Ärzte anstellen dürfen?

Ja, natürlich.

Sollen Spitalsträger PHC-Zentren betreiben dürfen?

Das ist grundsätzlich so vorgesehen. Aber ich denke da in erster Linie an die öffentlichen Spitäler. Bei allen anderen sehe ich Probleme. Viele Träger haben wirtschaftliche Interessen. Und ich bezweifle, dass das im Sinn des Systems ist.

Sind die 1000 zusätzlichen Kassenarztstellen, die Sie fordern, im Sinn des Systems? Wer soll denn das bezahlen?

Die Sozialversicherungen sitzen auf einer Riesenmenge Rücklagen. Wenn ich das System weiterentwickeln möchte, kann ich nicht sagen: „Ich habe kein Geld.“ Die Leute werden ja trotzdem krank. Wenn wir sie aus den Krankenhäusern haben wollen, wird sie jemand anderer versorgen müssen. Diese Stellen werden sie schaffen müssen.

Umgekehrt könnte man dann – in Ihrer Logik – Spitäler schließen.

Man kann nicht einfach mit dem Rotstift drübergehen. Sicher ist, dass wir das Leistungsangebot einzelner Spitäler überdenken müssen.

Soll man Kassen fusionieren?

Natürlich. Es sollte aber eine kleine Vielfalt übrig bleiben. Und der Versicherte sollte frei wählen können.

Der Wiener soll sich auch bei der Tiroler Kasse versichern können.

Oder bei der gewerblichen. Oder bei der Beamtenversicherung.

Was den Ärzten besonders gut gefallen würde. Denn die BVA zahlt am besten.

Die würde ja nicht wegfallen, sondern im Wettbewerb vielleicht mehr Versicherte bekommen . . . Im Ernst: Ich halte das Berufsständische nicht mehr für zeitgemäß.

In ziemlich genau einem Jahr sind Ärztekammerwahlen. Werden Sie wieder kandidieren?

Wenn mich meine Kollegen in Tirol nominieren, dann ja.

Es gibt das Gerücht, Sie würden gern Gesundheitslandesrat in Ihrer Heimat Tirol werden.

Das Gerücht ist falsch. Ich habe überhaupt keine Bestrebungen, in die allgemeine Politik zu gehen.

Apropos: Wen hätte denn der Ärztekammerpräsident gern als Bundespräsidenten?

Gott sei Dank gibt es heuer eine große Auswahl. Und Gott sei Dank gibt es ein Wahlgeheimnis.

AUF EINEN BLICK

Artur Wechselberger ist seit 2012 Präsident der Österreichischen Ärztekammer und seit 1990 Präsident der Tiroler Ärztekammer.

Die Ärztekammer verhandelt derzeit mit Bund, Ländern und Kassen über die geplanten Primärversorgungszentren (PHC-Zentren). Darin arbeiten Ärzte mit anderen Gesundheitsdienstleistern wie Pflegern und Therapeuten zusammen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2016)

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