Wenn der erwartete Skandal passiert

Vor bald 40 Jahren erregte die „Staatsoperette“ Österreichs Fernsehzuseher. Demnächst ist Otto M. Zykans und Franz Novotnys Politsatire auf die Zwischenkriegszeit erstmals in einer Bühnenfassung zu sehen: bei den Bregenzer Festspielen.

Vor beinahe 40 Jahren sorgte die TV-Produktion der „Staatsoperette“ für großen Ärger. Das heikle Thema Zwischenkriegszeit in Österreich/Austrofaschismus wurde als trashige Opernsatire behandelt: turnende Diktatoren, einradfahrende Kanzler, mit nackten Frauen tändelnde Kanzler/Bischöfe und vieles mehr waren zu viel für das Fernsehpublikum von 1977. Im August wird dieses Ärgernis, das seither nie wieder gesendet wurde, in einer Bühnenfassung bei den Bregenzer Festspielen aus der Taufe gehoben.

Manchmal finden erwartete Skandale doch statt. Die Auguren im ORF 1976 waren aufmerksam und ahnten, dass sich mit der „Staatsoperette“ ein Problem anbahnen würde. Der Regisseur Franz Novotny und der Komponist Otto M. Zykan bastelten da an einer explosiven Sache. Konzipiert 1973 als Beitrag über den Pfrimer-Putsch, wuchs das Projekt in der Planung allmählich zu einem TV-Opernfilm von 90 Minuten samt historischer Aufarbeitung heran. Schon allein der Inhalt war heikel: eine filmisch-musikalische Revue auf der Basis von Geschehnissen der Zwischenkriegszeit. Ein Teil der Finanzierung kam vom Bundesministerium für Unterricht und Kunst.

Teile des Drehbuchs entschärft

Mit dem Wachsen des Projekts regte sich aber auch der Widerstand. Teile des Drehbuchs wurden entschärft, die Namen der historischen Personen durch Decknamen ersetzt: Ignaz Seipel wurde zu „Schwarz“, Mussolini zu „Muffo“, Otto Bauer mutierte zu „Rötel“, Engelbert Dollfuß erhielt den Namen seines Darstellers, „Hackl“. Nach langen, zermürbenden Verhandlungen wurde die Sache 1976 von Gerhard Weis für FS 1 (so hieß ORF 1 damals) aus finanziellen Gründen abgesagt. Dann von Franz Kreuzer im selben Jahr für FS 2 wiederbelebt. Im März 1977 wurde mit den Dreharbeiten begonnen, allerdings in deutlich reduziertem Umfang: Die Drehzeit wurde von drei Wochen auf vier Tage verkürzt, die Musik in der unglaublich geringen Anzahl von drei Orchesterdiensten unter der Leitung von H. K. Gruber aufgenommen. Wichtige Teile der Handlung fielen dem Rotstift zum Opfer: das Schattendorfer Blutbad 1927, die Ausschaltung des Parlaments 1933, der Bürgerkrieg vom Februar 1934 und die Obersalzberg-Szene (Dialog Hitler–Schuschnigg) samt Auslöschung und Anschluss 1938.

Nur mehr knapp 60 Minuten dauerte die Sendung, die am 30. November 1977 ausgestrahlt wurde. Der Sturm der Entrüstung, den die Ausstrahlung auslöste, überraschte dann doch alle Beteiligten. Es hagelte wütende Protestbriefe, Zeitungsverrisse, Strafanzeigen (heute würde man Shitstorm dazu sagen). Der Katholische Familienverband richtete eine Beschwerde an die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes, die Vereinigung deutschsprachiger Bürgerinitiativen erstattete Strafanzeige gegen die Autoren wegen „übler Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens“. Als Folge der öffentlichen Diskussionen um „Alpensaga“ und „Staatsoperette“ wurde im Mai 1982 der Artikel 17a in das Staatsgrundgesetz eingefügt: „Das künstlerische Schaffen, die Vermittlung von Kunst sowie deren Lehre sind frei.“

Eine geplante Kinolangversion wurde abgesagt. Franz Novotny meinte dazu: „Auch als Fragment hat die ,Staatsoperette‘ eingeschlagen wie eine Bombe; jede Ergänzung hätte das nur entschärft.“ Otto M. Zykan dagegen versuchte zeitlebens, einen Auftrag für eine Bühnenversion zu erhalten. Im Oktober 2000 wurde im Festspielhaus St. Pölten eine Konzertfassung aufgeführt, die aber nur aus einigen Highlights der TV-Musik und hinzugefügten Chorstücken bestand. Zykan selbst führte als Sprecher durch das knapp 40-minütige Stück. Der historische Bezug verlor sich dabei in einer generellen Satire über österreichische Politikabgründe. Zykan berichtete, dass einige jüngere Zuhörer damals mutmaßten, damit sei Jörg Haider gemeint.

Nach Zykans Tod 2006 betrieb seine Lebensgefährtin und Nachlassverwalterin, Irene Suchy, das Projekt Bühnenfassung weiter. Mit der ihr eigenen Hartnäckigkeit gelang es ihr schließlich, eine Zusage von Elisabeth Sobotka für die Werkstattbühne der Bregenzer Festspiele 2016 zu erhalten. Dort wird die um die bei der Ausstrahlung fehlenden Szenen ergänzte Bühnenfassung, die aus rechtlichen Gründen den Titel „Staatsoperette – Die Austrotragödie“ erhalten hat, am 2. August aus der Taufe gehoben, in Koproduktion mit der Neuen Oper Wien unter der musikalischen Leitung von Walter Kobéra, Regie Simon Meusburger. Alle historischen Personen werden dabei von Puppen dargestellt (Puppenbau und Regie: Nikolaus Habjan).

Für die Ergänzung der gestrichenen Szenen war ausreichend Text aus mehreren Entwicklungsphasen des Werks vorhanden. Ergänzt wurden zwei Frauenrollen, „Die Linke“ und „Die Rechte“, die aus verschiedenen Lagern stammen, aber dennoch eine Bassena-Gesprächsbasis behalten und quasi als Vox-populi-Doppelconférence durch das Stück führen. Zykan hatte seinerzeit für sich selbst drei Räsonierer-Szenen geschrieben, in denen er zynische Kommentare zur Handlung in Nestroy-Manier einbaute. Diese in der TV-Fassung fehlenden Szenen wurden an die zwei Damen angepasst.

Die musikalische Aufarbeitung gestaltete sich schwieriger. Für Zykan war ein einmal abgespieltes Werk nur mehr Materiallager für neue Werke. Man könnte sagen, für Zykan war eine Aufführung von Zykan ohne Zykan nicht von Interesse. Dies gilt übrigens für alle seine Bühnenwerke. Vollständige Partituren sind echte Ausnahmen. Allein die Noten für die eingespielten Teile zu finden war Gegenstand langwieriger Recherchen. Einige Teile sind verschollen und mussten nach Gehör rekonstruiert werden.

Für die musikalischen Ergänzungen der wieder hinzugefügten Szenen konnte dann das Zykan-Prinzip der Mehr- und Weiterverwertung zum Vorteil gewendet werden. Der „Place du Carrousell“ aus dem „Auszählreim“ von 1986 wurde zur Grundlage der Schattendorf-Szene. Die „Wiener Elegie“ für Streichquartett bildete den Fundus für die musikalische Gestaltung der Bürgerkrieg-Szene, Fragmente aus Tonbandstücken zur Klanginstallation „Odyssee“ und historischen Einspielungen wurden der Musikteppich für die Obersalzberg-Hitler-Szene. Statt künstlicher Nachahmung wurden eigenständige Kompositionen auf Basis von Original-Zykan-Material angefertigt. Insofern ist die ganze Bühnenfassung durchaus Zykan, aber zu einem Drittel von anderer Hand.

Die Geschichte der Zwischenkriegszeit taugt nicht zum Stoff für ein Lehrstück. Dem ist nur mit den Mitteln der Satire beizukommen. Einen Skandalerfolg wie 1977 wird niemand erwarten. Aber die „Staatsoperette“ ist nach wie vor der wichtigste künstlerische Beitrag zum Austrofaschismus. Daran könnte die Bühnenfassung vielleicht anschließen. ■

Auf der Bühne

Michael Mautner, Jahrgang 1959, ist freischaffender Komponist, Dirigent und Autor, lebt in Wien. Arbeitsschwerpunkte: Musiktheater und Projekte im Zusammenwirken mit bildender Kunst. Lehrtätigkeit an der Universität Mozarteum in Salzburg.

Seine Bearbeitung der „Staatsoperette“, gemeinsam mit Irene Suchy gestaltet, ist am 2. und 4. August auf der Werkstattbühne der Bregenzer Festspiele zu sehen, am 13., 16., 17. und 18. September im Wiener Theater Akzent. Das Radiokulturhaus bietet am 8. September einen Podiumsdiskurs zum Thema an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2016)

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