Die Smartphonebüßer

Aus dem Smartphonesklaven von heute wird nur zu gern der Stuhlgewitter-Bösling von morgen.
Aus dem Smartphonesklaven von heute wird nur zu gern der Stuhlgewitter-Bösling von morgen.pinterest.com/stevecutts.com
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Die Unsitte, gesenkten Hauptes aufs Smartphone starrend herumzurennen, ist gefährlich und wirkt unterwürfig. Vielleicht reagieren sich viele User, selbst Gutis, auch deswegen zum Ausgleich durch Digitalaggressionen ab.

Jüngst war's wieder einmal so weit: Die Ampel in Wien schaltet Rot-Gelb-Grün, man gibt Gas, der VW Käfer rollt los, da tappt von rechts ein junger Bursch auf den Zebrastreifen. Voll auf die Bremse gestiegen, nun hat's der Typ gemerkt, er sieht auf, erschrickt, springt zurück zum Gehsteig. Ich schau ihn jovial an, mei, is ja nix g'schehn. Dennoch: Wieder so ein Schafskopf, der beim Gehen dauernd aufs Smartphone starrt!

Die Unsitte wütet unter smartphoneverwahrlosten Schichten. Eine Studie in zahlreichen Großstädten Europas von Amsterdam bis Rom ergab jüngst, dass schon ein Fünftel der Fußgänger sogar an sehr belebten Orten wie Kreuzungen, Übergängen über verkehrsreiche Straßen, vor Bahnhöfen etc. mit gesenktem Kopf aufs Handy starrt, darauf herumtippt oder zumindest per Ohrstöpsel Musik hört und sich so in seiner Schallblase abkapselt.

Unfälle mit Smartphone-Autisten nehmen stark zu, einige deutsche Städte wollen jetzt sogar, man glaubt es kaum, an besonders heiklen Stellen Bodenampeln bauen: Rote LED-Lichter im Asphalt, die blinken, wenn die normale Ampel auf Kopfhöhe Rot zeigt oder die Straßenbahn kommt.

Ah, diese gesenkten Köpfe! Irgendwie ist das ja Ausdruck einer Haltung: Der Stolz hat ein erhobenes Haupt, die Nach-unten-Starrer aber wirken unterwürfig, dienend, büßerhaft. Das Ding in der Hand und die Mode zwingen sie offenbar dazu. Nun, das könnte mit ein Grund sein, wieso in den (a)sozialen Medien der Ton so rau ist und Pranger und Hexenjagden wieder en vogue sind: Wer sklavisch und mit Senkschädel ans Smartphone gekettet herumrennt, reagiert sich vielleicht gern zum Ausgleich durch mangelhaft reflektiertes digitales Pöbeln und Mithetzen bei dem ab, was man auch Trümmerltaifun, Gagelhagel, Stinkisturm, A-A-Orkan, Stuhlgewitter oder braune Böe nennen kann. (wg)

P.S.: Dem lieben Pizzicato-Leser Hubert S. aus Oberösterreich sei für die überraschende Erkenntnis zu danken, dass das Phänomen Smartphone-Autismus auch gute Seiten hat: Denn wie er glaubhaft darlegen kann, entwickelt sich dazu gerade eine neue Dienstleistungsindustrie! Siehe das folgende Video:

Reaktionen an: wolfgang.greber@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2016)

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