Junta: Der fatale "Krieg gegen die Subversion"

Am 24. März 1976 übernahmen die Generäle unter ihrem Putschführer, Jorge Videla, die Macht in Buenos Aires. Videla starb 2013 im Gefängnis.
Am 24. März 1976 übernahmen die Generäle unter ihrem Putschführer, Jorge Videla, die Macht in Buenos Aires. Videla starb 2013 im Gefängnis.(c) Wikipedia
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Keine Militärdiktatur in Südamerika war so brutal wie die argentinische Junta, die vor 40 Jahren die Macht übernahm. "Feinde" wie linke Gruppen, aber auch Homosexuelle, Muslime, Juden und Einwanderer wurden verfolgt. Auch wenn das Land die Verantwortlichen juristisch verfolgte, konnten die Militärs lange unbehelligt leben.

Es war ein Mittwoch im Spätsommer. Um genau 3.10 Uhr in der Früh stürmten Uniformierte sämtliche Radio- und TV-Stationen Argentiniens und ließen ein Kommuniqué verlesen: „Der Bevölkerung wird mitgeteilt, dass dieses Land ab diesem Tag unter der Kontrolle des Generalstabs der Streitkräfte steht. Allen Einwohnern wird empfohlen, den Vorschriften und Aufforderungen der Autoritäten von Militär, Sicherheitsdiensten und Polizei Folge zu leisten und insbesondere Einzel- oder Gruppenaktionen zu vermeiden, die ein drastisches Eingreifen der Einsatzkräfte erfordern könnten.“

Unterschrieben war diese erste von 31 Erklärungen jenes Tages von den Kommandeuren des Heeres, der Marine und der Luftwaffe. Um sieben Uhr früh wurde die Präsidentin, Maria Estela Martínez de Perón, festgenommen und in eine Residenz in den Anden verbracht. Und in vielen argentinischen Haushalten wurde tief durchgeatmet. Endlich Ruhe. Der Putsch war lange erwartet und von nicht wenigen herbeigesehnt worden in einem Land im permanenten Ausnahmezustand. Anfang 1976 war Argentinien die einzig übrig gebliebene Demokratie der Region.

Generäle an der Macht. In Chile, Bolivien, Paraguay, Brasilien und Uruguay kommandierten die Streitkräfte. Und während die Militärgeheimdienste in Santiago bereits die „Operation Cóndor“ definierten, die grenzüberschreitend allen linken Widerstand in dieser Weltgegend ausradieren sollte, gingen in Buenos Aires, Córdoba und Rosario beinahe täglich Bomben hoch. Das trotzkistische „revolutionäre Volksheer“ ERP und die Montoneros, der linke Flügel der peronistischen Bewegung, wollten ihren kubanischen Idolen nacheifern und die Revolution mit Waffen ins Werk setzen. Beide Gruppen entführten Firmenchefs und erschossen Sicherheitskräfte.

Die unfähige und miserabel beratene Präsidentin, einst Nachtklubsängerin und seit 1974 Witwe des einstigen Volkspräsidenten Juan Domingo Perón, ließ mit Todesschwadronen Jagd auf Subversive machen. Die Wirtschaft versank in Rezession, massive Abwertungen provozierten heftige Proteste der Gewerkschaften, die Inflation erreichte dreistellige Werte. Argentinien war ein Pulverfass. Aber es explodierte nicht, es implodierte. Und das mit aller Gewalt.

WM-Titel als einziger Erfolg. „Prozess zur nationalen Reorganisation“ nannten die Militärs und ihre zivilen ökonomischen Berater ihre Mission. Keine der südamerikanischen Militärdiktaturen war brutaler, niederträchtiger und gieriger als die argentinische. Der einzige Erfolg, den das Land in diesen siebeneinhalb Jahren feiern konnte, war der Fußball-Weltmeister-Titel bei der Heim-WM 1978. Doch selbst dieser war gekauft, wie sich später herausstellte.
Monatelang hatten Militärführer wie Jorge Rafael Videla ihren Zugriff geplant, sie wollten unbedingt sicherstellen, im gesamten Territorium ihren „Krieg gegen die Subversion“ führen zu können. Die Militärs waren entschlossen, mit ihren Mitteln Ruhe zu schaffen, und sie waren nicht bereit für Kompromisse. Der Gouverneur der Provinz Buenos Aires erklärte: „Erst werden wir die Subversiven eliminieren, dann ihre Komplizen, dann die Sympathisanten und dann die Gleichgültigen und Feiglinge.“

Ibérico Saint-Jean gehörte zu den Hardlinern, denen es nicht reichte, den linken Untergrund zu vernichten. Die „Falken“ wollten das Land moralisch neu gründen. Dabei war alles suspekt, was nicht christlich-europäischem Erbe oder zumindest dieser Weltanschauung entsprach. Schwule, Muslime und Einwanderer aus den Andenländern hassten und verfolgten die Machthaber. Besonders gejagt – und auch besonders grausam gequält – wurden Juden. Etwa vier Prozent der Opfer der Militärs gehörten zu dieser Bevölkerungsgruppe. Dabei war weniger als ein Prozent aller Argentinier jüdischer Herkunft. In keinem Moment ihres „Krieges gegen die Subversion“ erwogen die Militärs die Anwendung von rechtsstaatlichen Prinzipien. Sie zählten darauf, dass die vom jahrelangen Chaos mürbe Bevölkerung schweigen und wegsehen würde – und sie hatten Recht. „No te metás!“, hieß das Leitmotiv jener Jahre. Misch dich nicht ein!

Nur wenige Ausnahmen gab es, allen voran die Mütter vieler Verschleppter, die sich donnerstags auf der Plaza de Mayo trafen, vor dem rosafarbenen Regierungspalast. Die Militärs ließen sie gewähren, weil sie fälschlicherweise glaubten, die unbewaffneten Frauen könnten nicht gefährlich werden. Aber die Märsche der Mütter mit ihren weißen Kopftüchern wurden in der Welt registriert und lösten internationalen Druck auf die Machthaber aus. Die „Madres de la Plaza de Mayo“ machten die Militärs ab 1980 zu Parias.

Von Tag eins an schwärmten die Kommandos aus, um ohne Richterspruch Verdächtige zu greifen und in eines der zunächst über 300 „centros clandestinos de detención“ zu verschleppen. In diesen inoffiziellen Haftstellen erwartete jeden Verschleppten die Folter.

Von der CIA gelernt. Die Techniken hatten einige Auserwählte an der berüchtigten „School of the Americas“ gelernt, jener 1961 von John F. Kennedy gegründeten CIA-Akademie für Rebellenbekämpfung in Panama. Später waren es die Argentinier, die Anfang der 1980er Folter in Honduras und El Salvador unterrichteten, so virtuos waren sie geworden in ihrer jahrelangen Gewaltorgie aus Vergewaltigungen, Stromstößen, Scheinexekutionen, Auspeitschungen, Verbrennungen, Unterkühlungen, Pfählungen, Kastrationen, Essens- und Flüssigkeitsentzug. Die Folterer hetzten Hunde auf ihre Opfer, deren Namen sie in Haft durch Nummern ersetzten. Sie streuten Salz in ihre Wunden und quälten sie vor den Augen der Verwandten, um Aussagen zu erpressen. Wenige der Verschleppten kamen davon, weil ihre Peiniger sie für „unbelastet“ hielten.

Nicht alle „Unbelasteten“ überlebten. Manche Kommandanten senkten die Daumen: Im „Angesicht der großen Aufgabe mussten Einzelschicksale zurückstehen“, wie ein hoher Militär kundtat. Die meisten Opfer waren zwischen 16 und 25. Arbeiter, Studenten, Lehrer, Journalisten, Professoren und eine Hockey-Nationalspielerin. Auch Überreste älterer Opfer wurden gefunden, wie die einer französischen Nonne.
Die Perversion der Militärs drückte sich deutlich im Schicksal jener etwa 600 Schwangeren, die verschleppt wurden. Sie wurden gefoltert, man achtete aber, anders als bei anderen Gefangenen, auf ausreichende Ernährung. Nachdem die Kinder auf die Welt gekommen waren, wurden sie den Müttern entrissen und die Frauen ermordet. Die Babys kamen an kinderlose Familien, zumeist aus dem Umfeld des Regimes. Seit den 1980er-Jahren sammelt ein Labor die genetischen Daten aller Familien, die nach vermissten Kindern suchen. Bislang konnten 119 Menschen ihre wahre Identität erfahren.

So wie sich die Machtübernahme lange angedeutet hatte, nahm auch die Dämmerung der Militärs erheblichen Anlauf. Das ökonomische Unvermögen wollte die zweite Junta mit der Einnahme der Falkland-Inseln kaschieren. Und fuhr eine verheerende Niederlage ein. Das Volk hatte die „milicos“ dermaßen satt, dass Argentinien als einziges Land die Mörder in Uniform kurz nach deren Abgang vor Gericht stellen konnte. Doch die Militärs konnten noch Jahrzehnte in Freiheit mit ihren Enkeln zur Sonntagsmesse gehen, bis, viel zu spät, die Stunde der Gerechtigkeit schlug. Dass Jorge Rafael Videla im Mai 2013 im Gefängnis starb, gehört zu den Verdiensten des Präsidenten Néstor Kirchner. Doch dessen Gesamtbilanz ist eine andere Geschichte.

Junta

Die argentinische Militärdiktatur währte von 1976 bis 1983. Zuvor schlitterte das Land unter der Präsidentin María Estela Martínez de Perón in die wirtschaftliche Rezession. Der Putsch wurde am 24. März 1976 eingeleitet. Die Verfolgten wurden in Geheimgefängnissen gefoltert und ermordet, man geht von 30.000 Opfern des Staatsterrors aus.

Die Verantwortlichen wurden spät zur Rechenschaft gezogen. Der erste Junta-Chef, Jorge Rafael Videla, starb im Mai 2013 im Gefängnis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.03.2016)

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