Das Problem an der Wurzel packen

Der Bund sollte seine Veranlagungsstrategie überdenken. Vier Vorschläge.

In seinem „Bericht über Finanzierungsinstrumente der Gebietskörperschaften mit Schwerpunkt Bund“ (15. Juli) ortet der Rechnungshof (RH) im Kapitel „Veranlagungen des Bundes“ von 4,5 Mrd. Euro 2002 auf 15,7 Mrd. Euro 2007 stark steigende Gesamtveranlagungen des Bundes, innerhalb deren noch stärker Commercial Papers (= kurzfristige Forderungswertpapiere) von 1,9 Mrd. Euro auf 9,8 Mrd. Euro stiegen.

Diese wurden zum Teil ohne Liquiditätsgarantie begeben. Sie erreichten im September 2007 einen Stand von 4,9 Mrd. Eurobzw. von 19% des Bundesgesamtkassastandes. Vier dieser Instrumente über insgesamt 691,2 Mio. Euro wurden zwischen August und Oktober 2007 notleidend, da die zugrunde liegenden US-Subprime-Risken über eine bestimmte Größenordnung an Wert verloren. Dieser potenzielle Verlust reduzierte sich durch eine Teilrückzahlung 2008 auf 617 Mio. Euro, wovon rund 380 Mio. Euro als mit Stand Ende 2008 (nicht realisierter) Verlust anzusehen ist.

Wie der RH ebenfalls feststellte, ergab die Gesamtheit dieser kurzfristigen Veranlagungen des Bundes im Zeitraum 1998–2008 einen Nettoertrag von 685 Mio. Euro. Der aus Sicht Ende 2008 drohende Verlust „kostet“ also im Durchschnitt den Gesamtveranlagungsertrag von rund 6 Jahren à 62 Mio. Euro.

So weit die dem RH- Bericht entnommenen Facts. Dieser Artikel beteiligt sich nicht an der Schuldigensuche, sondern versucht Vorschläge zu erstellen, wie derartige Situationen in Zukunft systematisch vermieden werden können:

1.Hauptaufgabe der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur (ÖBFA) ist nicht die Veranlagung, sondern die Kreditaufnahme für den Bund. Der Bund ist im Gegensatz zu manchen Kommunen aber auch zu Bundesländern (großer) Nettoschuldner, d.h. seine Veranlagungen können nur mit (netto) geborgtem Geld stattfinden.

2.Selbst den anderen Gebiets- und sonstigen öffentlichen Körperschaften, die etwa aus dem Verkauf von Vermögensanteilen an z.B. Versorgungsunternehmungen echte (= nicht durch Schuldaufnahme refinanzierte) Veranlagungen tätigen, gelingt es in den allermeisten Fällen nicht, aus ihren Veranlagungen in Prozenten mehr zu verdienen, als sie für ihre Schulden bezahlen. Ein typisches Muster ist dabei, dass sie bis zur Finanzkrise 2007/08, unabhängig ob in toxische oder „normale“ Wertpapiere investiert, mehr oder weniger gut verdienten und danach einen Großteil oder sogar ein Mehrfaches dieses Verdienstes wieder verloren.

3.Gerade dem Bund mit seinem nach wie vor sehr guten Standing in der europäischen wie internationalen Finanzwelt ist und war es jederzeit möglich, kurz- wie mittel- und langfristig seine Liquidität ausschließlich durch Kreditinstrumente, seine originäre Domäne, abzusichern. Dies gilt auch für die letzten 10 Monate, den hoffentlich weiterhin abklingenden Höhepunkt der Finanzkrise, wo sein Funding zu keinem Zeitpunkt eine Verfügbarkeits-, sondern lediglich eine Preisfrage war und ist.

4.Die sichersten Veranlagungen sind also allemal noch jene, die gar nicht oder, wenn schon unvermeidlich, dann „innerhalb der Familie“ stattfinden. Für den Bund übersetzt könnte dies wie folgt funktionieren:
Der Bund strebt an, niemals im Jahr über einen definierten Stand an liquiden Mitteln von z.B. 3,0 Mrd. Euro zu kommen. Diese bis zu 3,0 Mrd. Euro werden wie derzeit schon teilweise ausschließlich bei den Bundesländern und größeren Städten, deren 100-%-Beteiligungen oder Sozialversicherungsträgern kurzfristig und verzinslich angelegt. Sind diese nicht aufnahmefähig, können diese Kassenveranlagungen auf AAA-geratete Sovereigns oder Subsovereigns des Eurolandes ausgeweitet werden.
Größeren temporären Liquiditätsbedarf bedeckt der Bund wie bisher aus der Begebung eigener kurzfristiger Wertpapiere (sog. ATBs – Austrian Treasury Bills) und aus Kreditrahmen, die er z. B. bei der (besseren) Hälfte seiner ca. 30 Anleihen-Primary-Dealer-Banken hat. Dies ergibt bei einem Rahmen von z.B. 1,0 Mrd. Euro pro Bank insgesamt ca. 14 Mrd. Euro zusätzliche Kreditschöpfungsmöglichkeit.
Die mittel- und langfristigen, im Einzelfall bis 10 Mrd. Euro betragenden Anleihenaufnahmen des Bundes erfolgen daher idealerweise im Nachhinein (= nach dem Bedarf bzw. der Ausgabe), um einen größeren Bestand an kurzfristigen Verbindlichkeiten in langfristige umzuschulden.
Selbst unter Außerachtlassung der am Ende des Tages wie hoch oder gering immer ausfallenden Subprime-Verluste wäre diese „Im Regelfall im Nachhinein“-Finanzierung jedenfalls in den letzten 15 Jahren gegenüber der praktizierten „In jedem Fall im Vorhinein“-Finanzierung der Vorzug zu geben, da wir es seit ca. 1994 im Wesentlichen mit einem fallenden Schilling- und ab 1999 Euro-Kapitalmarktzinsniveau zu tun haben.
Interessant wäre in diesem Zusammenhang eine nur von der ÖBFA oder dem RH vornehmbare Ex-post-Berechnung der fiktiven Zinsaufwendungen des Bundes ab Euroeinführung 1999, bei der alle Aufnahmen mit einer originären Laufzeit > 1 Jahr einfach z.B. 3 Monate später als tatsächlich zu denselben Ab- bzw. Aufschlägen auf Swaprate wie tatsächlich aufgenommen worden wären.

Fazit: Es bedurfte eigentlich nicht erst der im Sommer 2007 ausbrechenden Subprime-Krise, um die Verbesserungswürdigkeit in der Liquiditätshaltung des Bundes aufzuzeigen. Durch Befolgen der aufgezeigten Vorschläge wäre das langfristige Problem der Überfinanzierung „wurzelbehandelt“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2009)

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