David gegen Goliath in Ungarn

Kopf des gestürzten Stalindenkmals
Kopf des gestürzten Stalindenkmals(c) Rolf Gillhausen - Westlicht Ausstellung
  • Drucken

Oktober 1956. Der Volksaufstand gegen die KP-Tyrannei wäre um ein Haar gelungen. Mit seinen Panzern zermalmte die Rote Armee die Freiheitskämpfer und schockte die Welt.

Vom 23. Oktober bis zum 4. November 1956 haben die Ungarn in einem heroischen Kampf vergeblich versucht, die kommunistische Diktatur loszuwerden. „Die Welt bis gestern“ schilderte vor einer Woche, wie die blutigen Straßenkämpfe gegen das Militär begannen und Hunderte Tote forderten. Der Volksaufstand wäre auch gelungen, hätte nicht die sowjetische Besatzungsmacht die Revolte blutig niedergeschlagen. Denn die Sowjets waren gewarnt durch den Berliner Aufstand 1953, der ebenfalls zermalmt wurde.

Das schlechte Gewissen der Westmächte war verständlich: Mit Versprechungen und Durchhalteparolen des Senders Free Europe hat man die Freiheitskämpfer zuerst ermutigt, um sie dann durch das gleichzeitige Suezkanal-Abenteuer im Stich zu lassen. Der UN-Sicherheitsrat setzte wie immer auf Zeit und verzögerte seine Resolution bis zur totalen Wirkungslosigkeit.

Österreich half, so gut es konnte

Inzwischen verbluteten Tausende Ungarn auf Budapests Straßen im Kampf gegen die sowjetische Tyrannei in Europa. Tausende Magyaren mussten unter Lebensgefahr aus ihrer Heimat flüchten, aber sie hatten das Glück, in einem Land von großer Hilfsbereitschaft und Herzenswärme zu landen: in Österreich! Die Lehre aus dem Aufstand gegen die Sowjetdiktatur, der Kampf David gegen Goliath, war, dass auf Großmächte kein Verlass ist, aber kleine Nachbarvölker sich in der Not helfen können, wenn sie wollen. Wie das geht, hat Österreich nach der blutigen Niederschlagung des ungarischen Freiheitskampfes der Welt in beispielhafter Weise gezeigt. Die kleine Alpenrepublik sah sich plötzlich mit 180.000 Flüchtlingen konfrontiert, aber auch mit Sowjetpanzern, die zur burgenländischen Grenze ratterten.

Der Flüchtling Antal Festetics

Der Wildbiologe Antal Festetics, Jahrgang 1937, stand als 19-Jähriger in den Reihen der Freiheitskämpfer. Die Mitglieder seiner aristokratischen Familie galten nach 1945 als „Klassenfeinde“, wurden enteignet und ausgeraubt, 1951 in ein Arbeitslager deportiert und zur Zwangsarbeit in der Landwirtschaft verurteilt. Antal war wegen versuchter „Republikflucht“ als Jugendlicher dreimal eingekerkert gewesen. 1956 gelang ihm – so wie vielen heute prominenten Neo-Österreichern – der Neubeginn in Wien.

Davor freilich hatte er als Freiheitskämpfer einen riskanten Auftrag: Mit einem Polizeiausweis und einer rot-weiß-grünen Armbinde ausgestattet, mit Gewehr und Munition gerüstet, musste er die im Volk so verhassten AVO-Geheimpolizisten festnehmen, die sich, als Flüchtlinge getarnt, vor dem Volkszorn nach Österreich absetzen wollten. „Wir hatten zum Glück ohne Schusswechsel einige dieser feigen Folterknechte unschädlich machen können“, schilderte Festetics seine Erlebnisse.

Bei einer nächtlichen Fahrzeugkontrolle auf der Margareten-Brücke in Budapest lernte er einen US-Senator kennen, den er anderntags zu Kardinal József Mindszenty begleitete. Der Kirchenfürst war ja soeben erst aus seinem Kerker befreit und von den Aufständischen mit Panzergeleit ins Erzbischöfliche Palais eskortiert worden. Den unbeugsamen Mann hatten die Kommunisten 1948 in einem Schauprozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Der mitangeklagte Paul V. Fürst Esterházy de Galantha hatte fünfzehn Jahre bekommen. Nun konnte Mindszenty erstmals wieder eine Ansprache halten (für den Österreichischen Rundfunk eine der ersten TV-Sendungen übrigens).

Während Festetics übersetzte, lieferten die Kampfhandlungen unten am Budapester Donaukai die Hintergrundmusik dazu. Der US-Senator überreichte dem Fürstprimas eine Kiste voll mit Medikamenten und versicherte, der freie Westen werde die ungarischen Freiheitskämpfer niemals im Stich lassen. Ein Versprechen, das die USA schmählich brechen sollten.

Festetics fuhr dann mit dem amerikanischen Politiker nach Wien und sollte nach zwei Tagen mit einem Transport mit Medikamenten, Lebensmitteln, Kleidung und anderen Hilfsgütern nach Budapest zurückfahren. Bei Györ (Raab) ging es aber nicht mehr weiter. Russische Panzer hatten bereits die Straße gesperrt. Man musste nach Wien zurückfahren.

Die Sowjetarmee hat den Freiheitskampf der Ungarn schließlich brutal niedergeschlagen und die verhasste Geheimpolizei AVO wieder eingesetzt. Nach einer Woche der Beruhigung fuhr die Rote Armee ihre schwersten Geschütze auf und zermalmte in einem Straßenkampf ohnegleichen den Aufstand. „Tausende tote Freiheitskämpfer blieben auf der Strecke, mit ihnen aber auch der Ruf des roten Imperiums“, sagt Festetics. Es waren zehn Tage, die die Welt erschütterten, allen voran die Welt des Kommunismus.

Der Ostblock bröckelte

Es war eine Art von Wetterleuchten für die Sowjetdiktatur. 1989 sollte dann der Zusammenbruch in Polen, Ungarn und in der DDR kommen. Aber die ungarische Revolution von 1956 hat dies vorweggenommen. Die Magyaren haben es gewagt, ein ganzes Weltsystem der Tyrannei zu erschüttern. Und ihr Sieg war vor sechzig Jahren zum Greifen nah – hätten die Westmächte sie nicht bloß angefeuert, sondern ihnen auch geholfen.

Heute weiß man, dass der Kreml-Chef Nikita Chruschtschow zunächst mit dem Marschbefehl für seine Truppen in Ungarn zögerte. Er wollte lieber keine Rotarmisten auf das „sozialistische Brudervolk“ schießen lassen. Erst das Suez-Abenteuer der Westmächte gegen Ägyptens Kanalsperre gab ihm dann den Vorwand für das Blutbad in Budapest. US-Präsident Dwight Eisenhower ließ die Freiheitskämpfer in Budapest im Stich. Ihm waren die Hände gebunden.

180.000 kamen „herüber“

Umso mehr hat der kleine Nachbar geholfen. Rund 180.000 Ungarn flüchteten damals nach Österreich und fanden hier eine herzliche Aufnahme, die weltweit einmalig war. Der Bogen spannte sich von der materiellen Hilfe über den emotionalen Beistand bis zur Solidaritätskundgebung. Damals ging man noch auf die Straße gegen den Kommunismus. „Ich persönlich begegnete zum Beispiel damals einem Gleichaltrigen“, erzählt Antal Festetics, „der in Wien mit der Tafel ,Freiheit für Ungarn!' eine Demonstration anführte und auch im Flüchtlingslager Traiskirchen half. Er hieß Heinz Fischer.“

AUF EINEN BLICK

Nächsten Samstag:
Pius XI., der Vatikan und der Faschismus.Die Revolution begann am 23. Oktober 1956 mit einer friedlichen Großdemonstration der Studenten der Universitäten in Budapest, die demokratische Veränderungen forderten.

Die KP-Regierung ließ am Abend in die Menge schießen, daraufhin brach der bewaffnete Kampf aus. Binnen weniger Tage wurde die Einparteidiktatur durch eine Regierung unter der Leitung von Imre Nagy abgelöst, in der auch die Bauernpartei und die Kleinlandwirtepartei Ministerien erhielten.

Den Bogen überspannt hatten die Aufständischen, als Nagy das Ostblock-Militärbündnis aufkündigte und die Neutralität Ungarns ausrief.

Invasion. Bis zum 4. November dauerten die Kämpfe gegen die sowjetischen Panzer der Besatzungsmacht. Der Westen ließ Ungarn im Stich. János Kádár installierte eine KP-freundliche Regierung, Hunderte Freiheitskämpfer wurden eingesperrt, Imre Nagy wurde gehängt. Seit 1989 ist der 23. Oktober ein Nationalfeiertag in Ungarn.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Der ungarische Regierungschef Viktor Orb´an bei der Lektüre einer Zeitung in Budapest.
Außenpolitik

Ungarns schwieriges Gedenken an 1956

Vor 60 Jahren erhoben sich die Ungarn gegen Fremdherrschaft und Diktatur. Es war ein Augenblick nationaler Freiheit und Einheit. Das Gedenken aber bleibt gespalten.
Noch wacht der Tyrann über Ungarn, am 23. Oktober 1956 wird seine Statue zertrümmert.
Zeitreise

Ungarn 1956: Wenn der Volkszorn losbricht

Am 23. Oktober flammt der Kampf gegen die kommunistische Diktatur auf. Die Partei ist sprachlos und muss die Rote Armee um Hilfe bitten – ein Massaker beginnt.
FILE HUNGARY IMRE NAGY
Zeitreise

1956: In Ungarn brodelt es schon

Vor dem Volksaufstand. Drei Wochen vor der Explosion wähnt sich Wien im Frieden. Mitte des Monats sollen die ersten 13.000 Mann in die Bundesheer-Kasernen einrücken.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.