Es herbstelt, sagen wir

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Niemand sagt: Es frühlingelt. Oder es winterlt. Über eine Jahreszeit, die uns zu schaffen macht.

Komm, wir gehen noch einmal schwimmen“, sagen wir. „Komm, pack deine Badesachen ein, es wird noch einmal heiß heute, wir laufen barfuß über die Kiesel, wir spannen den Sonnenschirm auf, wir picknicken auf der Wiese. Es ist vielleicht der letzte warme Tag.“

Der September ist voll von letzten Tagen. Der letzte Tag, an dem wir Sandalen tragen, der letzte Tag, an dem wir uns nach dem Schwimmen die Haare nicht föhnen, der letzte Tag, an dem wir abends noch im Freien sitzen und nicht daran denken wollen, dass wir morgen früh aufstehen müssen. Wir wissen nie, wann er sein wird, dieser letzte Tag, deshalb glauben wir immer: heute. Und irgendwann stimmt es ja auch.

Es ist gut, dass wir uns vorbereiten. Denn der Herbst ist geizig. Wenn er uns ein paar Sonnenstunden anbietet, dann weisen wir sie nicht zurück, und wenn es regnet, sind wir nicht ungehalten wie im Juli und August. Der September ist keine Zeit für Forderungen. Da nimmt man, was man kriegt, und dankt recht artig.


Pullis. Bald werden wir vor unseren Schränken stehen, die Röcke und Kleider und T-Shirts nach hinten räumen und die Pullis und Schals und langen Hosen in Griffweite schlichten. Wie anders sehen die Regale dann aus! Lauter gedeckte Farben: Anthrazit statt Weiß, Braun statt Orange, viel Blau, dunkles Blau, Schwarz. Bordeaux statt Himbeerfarben. Warum nur? Machen die Nebel, die der Herbst uns schicken wird, nicht eh alles düster? Aber vielleicht wollen wir ja nur, dass die Garderobe zu uns passt, wenn die Sommerbräune verschwindet. Nicht mehr lang und die Omas in diesem Land werden wieder die Hände über den Köpfen zusammenschlagen und rufen: „Meine Güte, bist du blass! Kind, du musst was essen!“ Und wir, die keine Oma mehr haben, werden daran denken und ein bisschen lächeln müssen: als ob noch eine Scheibe Geselchtes und noch ein Schöpfer Püree uns das Rot auf die Wangen zurückzaubern könnten und den Sommer auf die Stirn.


Temperatursturz. Wenn wir heute wirklich schwimmen gehen, wird das Wasser noch angenehm warm sein, viel wärmer als im Frühling, als wir beim Reingehen vor Schreck noch den Bauch einzogen. Wärmer auch als noch im Juli. Aber die Sonnencreme, die packen wir nicht mehr ein, die Sonne hat nicht mehr die gleiche Kraft, sie ist jetzt müder und geht auch früher schlafen, wir gehen zeitig nach Hause und sagen: „Es herbstelt.“ Dabei ziehen wir uns die Jacke enger um die Schultern.

Morgen beginnt wieder die Schule, morgen wird es vermutlich regnen. „Temperatursturz“, sagen sie. Der Herbst kommt erst. Aber der Sommer ist schon vorüber.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.