Ein Präsident mit „autokratischen Giftzähnen“?

Angesichts von Allmachtsfantasien des unterlegenen FPÖ-Kandidaten für die Hofburg wird eine Beschneidung der Kompetenzen des Bundespräsidenten gefordert. Eine Neuordnung an der Staatsspitze ist aber nicht nötig.

Die Situationen wiederholen sich. War es im Jahr 2000 die ÖVP, die massive Kritik am damaligen Bundespräsidenten und seinem Verhalten im Hinblick auf eine schwarz-blaue Mehrheit vorgebracht und daher eine Einschränkung der Kompetenzen des Bundespräsidenten gefordert hat, sind es heute linke Intellektuelle (Alfred J. Noll, Clemens Jabloner, Oliver Rathkolb) und Verfassungsrechtler (etwa Manfried Welan), die eine Einschränkung der Kompetenzen des Bundespräsidenten verlangen.

Es herrschte offenbar Angst vor dem Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer. Dieser hatte ja in einer TV-Diskussion offen erklärt, man werde sich noch wundern, was alles möglich sei. Er hat damit angedeutet, dass die Kompetenzen des Bundespräsidenten weitreichend sind und dass dieser damit massiv in die politische Situation des Landes eingreifen kann.

Die Kompetenzen sind in der Tat weitreichend – aber handelt es sich deshalb tatsächlich um „autokratische Giftzähne“?

Die Gefahr der Selbstblockade

Stein des Anstoßes ist die im Artikel 29 der Bundesverfassung vorgesehene Kompetenz des Bundespräsidenten, den Nationalrat auf Vorschlag der Bundesregierung aufzulösen; dies freilich nur einmal aus dem gleichen Anlass. Dies bedeutet zunächst, dass der Bundespräsident einen Anlass nennen muss, wenn er den Nationalrat auflösen will. Was wäre die Folge einer solchen Auflösung des Nationalrats? Es sind unverzüglich Neuwahlen auszuschreiben und der neu gewählte Nationalrat muss spätestens nach 100 Tagen zusammentreten.

Was kann der Bundespräsident bewirken, wenn er den Nationalrat auflöst? Er gibt dem Volk die Möglichkeit, einen neuen Nationalrat zu wählen. Wo hier ein „autokratischer Giftzahn“ verborgen ist, erschließt sich mir nicht.

Wir werden in Hinkunft damit konfrontiert sein, mit einem Nationalrat leben zu müssen, in dem es mehrere gleich starke Parteien gibt. Dies bringt die Gefahr mit sich, dass sich der Nationalrat selbst blockiert und dass Mehrheitsentscheidungen unmöglich werden. Dies kann auch bedeuten, dass sich der Nationalrat nicht einmal darauf einigen kann, sich selbst aufzulösen, um auf diese Weise Neuwahlen herbeizuführen. In diesem Fall soll der Bundespräsident die Möglichkeit haben, dem Volk eine neue Entscheidung zu ermöglichen.

Ein Bundespräsident, der nicht völlig vernunftverlassen agiert, wird eine Neuwahl des Nationalrats nur dann erzwingen, wenn er damit rechnen kann, dass diese Neuwahl zu anderen Mehrheitsverhältnissen führen wird. Wer eine solche Kompetenz des Bundespräsidenten als „autokratischen Giftzahn“ bezeichnet, hat offensichtlich Angst vor dem Wähler.

Im Verfassungskonvent gab es ausführliche Diskussionen über die Kompetenzen des Bundespräsidenten; eine Änderung wurde aber nicht in Aussicht genommen.

Noch mehr Macht für Parteien?

Alfred J. Noll hat jüngst auch vorgeschlagen, den Bundespräsidenten nicht durch das Volk, sondern wie bereits nach der Verfassung von 1920 durch die Bundesversammlung wählen zu lassen. Ein guter Vorschlag? Er hätte mit Gewissheit zur Folge, dass nur ein Kandidat Bundespräsident wird, der von den maßgeblichen politischen Parteien nominiert wird. Man kann sich leicht ausrechnen, wie die Wahl bei der letzten Bundespräsidentenwahl ausgegangen wäre! Präsident wäre wohl Andreas Khol oder Rudolf Hundstorfer geworden, sicher aber nicht Alexander Van der Bellen. Die Bewegung von Irmgard Griss hätte es auch nicht gegeben. Mehr Macht also für die Parteisekretariate, noch weniger für die Wähler?

Es ist zwar erfreulich, wenn über grundlegende Fragen des Staats öffentliche Debatten stattfinden. Der gegenwärtige Zeitpunkt ist allerdings offenkundig von Angst diktiert.

Vor einigen Jahren hätte es tatsächlich einen Grund gegeben, die Kompetenzen des Bundespräsidenten grundsätzlich zu diskutieren. Ich meine damit das Jahr 2008, in dem der noch amtierende Bundespräsident, Heinz Fischer, erstmals als Staatsoberhaupt der Zweiten Republik die Beurkundung eines Gesetzesbeschlusses des Nationalrats wegen inhaltlicher Verfassungswidrigkeit verweigert hat. Nach Artikel 47 Abs. 1 B-VG hat der Bundespräsident das verfassungsmäßige Zustandekommen der Bundesgesetze zu beurkunden.

Alle Bundespräsidenten der Zweiten Republik haben diese Befugnis einschränkend verstanden; sie haben sich darauf beschränkt zu überprüfen, ob der Weg der Bundesgesetzgebung eingehalten wurde. Kein Bundespräsident hat sich angemaßt, die inhaltliche Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzesbeschlusses des Nationalrats zu überprüfen. Dies zu Recht. Der ehemalige Bundespräsident Rudolf Kirchschläger – ein erklärter Gegner der Fristenlösung – hat das Strafgesetzbuch beurkundet und dies damit begründet, dass eine Verweigerung der Beurkundung das Gesetzgebungsverfahren endgültig gestoppt und dem Verfassungsgerichtshof nicht die Möglichkeit gegeben hätte, die Verfassungsmäßigkeit der von ihm beanstandeten Fristenlösung zu überprüfen. So ist es.

Wir haben in Österreich den Verfassungsgerichtshof, der die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu prüfen und – sollte er zum Ergebnis kommen, dass ein Gesetz verfassungswidrig ist – dieses aufzuheben hat. Es sollte nicht die Aufgabe des Bundespräsidenten sein, die Entstehung eines Gesetzes wegen inhaltlicher Verfassungswidrigkeit überhaupt zu verhindern.

Heinz Fischers Präjudiz

Man muss bedenken, dass ein Bundespräsident kein Jurist sein muss und auch keine besondere Qualifikation aufweisen muss. Er wird daher möglicherweise auf seine Berater angewiesen sein. Wollen wir tatsächlich, dass ein solcher Bundespräsident auf Vorschlag seiner Berater ein Gesetzgebungsverfahren beendet, indem er die Beurkundung eines Gesetzesbeschlusses verweigert?

Man kann Bundespräsident Fischer nicht vorwerfen, dass er rechtswidrig gehandelt hätte. Allerdings muss man konstatieren, dass er eine weitreichende Kompetenz bis an die Grenzen des rechtlich gerade noch Vertretbaren ausgeübt hat und sich damit über den Nationalrat gestellt hat.

Zugespitzt kann man sagen, dass er auch die Prüfung durch den Verfassungsgerichtshof vorweggenommen hat. Bundespräsident Fischer hat damit ein Präjudiz geschaffen, das leicht missbraucht werden kann. Bemerkenswerterweise aber kam es damals zu keiner verfassungspolitischen Diskussion über die Rechte des Bundespräsidenten.

Die gegenwärtige Machtverteilung an der Staatsspitze sollte also unter dem Eindruck von Allmachtsfantasien des Herrn Hofer keinesfalls geändert werden.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

DER AUTOR

Em. o. Univ. Prof. DDr. Heinz Mayer (* 1946 in Mürzzuschlag) studierte Rechtswissenschaften an der Uni Wien. 1975 Habilitation an der Wirtschaftsuniversität Wien für Öffentliches Recht. Ab 1979 Professor an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Uni Wien. 2006 bis 2014 Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät. Seit Oktober 2014 Of Counsel bei Lansky, Ganzger + Partner.

(Print-Ausgabe, 02.06.2016)

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