Antike Schnürschuhe und Velourslederstiefel

Leder- und Felltechnologie. Die nordiranischen Salzmänner trugen noch Schuhe und Stiefel, lederne Messer-scheiden und einen Fellumhang. Untersuchungen sollen neue Erkenntnisse über frühe Handwerkstechniken bringen.

Eigentlich könnte er auch heute in der Auslage eines Schuhgeschäfts stehen. Ein kniehoher Stiefel aus Veloursleder war aber offenbar bereits 400 n. Chr. modern. Konserviert durch Salz überstand er die Zeit nahezu unbeschadet: Salzmann Nummer eins, eine der sechs Salzmumien, die Archäologen zu Beginn des aktuellen Jahrtausends im nordiranischen Chehrabād fanden, trug ihn am Tag seines Todes (siehe auch Beitrag oben). Und auch Salzmann Nummer vier, der 800 Jahre früher bei einem Grubenunglück starb, hatte seine Schnürschuhe noch an.

„Die Schuhe waren aufwendig aus mehreren Lederteilen zusammengenäht, hatten eine Sohle und entsprachen insgesamt der Machart, wie man sie noch heute kennt“, sagt Gabriela Ruß-Popa vom Institut für Orientalische und Europäische Archäologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. In Europa habe man zu der Zeit Schuhe noch aus einem Stück gefertigt: Dort gingen die Menschen mehr oder weniger auf einem Stück Leder, das an der Rückseite zusammengenäht war.

Die gebürtige Rumänin besuchte eine Schule für Gerbereitechnologie und Lederchemie und studierte Ur- und Frühgeschichte an der Uni Wien, bevor sie sich als Forscherin auf historische Lederfunde spezialisierte. Sie gilt mittlerweile als international gefragte Expertin. Daher holte Projektleiter Thomas Stöllner von der Uni Bochum sie ins Projekt: eine interdisziplinäre Studie zur Sozial-, Wirtschafts- und Technikgeschichte der nordiranischen Salzgewinnung in antiker Zeit. 2013 flog sie erstmals in den Iran, um die Lederteile an den Salzmumien zu untersuchen, weitere Forschungsreisen folgten.

Mitten aus dem Leben gerissen

Unter dem Mikroskop analysierte Ruß-Popa die salzverkrusteten Leder- und Fellfunde. Dabei interessierte sie vor allem das Porenbild, also das für eine Tierart typische Narbenmuster. Was sie überraschte: Die Stiefel von Salzmann Nummer eins bestanden aus demselben Material wie die Schuhe von Salzmann Nummer vier. Ob sie aus Ziegen- oder Schafleder gefertigt wurden, ist allerdings noch unklar – das Porenbild ähnelt sich stark. Nach dem Nähen wurden Schuhe und Stiefel umgestülpt, sodass die sogenannte Fleischseite des Leders nach außen schaute. „Das verlieh dem Schuh eine samtartige Optik und zeigt, dass Funktionelles auch schön sein kann“, sagt Ruß-Popa.

Die Bergleute wurden mit ihrer gesamten Ausrüstung aus dem Leben gerissen. Das ist zugleich ein wesentlicher Unterschied zu anderen Mumienfunden, etwa in Ägypten: „Dort wurden sie von ihrem Umfeld in einem Ritus bewusst arrangiert“, so die Forscherin.

Neben den Schuhen blieben etwa auch die rindsledernen Messerscheiden erhalten: Das Messer steckte noch in der Scheide, als man sie fand. Außerdem trug der Bergarbeiter ein Stück Ziegenfell bei sich: Ob es sich dabei um einen Umhang oder etwa einen Salzsack gehandelt hat, ist noch unklar. „Es auseinanderzufalten geht aufgrund seiner Steifheit nicht, dabei würde es wahrscheinlich zerbrechen“, sagt Ruß-Popa. Jedenfalls war es an einigen Stellen geflickt. Das zeige wiederum die Wertschätzung für das Objekt.

Wie man die Materialien bearbeitet, welche Werkzeuge man benutzt hat und welche Kenntnisse dafür notwendig waren, ist Gegenstand weiterer Forschungen. „Wir stehen erst am Anfang“, sagt Ruß-Popa, die dazu ihre Dissertation verfasst. (gral)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.04.2016)

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