Vor neuer Flüchtlingsflut?

Die Lösung des Migrationsproblems erfordert völlig neue Ansätze der EU. Österreich hat dazu einen Aktionsplan vorgelegt.

Die Brexit-Entscheidung der Briten hat deutlich gemacht, dass die EU nur dann überleben wird, wenn sie Europas große Probleme zu lösen imstande ist. Ganz oben auf der Liste steht das Migrationsproblem.

Die bisherige Strategie, unter Berufung auf das Solidaritätsprinzip eine Verteilung der nach Europa kommenden Flüchtlinge auf alle Mitgliedstaaten vorzunehmen, ist aus zwei Gründen gescheitert. Zum einen sind nicht alle Regierungen bereit, Flüchtlinge aufzunehmen; zum anderen weigern sich diese, in Ländern zu leben, die nicht zu ihren Wunschdestinationen gehören. Da man sie dazu nicht zwingen kann, konzentriert sich der Zustrom auf einige wenige Staaten wie Deutschland, Österreich und Schweden.

Das von Hilfsorganisationen oft zu hörende Argument, eine Zuwanderung in der Größenordnung wie 2015 sei für Europa mit seinen 500 Millionen Einwohnern auch in Zukunft durchaus verkraftbar, ist daher realitätsfremd. In der kleinen Gruppe der von Migranten bevorzugten Länder wird die Aufnahmekapazität bald ausgeschöpft sein und die Integration weiterer Einwanderer auf immer größere Schwierigkeiten stoßen.

Angesichts dieser Problematik muss ein Lösungsansatz verfolgt werden, der in erster Linie auf die Reduzierung der Flüchtlingsströme abzielt. Nach Ruhigstellung der Migrationsbewegungen im Südosten Europas durch das Abkommen mit der Türkei und die Schließung der Balkanroute geht es nun darum, eine in den nächsten Jahren drohende Völkerwanderung aus Afrika über das Mittelmeer zu verhindern.

Mehr Hilfe für Krisenregionen

Österreich hat dazu einen Aktionsplan vorgelegt. Durch eine enge Zusammenarbeit des europäischen Grenzschutzes mit den nordafrikanischen Staaten sollen den kriminellen Schlepperbanden das Handwerk gelegt und die oft tödlich endenden Überfahrten von Flüchtlingen durch das Mittelmeer unterbunden werden.

Menschen, die dennoch auf diesem Weg nach Europa kommen oder aus Seenot gerettet werden, wären in gemeinsam von der EU und UNHCR betriebene Asyl- und Migrationszentren in Drittstaaten zu verbringen, wo die Asylverfahren nach einem vereinheitlichten europäischen Asylsystem durchzuführen sind. Asylberechtigte würden im Rahmen von Resettlement-Programmen aus diesen Zentren direkt von EU-Staaten übernommen werden, Wirtschaftsmigranten ohne Asylanspruch wären in ihre Heimatstaaten zurückzustellen.

Gleichzeitig muss die EU-Hilfe in Krisenregionen verstärkt werden, um den Menschen dort eine wirtschaftliche Perspektive zu geben und ihre Abwanderung zu verhindern.

Diese Maßnahmen, vor allem die Schaffung einer legalen Möglichkeit für Asylberechtigte, aus Afrika direkt nach Europa zu gelangen, verbunden mit einer konsequenten Zurückweisung von nicht Schutzberechtigten sollte die illegale Einwanderung nach Europa zumindest stark reduzieren, die Zahl gefährlicher Überfahrten über das Mittelmeer verringern und damit viele Menschenleben retten. Die EU-Staaten und die Brüsseler Institutionen wären gut beraten, den österreichischen Aktionsplan rasch umzusetzen.

Albert Rohan (geboren 1936 in Melk) studierte Rechtswissenschaften in Wien und hatte Spitzenposten im österreichischen diplomatischen Dienst inne; zuletzt war er Generalsekretär des Außenamts.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

(Print-Ausgabe, 06.07.2016)

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