"No Man's Sky": Hype, Enttäuschung, Kritik und der Fluch der Spieletrailer

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Wochen nach dem lange erwarteten Start von "No Man's Sky" verliert das Spiel einen Großteil seiner Fans. Das Entwicklerstudio Hello Games muss viel Kritik einstecken.

Wer kennt sie nicht die gewaltige Marketingmaschinerie von Apple. Ein neues iPhone steht in den Startlöchern. iPhone 3, 4, 5, 6 oder 4s, 5s, 6s und so weiter. Monate vor der Präsentation wird spekuliert und in der Gerüchteküche brodelt es ununterbrochen. Dann der große Tag. Die News-Ticker der Branchenmedien gehen über. Die Fangemeinde jubelt neuen Features zu, die es schon längst gibt, aber halt kein Apple-Logo drauf kleben haben. Doch nicht alle Unternehmen haben eine derart ausgeklügelte PR-Abteilung im Rücken.

Der Hype

Rückblick: 2014 steigt bei der weltweit größten Messe für Computerspiele in Los Angeles ein schüchtern wirkender Mann auf die Bühne. Er trägt ein T-Shirt, drüber ein Hemd, Jeans und Turnschuhe. Das klassische Nerd-Outfit. Sean Murray präsentiert vor einem Riesenpublikum im Saal und via Stream an den Computern ein Video zum Weltraumabenteuerspiel "No Man's Sky". Der Trailer zeigt gewaltige Raumschlachten, Urwälder auf exotischen Planeten mit riesigen Bäumen. Das Publikum jubelt.

Ein Jahr später. Wieder auf der E3. Sean Murray steht abermals auf der größten Bühne des Spieleuniversums dieses Planeten. Diesmal zeigt der Chef von Hello Games echtes Gameplay, keinen Trailer. Auch hier sieht man große Raumschlachten. Stolz zeigt er auch die gigantische Größe der "No Man's Sky"-Galaxis. Ein Raunen und Staunen geht durchs Publikum. Schließlich springt Murray mit seinem Raumschiff in ein zufällig gewähltes anderes Sonnensystem, saust nahtlos ohne Zwischensequenzen auf einen Planeten zu und landet auf dessen Oberfläche. Staunen im Publikum. Viele packt das das-will-ich-spielen-Fieber.

Juni 2016. Eigentlich hätte "No Man's Sky" in diesem Monat erscheinen sollen. Der Termin musste aber kurzfristig auf August verlegt werden. Die Erwartungen sind mittlerweile riesig. Auf Facebook, Twitter und Spielerforen wird wild über die diversen Möglichkeiten im Spiel spekuliert. Gibt es eine Storyline? Ein Leveling-System? Wie funktioniert das Craftingsystem? Welche Schiffe wird es geben? Wie werden sie gesteuert? Können Spieler einander begegnen, letztlich spielen alle in der selben Galaxis. Der Hype ist am Höhepunkt. Und nach und nach werden Details zum Spiel bekannt.

Die Enttäuschung

Anfang August ist es soweit. Um stolze 60 Euro kann man das Spiel endlich kaufen. "No Man's Sky" schießt in den Verkaufscharts auf Platz 1. Die Spieler tauchen in die bunte und schräge Welt eines sehr mutigen und ambitionierten Spiels ein, das die Patentrezepte für spannendes Gameplay weitgehend ignoriert. Nach der ersten Woche macht sich Enttäuschung breit. Die Story, die die Spieler auf dem Weg durchs All begleitet, ist dünn. Begegnungen von Spielern in dem riesigen Universum sind im Programmcode gar nicht vorgesehen, wie ein Zusammentreffen zweier Raumpiloten auf einer Raumstation beweist. Man sieht einander nicht. Die Entdeckungen, die man macht, wiederholen sich. Egal auf welchem der 18 Trillionen Planeten man herumirrt. Die großen Raumschlachten finden nicht statt. Eher wird man von Raumpiraten überfallen, die einen in Sekunden zusammenschießen. Das Spiel ist langweilig und die Handlungsmuster wiederholen sich.

Daneben plagen massive technische Probleme den PC-Start. Das Spiel stürzt ab oder startet erst gar nicht. Hello Games hat alle Hände voll zu tun, mit Patches die gröbsten Schwierigkeiten zu beheben. Die Spielerbasis rasselt von angeblich 200.000 gleichzeitigen Entdeckern im "No Man's Sky"-Universum auf rund 20.000.
Immer mehr Kritik wird laut. Hello Games hätte in Trailern Features gezeigt, die im Spiel nicht vorkommen, beklagen die Spieler. Manche davon machen sich sogar die Mühe und analysieren minutiös jedes Interview und jeden Trailer. Und vergleichen das mit den Tatsachen im Spiel. Manche bezichtigen Murray der Lüge. Es wird ruhig auf Murrays Twitter Account.

Der Fluch

Was Hello Games hier erlebt ist der Fluch des Hypes und der Fluch der fein zusammengeschnittenen Prerelease-Trailer, die immer mehr versprechen als dann drin ist. Aber sind wir es nicht gewohnt, dass uns die Werbe- und Marketinggurus etwas vorgaukeln? Wer beschwert sich denn, wenn ein Fleck nicht aus der Wäsche verschwindet, nur weil er sie mit Waschmittel XY wäscht. Oder die Zähne nicht in 14 Tagen um drei Grad weißer werden, weil man sie mit Zahnpasta Z putzt oder die Falten nicht mir nichts dir nichts verschwinden und man zehn bis zwanzig Jahre jünger aussieht, weil man die Creme aus der Werbung ins Gesicht schmiert. Wir sind es gewohnt, dass Werbung immer leicht überzogen ist.
Allerdings - und das ist der große Unterschied - kamen die Ankündigungen zu den Inhalten von "No Man's Sky" nicht von einer Werbeagentur, sondern vom Gründer und Chefentwickler persönlich. Deshalb funktioniert der Werbeslogan einer Babynahrungsfirma auch so gut: "Dafür stehe ich mit meinem Namen".

Man muss Hello Games aber auch ein bisschen in Schutz nehmen. Ein sehr kleines Team von Enthusiasten hat sich jahrelang einem dermaßen ehrgeizigen Projekt verschrieben, und das ohne Sicherheitsnetze. Der Chef programmiert nächtelang durch und geht erst nach Hause, wenn er 40 Grad Fieber hat. Da ist wenig Zeit für eine grenzgeniale Marketingstrategie. Auch hat Hello Games vermutlich keine Armee von PR-Strategen im Hintergrund, wie das sicher bei großen sogenannten AAA-Studios der Fall ist. Die bestimmen dann, was wann an wen raus darf und was nicht. Andererseits hat der Hype rund um das Spiel schnell diese AAA-Dimensionen erreicht. Das kann ein Indie-Studio schnell überfordern.

Stimmt. Das Spiel wird nach Stunden repetitiv. Hat man keine Fantasie und folgt lieber einem Handlungsstrang, wird das Spiel schnell langweilig. Es stimmt auch, dass einige der Ankündigungen nicht in "No Man's Sky" zu finden sind. Zumindest hat sie noch niemand entdeckt oder sie vielen dem Zeitplan zum Opfer.
Wie bei so vielen Dingen dieser Welt ist "No Man's Sky" auch Geschmackssache. Hardcore-Gamer, die stundenlang vor der Konsole sitzen, werden wohl "No Man's Sky" sicher schnell zu Seite legen. Gelegenheitsspieler tauchen in ihrer spärlichen Spielzeit sicherlich gerne in das bunte Universum und sei es nur, um den Exo-Anzug um einen Inventarslot zu erweitern oder um ein paar Units zu verdienen.

Auf jeden Fall ist die Kritik am Preis des Spiels berechtigt. Mit 60 Euro - egal ob für PS4 oder PC - verlangen Sony und Hello Games eine stolze Summe. Also durchaus auch einen AAA-Preis. Dafür bekommt man aber ein unfertig wirkendes Spiel. 20 bis 30 Euro wären wohl angebrachter gewesen. Sicherlich würden die Spieler danach gerne nochmal 20 bis 30 Euro für Erweiterungen ausgeben. "No Man's Sky" hätte nämlich viel Platz für Updates mit neuen Features und Inhalten. So findet man für die PC-Version auf der Webseite http://nomansskymods.com/ eine ganze Palette unterschiedlicher Mods. Einer davon hebt zum Beispiel die Absturzsicherung der Raumschiffe auf der Planetenoberfläche aus. Dadurch kann man extreme Tiefflüge durch Täler und über Berge wagen, exakter landen, aber auch abstürzen.

Es bleibt die Hoffnung, dass Hello Games auf die Kritik reagiert und Updates nachreicht, die nicht nur Fehler beheben. Es wäre schade um ein interessantes Spiel. Geld sollte ja jetzt nicht mehr das große Problem sein.

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