Auf der Klingel stand: Sivaks.

„Expedition Europa“: unter Roma/Romóvia/Romové.

Heuer wollte ich für den „Kultursommer Fratres“ Roma aus drei Ländern zusammenbringen. Slowakische und österreichischeKünstler hatte ich schon, ich musste nur noch eine tschechische Zigeunerkapelle finden. Ich dachte, Zigeunerkapellen gebe es wie Sand am Meer. Von einer früheren Fahrt im Waldviertler Grenzstreifen war mir ein Bild haften geblieben: eine schmale Straße nach Tschechien, gesäumt von aus Beton gegossenen Kreuzen. Ein Christus war verkohlt, die anderen leuchteten in schreiendem Gold. Am tschechischen Ende stieß ich auf einen kleinen Weiler, um einen Teich herum gruppiert. Aus der Zeit gefallene Trägheit, Roma lagerten am Wasser.

Ich fuhr also nach Hlboká. Ein alter Mährer empfahl mir den alten Rom, der gerade vor dem Tor seines gepflegten Stuckhauses rauchte. Das sei ein ordentlicher Kerl. Ich stapfte ans andere Ende des Teichs. Der alte Rom begann umgehend auf den alten Mährer zu schimpfen: „Der hat mich einmal angezeigt, weil ich einen Baum abgesägt und verheizt habe. Zwei Polizisten sind gekommen und haben nur den Kopf geschüttelt. Hab ihnen eine Speckseite mitgegeben, und sie sind abgezogen.“ Der redselige Pensionist hatte ein Dutzend Geschwister: „In der Bruchbude unterm Teich wohnt eine Schwester.“ Er schüttelte entrüstet den Kopf: „Mit zwei Kerlen gleichzeitig, stell dir vor!“ Die Existenz einer Zigeunerkapelle schloss er für die nähere Umgebung aus. Er schickte mich weit ins Südböhmische hinauf, ins Grand Hotel von Jindrichuv Hradec. Dort gebe es auch einen weitverzweigten Clan von Musikern, die Sivaks. „Die Sivaks sind aber Arschlöcher“, warnte er, „zu denen geh nicht, richtige Arschlöcher.“

Man riet mir aufzugeben

Ich fragte mich über die südmährischen Dörfer bis nach Slavonice durch. Man riet mir aufzugeben. Im romantischen Weiler Maires schickte mich eine Keramikmalerin zurück: „Es gibt in der Gegend nur ein Zigeunerdorf. Es heißt Hlboká.“ Ich musste wirklich nach Jindrichuv Hradec hinauf,ins „Hostinec U Vaclavka“. Dies war ein alttschechisches Branntweinidyll. Eine trinkfeste Witwe schenkte aus, und der Koch legte Vinyl aus den Achtzigern auf. Ich kam am Abend, und ich kam am Morgen wieder. Der Koch hatte seinen Spiegel gehalten. Eine halbe Stunde lang suchte er auf meiner Landkarte einen Ort, den ich schon gefunden hatte und den ich nicht mehr brauchte. Das Duo gab alles, um mir eine Zigeunerkapelle zu checken. „In Vajgar“, „gegenüber vom Kaufland“, „bei der Imbissbude gegenüber vom Plattenbau, wo früher der Billa drin war“, klopfte ich schließlich an die richtige Tür. Auf der Klingel stand: Sivaks.

Ich hielt noch einmal in Hlboká. Niemand konnte mir sagen, wer die Heilandean den Wegkreuzen vergoldet und abgefackelt hatte, der Verdacht auf Vielmännerei fand sich aber bestätigt. Vor der Bruchbude unterm Teich stand die erwähnte Schwester in bunter Schürze und sagte: „Unterhaltung brauche ich keine mehr, ich habe im Leben genug davon gehabt.“ Nacheinander traten zwei tattrige Tschechen in abgerissener Vintage-Mode heraus, die Hausherrin stellte sie mit vielsagendem Lächeln vor.

Mein Kultursommertag im lauschigen Gutshof Fratres wurde dann eh ganz nett. Der gealterte Boxer „Koza“, der sein Leben bei illegalen Boxkämpfen für ein Preisgeld von weniger als 100 Euro riskiert, erschreckte das betagte österreichische Publikum. „Mein süßes Vetterchen, mein goldiges Cousinchen!“ So hob er zu flehentlichen Appellen um Hilfe an. Da der Drummer gerade einsitzt, hatte ich die Zigeunerkapelle zu zweit erwartet, die Sivaks trafen aber als verschwägerte Großfamilie ein. Roma, Romóvia und Romové aus drei Ländern, eine Weile kamen sie immerhin ins Gespräch. ■

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2016)

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