Elitenprobleme - ja, aber keine Demokratieprobleme

Leistungsschwächen der Politiker und Funktionsmängel der Prozesse haben Unzufriedenheit der Wähler wachsen lassen.

Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen hat – offenbar ein Ausdruck des dort verbreiteten Humorverständnisses – ein Schnitzel in Hakenkreuzform abgebildet. In Italien ist dem FPÖ-Bewerber für das Bundespräsidentenamt, Norbert Hofer, gern taxfrei die Qualifikation „rechtsextrem“ verliehen worden – beim Lega-Chef Matteo Salvini, dessen politische Äußerungen an Radikalität jene von H.-C. Strache häufig übertreffen, ist man diesbezüglich zurückhaltender.

Alles schon da gewesen – siehe Waldheim 1986 und die schwarz-blaue Regierung 2000; die übliche Dosis Scheinheiligkeit inklusive.

Bleibt die Frage, wie es denn mit der Einstellung der Österreicher zur Demokratie tatsächlich aussieht. Seitens der empirischen Forschung zur politischen Kultur liegen dazu aussagekräftige Daten vor; seit über drei Jahrzehnten bis aus den letzten Wochen.

In den 1980er-Jahren waren durchschnittlich 16 Prozent der Österreicher mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Österreich funktioniert, unzufrieden; in den 1990ern stieg der Prozentsatz an Unzufriedenen auf über ein Drittel; ging dann aber wieder zurück – der geringste Wert waren 25 Prozent 2009. Im Frühjahr 2016 zeigen sich 44 Prozent mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden.

Abnehmendes Vertrauen

Dass die Demokratie nicht in der Lage sei, die Probleme des Landes zu lösen, glaubten 1997 noch 25 Prozent; danach ein leichter Rückgang mit einem Tiefpunkt 2009 (13 Prozent). 2016 gibt es ein negatives Allzeithoch mit 28 Prozent.

Ähnlich sieht es mit der Einschätzung substanziellen Versagens durch die österreichische Politik aus: Anfang der 1980er-Jahre meinte ein Drittel, dass die österreichische Politik in entscheidenden Fragen häufig oder oft versage; in den 1990er-Jahren waren es über 40 Prozent und in den 2010er-Jahren rund zwei Drittel. Abgenommen hat ferner das Vertrauen in die Regierung und in die politischen Parteien – wiederum mit einer kurzen Erholung 2009 und einem Tiefpunkt im Frühjahr 2016.

Andererseits ziehen seit 1987 bei jeder Befragung rund neun von zehn Österreichern die Demokratie unter allen Umständen einem autoritären System vor. Jeweils etwa fünf Prozent meinen, dass eine Diktatur unter speziellen Umständen besser sein könnte als eine Demokratie beziehungsweise dass es für sie persönlich keinen Unterschied mache, ob sie in einem demokratischen oder einem autoritären System leben würden.

Was nicht nur heißt, dass die große Mehrheit der Österreicher prinzipielle Demokratiebefürworter sind, sondern dass dies auch für die meisten jener gilt, die mit dem Funktionieren der Demokratie unzufrieden sind bzw. die Zweifel an ihrer Problemlösungsfähigkeit hegen (jeweils 79 Prozent dieser Gruppen sind uneingeschränkte Demokratiebefürworter). Also haben zunehmende Unzufriedenheit und wachsende Zweifel den Kern demokratischer Überzeugung nicht beschädigt.

Das Problem liegt offenbar nicht am (Mangel an) Demokratiebewusstsein, sondern an den perzipierten Leistungsschwächen und Funktionsmängeln von Prozessen und politischen Akteuren, die in den vergangenen drei Jahrzehnten zu einem Anstieg an Unzufriedenheit und Zweifeln geführt haben.

Dies ist kein österreichisches Spezifikum und, wie die kurzfristige Stimmungsverbesserung 2009 – also auf dem Höhepunkt der heimischen Wirtschafts- und Finanzkrise – zeigt, auch keine naturgegebene Entwicklung. Damals haben Regierung und Sozialpartner rasch und aus der Sicht der Wählerschaft recht kompetent und erfolgreich reagiert. Nur war das Vertrauen bald wieder aufgebraucht.

Blockierter Mechanismus

An einem Defizit hat sich jedoch nichts geändert. Zu den Funktionsbedingungen demokratischer Systeme gehört nicht nur, aber eben auch die Möglichkeit, das politische Führungspersonal auswechseln beziehungsweise politische Maßnahmen bei Unzufriedenheit abändern zu können – und zwar mit dem Stimmzettel. Genau dieser Mechanismus ist durch die jahrzehntelange – nur von 2000 bis 2006 unterbrochene – (inzwischen nicht mehr wirklich) Große Koalition außer Kraft gesetzt worden.

So unerfreulich die Wahlen für die Regierungsparteien im Bund auch ausgehen mochten, an der Regierungskonstellation änderte sich nichts; schließlich hatte man gemeinsam ja noch eine – wenn auch schrumpfende – Mehrheit. Und Wechsel an der Regierungsspitze waren zumeist das Resultat innerparteilicher Kontroversen (Gusenbauer, Faymann, Spindelegger) und nicht das Ergebnis von Abwahl durch die Stimmbürger. Dass diese – wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gibt – davon nur allzu gern Gebrauch machen, hat nicht zuletzt das Ergebnis des ersten Wahlgangs der Bundespräsidentenwahlen gezeigt (gemeinsam 22 Prozent für die Kandidaten von SPÖ und ÖVP).

Geringes „Bestrafungsrisiko“

Das Ausschalten des systemischen Wechsel- und damit Korrekturmechanismus hat darüber hinaus die Qualität der politischen Leistungen nicht unbeträchtlich verschlechtert (Stichwort: Dahinwursteln auf kleinstem gemeinsamen Nenner) – das „Bestrafungsrisiko“ durch ein Wählervotum hielt sich ja jahrzehntelang in Grenzen. Dass daneben noch eine Reihe anderer konkurrenzmindernder Aktionen (Verlängerung der Legislaturperiode, angeblich um effizienteres Arbeiten zu gewährleisten, Verbot von Neugründungen von Parlamentsklubs während der Legislaturperiode etc.) gesetzt wurden, hat das Bild nur noch abgerundet.

Mag sein, dass Neokanzler Christian Kern und sein Team die inhaltliche Performance verbessern können. Es ist ihnen und der in Volldeckung gegangenen ÖVP, vor allem aber den Bürgern, zu wünschen. Ein zentrales Funktionsdefizit wird davon aber nicht berührt. Und schon gar nicht würde sich die Situation verbessern, wenn man – wie immer wieder vorgeschlagen – bei einem Mehrheitsverlust von SPÖ und ÖVP bei den nächsten Wahlen eine oder zwei kleinere Parteien mit in die Koalition hineinnehmen sollte.

Kontraproduktives Modell

Natürlich gibt es keine Garantie dafür, dass die Beseitigung eines Funktionsdefizits des politischen Systems die Unzufriedenheit und Zweifel beseitigen würden. Auch Länder mit einer ausgeprägten Konkurrenz- und Wechseldemokratie sind vor Politikversagen und steigendem Wählerunmut nicht gefeit. Nur ist das kein Grund für die Beibehaltung eines Modells, das – was immer seine durchaus vorhandenen Vorzüge in der Vergangenheit waren – inzwischen zunehmend kontraproduktiv geworden ist. Schon gar nicht in einem Land, dessen Bürger über ein gefestigtes und stabiles Demokratiebewusstsein verfügen.

Selbst wenn sich die Wähler einmal „irren“ sollten und eine neue Regierungskonstellation, ihr Personal und ihre Politik schlechter sein sollten als die alten – sie können das ja bei den nächsten Wahlen wieder korrigieren. Wobei die Korrektur eben direkt durch die Wähler erfolgt und nicht durch einen seine Rolle überziehen wollenden Bundespräsidenten . . .

DER AUTOR

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Peter A. Ulram
(*1951 in Wien) ist Dozent für Politikwissenschaft an der Universität Wien und Konsulent von Ecoquest, einem Institut für Markt- und Meinungsforschung, Analyse und Consulting in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Soziales. Zahlreiche Publikationen zur Wahl- und Parteienforschung sowie zu politischem und gesellschaftlichem Wandel. [ C. Fabry ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2016)

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