Virtuelle Wege zur couragierten Gemeinde

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Kann eine Software Zivilcourage fördern? Für die oberösterreichische Testgemeinde Ansfelden entwickeln Forscher einen Prototyp für ein neues Kommunikationssystem. Es soll auch für Millionenstädte funktionieren.

Mit einer Sprühdose in der Hand zeigte Martin Granig, Pastoralassistent der römisch-katholischen Pfarre Haid in Ansfelden, vergangenen Sommer einen ungewöhnlichen Weg auf, um einen Konflikt zu lösen. Entschlossen formulierte er eine Hassparole an der Kirchenwand um. Wo zunächst – inklusive Rechtschreibfehler – „Wir töhten alle Christensschweine“ stand, formulierte er eine Einladung an Christen aller Länder, gemeinsam den Sonntagsgottesdienst zu feiern. Schließlich übermalten die Bewohner des Ortes die Beschimpfung gemeinsam in schlichtem Weiß.

Das Beispiel zeigt: Mit Vandalismus lässt sich auch konstruktiv umgehen. „Was dort passiert ist, folgt den Prinzipien der ,Neuen Autorität‘ schon sehr gut. Wir sind froh, mit Ansfelden eine Testgemeinde zu haben, die aus sich selbst heraus bereits positive Erfahrungen gemacht hat“, sagt Wolfgang Baaske, Diplom-Mathematiker und Obmann des Studienzentrums für Internationale Analysen. Der Forschungsverein leitet das Forschungsprojekt Couragierte Gemeinde, gefördert vom Sicherheitsforschungsförderprogramm Kiras des Technologieministeriums. Darin wollen die Wissenschaftler die Erfahrungen des 16.000 Einwohner zählenden Ansfelden nutzen. Noch heuer entwickeln sie anhand von Bedarfs- und Kommunikationsanforderungen einen Prototyp für ein IT-gestütztes Modell: Eine Software soll helfen, das friedliche Zusammenleben in der Gemeinde zu unterstützen.

Ohnmachtsgefühl beenden

Obwohl es um problematisches Verhalten von Jugendlichen bis hin zu Vandalismus und Kriminalität geht, liegt der Fokus bei den Erwachsenen. Baaske erklärt, warum: „Erwachsene fühlen sich oft ohnmächtig. Wir wollen ihre Handlungsfähigkeit erhöhen und so das subjektive Gefühl stärken, dass man als Netzwerk etwas erreichen kann.“ Die Grundlage für Bedarfserhebung, Konzeption der Software, Netzwerkbildung und Training bildet der systemische Ansatz der „Neuen Autorität“ von Psychologieprofessor Haim Omer von der Universität Tel Aviv. Diesen nutzen zwar bereits etliche heimische Institutionen, auf Gemeindeebene wird er hierzulande aber erstmals eingesetzt.

Dem Psychologen Stefan Ofner vom Institut für Neue Autorität Steinkellner & Ofner OG geht es im Projekt um eine Kultur des Miteinanders und der Wertschätzung: „Die Fähigkeit zu konstruktiver Beziehungsgestaltung und Deeskalation im Sinne des gewaltlosen Widerstands werden die Kernkompetenzen des Netzwerks für Zivilcourage sein.“ Ziel ist nicht aufzuzeigen, wo sich welche Vorfälle ereignen – dieses Wissen ist laut Experten in Ansfelden vorhanden –, sondern um Richtigstellung. „Es passiert weit weniger, als angenommen wird. Uns geht es um Aufklärung, da es viele Vorurteile gibt und sich die Wahrnehmung von der Realität stark unterscheidet“, sagt der Informatiker Grischa Schmiedl vom Institut für Creative\Media/Technologies der FH St. Pölten. Sein Team entwickelt ein IT-System, das den Kommunikationsanforderungen der heterogenen Anwendergruppe entspricht. Datensicherheit spielt in diesem Fall eine große Rolle, denn gerade beim Thema Jugendkriminalität ist der Umgang mit sensiblen Daten eine Herausforderung. Jenes Modell, bei dem die Daten zentral gesichert und nur intern zugänglich sind, hat sich durchgesetzt.

Das IT-gestützte Kommunikationssystem soll schließlich alle Beteiligten – unabhängig von ihrer Technikaffinität – miteinander vernetzen. Zwar werden soziale Netzwerke genutzt, um Nachrichten im Netzwerk zu verbreiten, sich abzustimmen und rasch Entscheidungen treffen zu können – die Prozesse sollten aber auch bei einem Systemausfall funktionieren.

Im Sommer wird das System in Ansfelden getestet. Der Prototyp soll auf jede Gemeindegröße anwendbar sein – sogar auf eine Millionenstadt wie Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.05.2016)

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