Gesundheitsversorgung „bröckelt“

Junge �rztin
Junge �rztin(c) Erwin Wodicka - BilderBox.com (Erwin Wodicka - BilderBox.com)
  • Drucken

Viele Versäumnisse könnten in den kommenden Jahren zu einer Krise führen. Bundeskanzler Christian Kern solle daher einen „Gipfel mit allen Stakeholdern“ ins Leben rufen.

Wien. Über eine „Fülle von Baustellen“ im österreichischen Gesundheitssystem beklagte sich der Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) und Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte, Johannes Steinhart, am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Er forderte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) auf, einen „institutionenübergreifenden Gesundheitsversorgungsgipfel mit allen Stakeholdern“ ins Leben zu rufen, „um Lösungen zum Schließen der Baustellen“ zu erarbeiten und die Finanzierung auf neue Beine zu stellen.

(c) Die Presse

Die aktuellen Missstände in den Wiener Spitälern seien nur eines von vielen Symptomen dafür, dass die gesamte Versorgung bröckle – in den Krankenhäusern wie im niedergelassenen Bereich.

„Verwalter statt Zahler“

Im Zuge einer Debatte um Reformen sollte auch die Bevölkerung befragt werden, um herauszufinden, was für sie wichtig sei: „Etwa ob ein Teil des Geldes, das die Österreicher für 22 Krankenkassen und einen Hauptverband zahlen, nicht besser in Gesundheitsleistungen investiert werden sollte.“ Generell teilte Steinhart gegen den Hauptverband aus, der lediglich Verwalter und nicht Zahler sei.

Als eine der größten Baustellen nennt der Kammer-Vize die Folgen des neuen Arbeitszeitgesetzes. Wer Spitalsleistungen in den Ambulanzen zurückfahre, erhöhe den Zulauf zu den Ordinationen. „Ambulanzentlastung durch Verlagerung in den niedergelassenen Bereich ist eine Kernforderung der Ärztekammer – aber wie abgehoben muss man im Hauptverband sein, wenn man selbstverständlich davon ausgeht, dass dies ohne Investitionen und Reformen umgesetzt werden kann?“, sagt Steinhart.

Dabei ziele die Forderung der ÖÄK nach 1400 zusätzlichen Kassenstellen ohnehin nur darauf ab, das Niveau von vor 17 Jahren wieder zu erreichen. Denn die Zahl der Kassenärzte stagniere seit 1999 und liege aktuell bei 8165. Somit müssten heute gleich viele Vertragsärzte um 700.000 Menschen mehr versorgen. Hinzu komme die künstliche Verknappung von Ressourcen durch Deckelungen. In diesem „patientenfeindlichen Regime“ würden Leistungen pro Quartal nur bis zu einem definierten Maß bezahlt.

Alle weiteren Leistungen würden entweder nicht oder in abnehmender Höhe honoriert – unabhängig vom Bedarf der Patienten. Weil die Ärzte Patienten nicht gratis behandeln könnten, seien die Folge oft lange Wartezeiten. Dass ein solches System überhaupt noch funktioniere, ist Steinhart zufolge zu einem guten Teil den Wahlärzten zu verdanken, deren Zahl in den vergangenen zehn Jahren auf aktuell 9790 angestiegen sei. „Wenn der Hauptverband den Kollegen im Spital nun verbieten möchte, wahlärztlich tätig zu sein, ist das kontraproduktiv, ja absurd.“

Als weitere Baustelle, die bei dem geforderten Gipfel angegangen werden soll, nennt Steinhart den Nachwuchs an Ärzten. So sei die Zahl der Humanmedizin-Absolventen von 2003 auf 2015 nicht gestiegen, der Anteil ausländischer Studierender habe sich hingegen mehr als verfünffacht. Das heiße, dass ein wesentlicher Teil der Medizinstudenten nicht als Arzt in Österreich arbeiten werde.

Elga und Mystery Shopping

Weitere Kritikpunkte Steinharts sind die elektronische Gesundheitsakte Elga und Mystery Shopping. Elga biete nach heutigem Wissen „noch immer keine schnelle und zuverlässige Suchfunktion und keine ausreichende Datensicherheit“.

Mystery Shopping mit gefälschter E-Card stelle nicht nur Ärzte unter Generalverdacht, „sondern schüre zudem Misstrauen zwischen Patient und Arzt“. Und es behindere die Versorgung, weil es zu verstärkter Absicherungsmedizin führe, „ganz zu schweigen von rechtlichen Problemen, die zwei Gutachten und ein OGH-Urteil aufgezeigt haben“. (kb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.