Ein ganz besonderer Tropfen auf den heißen Stein

Privatisierung griechischer Wasserwerke als Vorreiter größerer EU-Pläne?

Oft sind es die aufschlussreichsten Meldungen, die man leicht überhört oder überliest. Zuletzt zum Beispiel in einem Hörfunkjournal, in dem es hieß, die Eurogruppe könne aufatmen. Da Griechenland den Geldgebern im letzten Moment noch Zugeständnisse gemacht habe, dürfe der Auszahlung der nächsten Milliardentranche nichts mehr im Weg stehen.

Vor allem Deutschland sei mit dem Reformfortschritt der Griechen nicht zufrieden gewesen. Kurz vor dem Treffen der Euro-Finanzminister habe die Regierung in Athen aber ausständige Maßnahmen durchgeboxt. Darunter, leicht zu überhören, die Privatisierung von Wassergesellschaften.

Die Meldung, 152 der 300 Abgeordneten hätten nach einer tagelangen, emotionalen Debatte dem neuen Reformpaket zugestimmt, hatte man schon gelesen. Die Liste der Privatisierungen ist lang, oben steht meistens der Flughafen. Die Privatisierung der Wasserwerke und anderer öffentlicher Versorgungseinrichtungen wird fast immer – wenn überhaupt – nur am Rande erwähnt. Doch gerade dabei werden viele hellhörig.

Die 2,8 Milliarden, von denen die Rede war, sind neben den im Juni überwiesenen 7,5 Milliarden nur ein kleiner Teil jener 86 Milliarden Euro, mit denen die Griechen in den nächsten Jahren Schulden tilgen, Zinsen zahlen und höher verzinste Kredite ablösen sollen. Die Bevölkerung sieht fast nichts davon. Ein echter Haircut scheitert vor allem an Berlin.

Jedes Maß verloren?

Griechenland verdankt seine grauenhafte Situation aber nun einmal in erster Linie korrupten und dazu auch noch unfähigen Politikern. Doch wie immer man Pro und Kontra Haircut denkt, eine Frage ist auf jeden Fall fällig: ob die Retter Griechenlands, vor allem aber seiner Gläubiger, jedes Maß verloren haben. Oder ob sie entschlossen sind, am Exempel Griechenlands modellhaft ein kompromisslos neoliberales Wirtschaftsprogramm durchzuziehen. Trifft Letzteres zu, hat die Privatisierung des Wassers, wie überhaupt möglichst vieler öffentlicher Einrichtungen – und ist's schon Wahnsinn, frei nach Hamlet –, nämlich auf jeden Fall Methode.

Was schon Lueger wusste . . .

Angesichts der Höhe der Schulden Griechenlands sind die Beträge, die der Verkauf der Wasserversorgung hereinbringt, kaum ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber ein Tropfen von besonderem Symbolwert. Die Privatisierung der Wasserversorgung stößt in ganz Europa auf Widerstand. Dieser Widerstand ist aber alles andere als irrational.

Wiens Bürgermeister Lueger war gewiss eine zwiespältige Figur. Aber er wusste, was er tat, als er die Wiener Gasversorgung entprivatisierte – und Wien dankt es ihm bis heute. Das Wasser stand damals nicht an. Aber heute steht es in Europa zur Debatte. Flammt diese auf, wird schnell beschwichtigt. Alles ein Missverständnis.

Besonders das Wort vom Reformfortschritt macht stutzig. Da erscheint die Privatisierung des Wassers und anderer lebenswichtiger Versorgungseinrichtungen plötzlich nicht als eine bittere Notwendigkeit, sondern als Teil des Übergangs von der Misswirtschaft zu einer Gesellschaft, wie sie in den Augen der „Retter“ offenbar sein soll. Wenn diese es aber so sehen, sehen sie es wohl für ganz Europa so. Sie sagen es aber nicht, weil der Widerstand noch zu groß ist. Sie drücken es aber durch, wo sie die Macht dazu haben.

Vielleicht sind die Europäer gar nicht Europas müde, sondern bloß einer EU-Politik, bei der die Demokratie auf der Strecke bleibt, weil Europapolitiker durchziehen, was sie wollen – ohne Rücksicht darauf, was die Menschen wollen.

Hellmut Butterweck wird für sein jüngstes Buch „Nationalsozialisten vor dem Volksgericht Wien“ am 9. November mit dem Preis der Stadt Wien für Publizistik ausgezeichnet.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.