Energiepolitik: Von Pest und Knappheit

Das Windrad - The windmill
Das Windrad - The windmill(c) Johannes BernJohannes Bernhard/ChromOrange/picturedesk.com
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Franz Wirl vom Institut für Betriebswirtschaftslehre der Uni Wien hat die energiepolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts untersucht. Das Ergebnis: ernüchternd.

Die Presse: Sie sind den globalen Energieproblemen mittels mathematisch-ökonomischer Ansätze zu Leibe gerückt. Machen Sie Ihre Ergebnisse optimistisch oder pessimistisch?

Franz Wirl: Wenn sich keine alternativen Energieträger finden, die in der notwendigen Dimension von täglich 200 Millionen Fass Rohöl-Äquivalenten Energie liefern – und das zu akzeptablen Kosten im Bereich von 50 Cent pro Kilowattstunde –, dann bin ich pessimistisch.

Aber Wind- und Solarkraft werden doch weltweit ausgebaut . . .

Selbst wenn es gelänge, den gesamten Strom erneuerbar zu machen, dann sind das nur 20 Prozent des gesamten Energiebedarfs. Die geringe Energiedichte bekannter alternativer Energieträger bedingt, dass sich deren Transport energetisch kaum auszahlt. Tatsächlich hatten wir vor der Industriellen Revolution eine auf erneuerbaren Energien basierende Wirtschaft.

Wo lag das Problem?

Deren geringe Energiedichte beschränkte die Städte im Wachstum. Es waren nur die mittelalterlichen Städte größer, die an Flüssen lagen. London war beispielsweise größer, weil diese Energiemenge über die Themse geliefert werden konnte, Wien wegen der Donau und so weiter. Alle anderen Städte waren sehr klein. Stellen sie sich den Wald um Wien herum vor, der notwendig wäre, um den heutigen Energiebedarf der Wiener mit Holz zu befriedigen. Und dazu die energetische Bilanz des Transports – ohne Diesel – vom äußersten Waldrand ins Zentrum. Das ergibt keinen Sinn.

Auch im Bereich Energiesparen wird viel geforscht, etwa am intelligenten Energienetz.

Die Versprechung „Wir machen alles viel effizienter und das bisschen, was wir dann noch brauchen machen wir erneuerbar“ wird's nicht spielen.

Kann die Lösung im Verzicht liegen? Vielleicht brauchen wir ja nicht jede Annehmlichkeit.

Es gibt Studien, die sagen, es wäre kontraproduktiv. Wenn wir uns freiwillig einschränken, fällt der Preis für Energie so stark, dass Entwicklungsländer daraufhin mehr verbrauchen, als wir uns einschränken.

Im vom EU-Parlament in dieser Woche ratifizierten Weltklimavertrag steht als Ziel weniger Ausstoß von Treibhausgasen.

Der Weltklimavertrag ist natürlich ein großes Problem, weil er nur eine Absichtserklärung ist und Regierungen sich nicht binden können. Jetzt gibt es ein 1,5-Grad-Ziel, aber wenn das Erreichen dieses Ziels sehr teuer gerät, dann wird man es nicht mehr machen. Siehe etwa die Maastricht-Kriterien der EU: Als Frankreich und Deutschland die vereinbarte Defizitgrenze von drei Prozent überschritten, war dieses Ziel nicht mehr das Papier wert, auf dem es geschrieben stand. Und sie können ja nicht, wenn China einen globalen Klimavertrag verletzt, deswegen Krieg führen. Zurzeit wird diskutiert, ob man solche Vereinbarungen über eine Verknüpfung mit Handelsverträgen wirksamer machen kann. Aber das funktioniert natürlich nur, wenn man grundsätzlich der Überzeugung ist: Freihandel ist gut.

Dann müssen es eben die zur Neige gehenden Öl- und Gasreserven regeln.

Die USA produzieren seit über 100 Jahren mit einem Reserven-Produktionsquotienten von circa zehn. Das bedeutet, zu jedem Zeitpunkt war das Zehnfache der gerade geförderten Menge bereits exploriert. Der Hoffnung, dass das Öl schon rechtzeitig knapp wird, muss man sich im Moment nicht hingeben.

Was, wenn die Weltwirtschaft so sehr wächst, dass steigende Energiepreise Alternativen rentabler machen?

Wenn es noch heute ein Substitut für Erdöl zu Kosten unter dem momentanen Preis für Erdöl gibt, dann kostet morgen Erdöl um einen Dollar weniger als die Produktionskosten der Alternative. Das ist möglich, weil die Förderkosten konventionellen Erdöls sehr niedrig sind. 2008 lag der Ölpreis bei 140 Dollar pro Fass. In Saudiarabien fließt es zu unter fünf Dollar aus dem Boden. Die Ölförderländer werden nicht das Einzige, was sie zu Geld machen können, in der Erde lassen. Sie werden sich nicht ins eigene Knie schießen.

Aber es muss doch eine Lösung geben . . .

Tatsache ist: Es muss keine Lösung geben oder zumindest nicht zum notwendigen Zeitpunkt. Beispiel: Das größte Menschheitsproblem war im Mittelalter die Pest. Nehmen sie an, sie buttern das ganze damals zur Verfügung stehende Geld in die Forschung gegen die Pest. Es wäre nichts dabei herausgekommen, weil man technologisch noch so weit weg von einer Lösung war.

Was braucht es dann?

Eine Wunderwuzzi-Technologie, um unter den Produktionskosten der fossilen Energieträger zu bleiben. Aber ich sehe nichts kommen. Was ich sehe, sind die Windräder, die Jahrtausende alt sind, und die Fotovoltaik, ein Nebenprodukt der Raketenforschung, auch 70 Jahre alt. Die Batterie und der Elektromotor sind älter als der Verbrennungsmotor. Das sind alles alte Technologien, die das Problem wohl nicht lösen werden. Trotzdem gibt es keine Alternative, als Geld in die Grundlagenforschung zu stecken.

ZUR PERSON

Franz Wirl, Jahrgang 1951, arbeitete nach dem Studium der Wirtschafts- und Planungsmathematik bei der Opec, wo er Analysen und Modelle des Weltölmarkts erstellte. Später führten ihn Studien im Bereich Energiemärkte und Umwelt nach Harvard, Stanford, Honolulu und Chile. Seit 2000 ist er am Lehrstuhl für Industrie, Energie und Umwelt am Betriebswirtschaftlichen Zentrum der Uni Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2016)

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